Peter Urban

Marattha König Zweier Welten Gesamtausgabe


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sogar seinen gerade erst dem Meer entstiegenen Freund aus Kindertagen ärgern musste. Arthur schüttelte verzweifelt den Kopf.

      Kapitel 2 Henriettas Hoffnung

      Pünktlich um sieben Uhr standen ein Oberst, ein Oberstleutnant, zwei Majore, drei Hauptleute und mehrere blutjunge Leutnants und Fähnriche sauber herausgeputzt und mit blitzblanken Reitstiefeln vor einem großen, im holländischen Kolonialstil gehaltenen Gebäude in der Stadtmitte von Capetown.

      »Gludenstackstraaten?« erkundigte Arthur sich bei einem halbnackten, dunkelhäutigen Mann, der müßig auf einer hölzernen Treppe vor einer geräumigen Veranda lungerte. Die Antwort war unverständlich und schien nur aus Umlauten zu bestehen.

      »Das ist Holländisch, Sir!« erklärte der muntere Major West seinem gestrengen Vorgesetzten.

      Arthurs düstere Mine hellte sich auf: »Sie verstehen diesen Menschen, Francis?«

      »Kein einziges Wort, Sir! Aber als wir damals in Flandern waren, da klang es so ähnlich!«

      Während Major West sich für seine vorlaute Äußerung einen missmutigen Blick von Oberst Wesley gefallen lassen musste, wurde die beeindruckende Pforte, die die Veranda mit dem Inneren des luxuriösen Gebäudes verband, wie von Geisterhand geöffnet, und ein Farbiger in aufwendiger Livree, die in der schwülen Hitze von Kapstadt denkbar ungeeignet sein musste, verbeugte sich tief vor den Offizieren des 33. Infanterieregiments des Königs.

      »Mylord Ashton und die Damen erwarten Sie bereits!« hörte man nun in einem leidlich guten Englisch. Der Dunkelhäutige verbeugte sich erneut und wies ihnen dann den Weg ins Innere des prachtvollen Hauses.

      Schließlich fanden sich alle in einem riesigen, feudal möblierten Raum wieder, in dem die Damen und Herren der vornehmen Gesellschaft sich bereits zusammengefunden hatten. Ein Tisch aus exotischem Holz zog sich wie eine lange Straße von einem Ende des Speisezimmers bis zum anderen. Britische Uniformen mischten sich bunt mit Abendgarderoben, und Oberst Ashton selbst stand der Gesellschaft am Kopfende des Tisches vor. Er wirkte ziemlich angeheitert. Zu seiner Linken saß ein unirdisches Geschöpf mit blondem, zu einer komplizierten Frisur hochgestecktem Haar und schneeweißer Haut. Ein Gebilde aus hellblauer und cremefarbener Seide, das Arthur so filigran erschien, dass er es auf den ersten Blick nicht als Kleid zu identifizieren vermochte, wogte zwischen Stuhl, Tisch und Boden, wie die Wellen des Nordatlantiks. Ein Paar strahlend blauer Augen blickte verzückt zu Henry und einem großen Kristallgefäß, das offenbar mit einem alkoholischen Getränk gefüllt war.

      Der junge Oberst des 33. Regiments kannte die Regeln: Zwei Pint Claret oder Champagner auf einen Zug, ohne abzusetzen! Es war ein idiotisches kleines Spiel, mit dem die Herren Offiziere zu beweisen versuchten, dass sie richtige Männer waren. Er hatte es oft genug selbst gespielt ...

      Rechts neben Ashton saß ein weiteres Geschöpf in üppiger Abendgarderobe. Die Dame war brünett und kreidebleich. Auch in ihren blauen Augen lag ein Ausdruck der Bewunderung.

      »Weiber!« fuhr es Arthur durch den Kopf, während er sich missmutig auf einen wenig exponierten Platz an einer Ecke des Tisches fallen ließ. Oberstleutnant Sherbrooke hatte derweil schon mindestens zehn breite Schultern in einem Anfall überschwänglicher Wiedersehensfreude blau geschlagen. Major Shee umarmte hingebungsvoll einen großen Kristallkelch mit einer hellgelben Flüssigkeit. Der Lärmpegel im Raum konnte nur mit einem Schlachtfeld verglichen werden. Wild klangen Stimmen aus dem 33. und 12. Regiment durcheinander. Ab und an wurden diese Stimmen von hohen, schrillen Tönen durchbrochen.

      »Weiber!« fuhr es Arthur wieder durch den Kopf. Doch gleichzeitig hörte er die innere Stimme der Vernunft rufen: »Kitty! Du meinst Kitty, du Narr!«

      Irgendwie gelang es dem jungen Oberst in dem ganzen Trubel, den Krug mit dem Wasser zu sich zu ziehen und sein großes Kristallglas bis zum Rand zu füllen. Während die anderen in einem angeheiterten Zustand Flasche um Flasche entkorkten und in unendlich weite Soldatenkehlen schütteten, nippte er nachdenklich an seinem Glas und versteckte sich hinter einer unüberwindlichen Mauer aus verbohrtem Schweigen und schlechter Laune.

      Plötzlich legte sich von hinten eine Hand auf seine Schulter, und eine vertraute Stimme flüsterte ihm durch den Lärm zu: »Was soll diese griesgrämige Trauermiene?« Henry Ashton hatte sich von seinem großen Glas und den beiden Schönen an seiner Seite losgerissen, einen jungen Offizier vom Platz neben Wesley vertrieben und sich selbst zu seinem Freund gesetzt. Obwohl er seit der Eröffnung des fröhlichen Saufgelages, die wohl zwei oder drei Stunden vor der Ankunft der Kameraden des 33. Regiments gelegen haben musste, vollauf damit beschäftigt gewesen war, seine jungen Herren bei Laune zu halten, und sicher schon weitaus mehr getrunken hatte, als ein vernünftiger Soldat es in einem solch heißen und ungesunden Klima tun sollte, war ihm doch nicht entgangen, dass Arthur an der ganzen Abendgesellschaft nicht teilnahm, sondern nur – fast wie ein armer Sünder – die Zeit absaß, zu der er verdammt worden war. Was für ein Unterschied zwischen den gemeinsamen Jugendtagen in Dublin und London und dieser Vorstellung am Tisch des Kommandeurs des 12. Regiments! Henry wusste nicht, was er davon halten sollte. Und Wesley wollte ihm die Sache nicht leichter machen: Er hatte beschlossen, sein Leben zu ändern, doch diese Entscheidung ging keinen Menschen auf der Welt etwas an.

      »Laß gut sein, Henry! Eine lange Seereise ist nichts für die Infanterie! Ich hab das Meer noch nie richtig vertragen!« schwindelte er. »Du hast mir die beiden Ladys an deiner Seite noch gar nicht vorgestellt«, lenkte er dann vom leidigen Thema der Ausschweifungen in britischen Offiziersmessen ab.

      »Das reizende blonde Geschöpf ist Jemima Smith, die älteste Tochter von Sir Charles Smith, dem Orientalisten. Und die Dunkelhaarige ist ihre jüngere Schwester Henrietta. Ich soll die beiden in Madras abliefern. Sie haben vor einiger Zeit das Pensionat verlassen und fahren zu ihrem Vater. Übrigens, weder die eine noch die andere kleine Lady ist verheiratet!«

      Ashton zog den Oberst von seinem bequemen Platz und in Richtung Jemima und Henrietta.

      Die nächsten Tage am Kap verliefen angenehm und ruhig. Zuerst hatte Arthur dafür gesorgt, dass die Männer des 33. Infanterieregiments ihre Transportschiffe zumindest tagsüber verlassen konnten. Damit sie nicht wild wurden und aus dem Ruder liefen, beschäftigte man sie mit Waffendrill, ein paar Märschen hinauf in die Tafelberge und Schießübungen. »John Company« hatte genug Geld in den Kassen, um die paar hundert Schuss Munition zu verkraften, die das 33. Regiment außer der Reihe verbrauchte. Schließlich sollten die Rotröcke in Indien sofort einsatzfähig sein.

      Doch entgegen seiner sonstigen Gewohnheit überließ Arthur die Männer den Majoren Shee und West. Er hatte für sich und seine Nummer zwei, John Sherbrooke, ein anderes Arbeitsprogramm zusammengestellt: Seit Kapstadt sich fest in britischer Hand befand, war es nicht nur zu einer obligatorischen Zwischenstation auf dem Rückweg von Indien nach Europa geworden, sondern auch zu einem Ort, an dem die Beamten Seiner Majestät und der Ostindischen Kompanie Erholung vom krankheitserregenden Klima des Subkontinents suchten. Wenn man seine Ohren aufsperrte und an den Stellen herumlungerte, wo diese Heimkehrer und Erholungssuchenden sich aufhielten, dann konnte man – so vermutete der junge Offizier – sicher eine ganze Menge wertvoller Informationen aufschnappen. John Sherbrooke widersprach seinem gestrengen Vorgesetzten natürlich nicht. Es war viel angenehmer, mit der hübschen Jemima Smith am Arm durch Kapstadt zu ziehen, als oben in den Tafelbergen herumzurennen und auf imaginäre Feinde zu feuern. Wesley hatte sich die jüngere Henrietta von Oberst Ashton »ausgeliehen«, wie er es zynisch zu nennen pflegte. Doch John Sherbrooke konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass die zynische Bemerkung seines Chefs nur eine Schutzbehauptung war. Er und Arthur waren gerade einmal sechsundzwanzig Jahre alt, und bei aller Ernsthaftigkeit, die sie in ihrem Soldatenberuf an den Tag legten, waren sie doch nicht viel mehr als große, verspielte Kinder, die sich amüsieren und austoben mussten.

      Bei ihrem gemeinsamen Spaziergang durch den hübschen botanischen Garten am Fuß der Tafelberge waren die vier jungen Leute natürlich auch anderen Spaziergängern aus gutem Hause begegnet. Jemima und Henrietta waren mit Henry Harvey Ashton schon vor einiger Zeit am Kap angekommen und wohlbekannt mit den Mitgliedern