Peter Urban

Marattha König Zweier Welten Gesamtausgabe


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in den schmucken roten Uniformen des Königs seien. Als man feststellte, dass auch die Herren Offiziere aus guten Familien kamen, ließ die Einladung zum Tee nicht lange auf sich warten.

      Während Arthur Henrietta den Stuhl hinschob, konnte er sich nicht mehr zurückhalten und ließ die Augen dezent über ihre hübschen Schultern und ihren Nacken gleiten. Ohne ihre opulente Abendgarderobe, in einem einfachen Musselinkleid und das dunkle Haar locker hochgesteckt, sah die Kleine hinreißend aus. Außerdem hatte sie strahlend blaue Augen, denen man kaum widerstehen konnte.

      Zufrieden ließ der Oberst sich an ihrer Seite nieder. Ihre Gastgeber waren auf dem Rückweg aus Fort St. George nach England und machten drei Monate Station am Kap, um sich zu erholen. Sir Marmaduke Orford war lange Jahre der Surveyor-General of the Ordonances von Lord Hobart, dem Gouverneur von Madras, gewesen. Nun hatte er seinen sechzigsten Geburtstag gefeiert und befunden, dass zwanzig Jahre Dienst in Indien ausreichend seien. Die Orfords wollten nach Kent, wo ihre beiden Töchter mit einem Leutnant zur See, Wentworth, und einem Geographen, Hauptmann Philip Morgan, verheiratet waren. Sir Marmaduke hatte auf dem Subkontinent sein Glück gemacht und fuhr mit prall gefüllten Taschen nach Europa.

      »So, so, Sie sind also einer der jüngeren Brüder von Lord Mornington! Wir haben viel miteinander zu tun gehabt, Ihr werter Bruder und ich. Seitdem er in den Aufsichtsrat der Kompanie berufen wurde, hat sich einiges verändert. Ein bemerkenswerter Mann, Mornington. Und ein enger Vertrauter des Premierministers. Sie werden es mit eigenen Augen sehen, junger Freund. All diese Unarten und Ausschweifungen, für die unsere überseeischen Besitzungen inzwischen berüchtigt sind, werden bald ein Ende haben. Keine dubashery mehr. Und wer dabei erwischt wird, Schmiergeld zu nehmen, der wandert ins Gefängnis.«

      »Korruption!« übersetzte Arthur leise für John Sherbrooke, der seine Passage ans Kap der Guten Hoffnung nicht mit Studien der Landessprachen Indiens ausgefüllt hatte. Dann blickte der Oberst entschuldigend die Damen am Tisch an. »Ich möchte Ihnen diesen Nachmittag nicht verderben, Lady Julia, Miss Henrietta, Miss Jemima, aber Sir Marmaduke berichtet so interessante Dinge, dass ich ihm gerne einige Fragen stellen würde, wenn Sie gestatten!«

      Lady Orford nickte dem Offizier freundlich zu, die beiden Töchter von Sir Charles Smith ergaben sich in ihr Schicksal. Obwohl Henrietta diese politischen Gespräche ausgesprochen langweilig fand, setzte sie doch ihr gewinnendstes Lächeln auf. Im Vergleich zu der Abendgesellschaft in Henry Ashtons Haus, bei der Wesley ihr ausgesprochen trübselig und fade vorgekommen war, schien er ihr außerhalb der alkohol- und tabakgeschwängerten Offiziersmesse ein ganz bemerkenswerter Vertreter des stärkeren Geschlechts zu sein. Er sprühte über vor Leben, seine graublauen Augen funkelten munter, während er den alten Sir Marmaduke über seine Adlernase hinweg ins Kreuzverhör nahm. Seine abgetragene Uniform fiel der jungen Frau an diesem sonnigen Nachmittag in einem blühenden Garten gar nicht mehr auf, denn im Gegensatz zu vielen Offizieren, denen sie zu Hause in England vorgestellt worden war, legte er großen Wert darauf, dass alles ordentlich und sauber war, und irgendwie verschwand seine so offensichtliche pekuniäre Not hinter einem freundlichen und umgänglichen Wesen und einem wachen Verstand. Sie bedauerte ein wenig, dass der hübsche junge Offizier in diesem Augenblick seine ganze Aufmerksamkeit nur Sir Marmaduke schenkte und keinen Blick für sie übrig hatte.

      Der alte General hatte dazu angesetzt, die Lage im Karnatik zu schildern, der indischen Provinz, die sich wie eine Schlange entlang der Coramandel-Küste zog und mit vier britischen Besitzungen auf dem Subkontinent gemeinsame Grenzlinien hatte.

      Henrietta verstand, dass es an diesen Grenzen nicht immer ruhig zuging. Jenseits des Karnatik lag Mysore, dessen Herrscher mit den revolutionären Franzosen verbündet war. Immer wieder stieß er mit seinen bewaffneten Räubern gegen die Handelsposten der Ostindischen Kompanie auf britischem Gebiet vor und raubte der ehrenwerten Gesellschaft die Früchte ihrer Arbeit. Lord Clive war bereits einmal gegen ihn gezogen und hatte die befestigte Hauptstadt Seringapatam belagert. Doch die Vorräte waren im Verlauf eines endlosen Tauziehens vor den starken Mauern ausgegangen, und die Soldaten starben im grausamen Klima Südindiens wie die Fliegen. Clive hatte seine Geschütze zerstört und sich dann mit gesenktem Haupt vor dem Vater Tippu-Sultans zurückgezogen.

      Während Sir Marmaduke berichtete, zog sich auch Oberstleutnant John Sherbrooke zurück, allerdings nicht gedemütigt wie der große Clive, sondern am Arm der schönen Jemima.

      Die älteste Tochter von Sir Charles Smith war eine leidenschaftliche Herzensbrecherin. Aus diesem Grunde begleitete Lady Julia Orford die beiden jungen Leute auf ihrem Spaziergang durch den Garten. Doch sie war anständig genug, ein wenig Abstand zu halten und so das sanfte Turteln der Tauben nicht zu stören.

      Während Sherbrooke Jemima kleine Komplimente machte und unablässig mit ihr plauderte, lauschte Arthur gebannt den Worten von Sir Marmaduke. Erst als der Tag zum Abend wurde und der Anstand es gebot, sich zurückzuziehen, um der Dame und dem Herrn des Hauses zu gestatten, sich zum Dinner umzukleiden, bemerkte Wesley, dass die kleine Lady immer noch brav neben ihm saß. Er legte den Kopf schief und sah sie an wie ein trauriger Cockerspaniel. »Miss Henrietta, es tut mir leid, Ihnen den ganzen Nachmittag mit diesem endlosen Gespräch über Indien verdorben zu haben. Sie müssen mich für einen ungehobelten irischen Bauerntölpel halten!«

      Orford schmunzelte, während die junge Frau beschwichtigend ihre Hand auf den Arm des Offiziers legte. »Nicht doch, Oberst Wesley! Ich fand es sehr anregend, Ihnen und Sir Marmaduke zuzuhören! Als mein Vater seine persische Grammatik verfasst hat, da habe ich ihm auch immer gerne zugehört, wenn er von Indien erzählte. Es muss ein faszinierendes Land sein! Ich kann es kaum noch erwarten, in Fort St. George anzukommen und mit eigenen Augen zu sehen, was man mir in meinen Kindertagen immer so lebhaft beschrieben hat!«

      Orford räusperte sich. »Wesley, ich werde Ihnen natürlich ein Empfehlungsschreiben für Sir Charles mitgeben. Ich glaube, Sie sollten ihn unbedingt sehen und sich ausführlich mit ihm unterhalten. Er ist ein intimer Kenner der gesamten politischen Lage in den unabhängigen Gebieten, und er kann Ihnen sicher viele Dinge über Tippu, den Rajah von Bullum oder den Peshwa erklären, die mir als einfachem Finanzbeamten Seiner Majestät verschlossen geblieben sind.«

      Henrietta lächelte Sir Marmaduke wie eine Verschwörerin an. Sie war der Idee, den jungen Oberst des 33. Regiments als Gast ihres Vaters in seinem Haus in Poonamallee zu sehen, nicht abgeneigt. Schließlich hatte Sir Charles seine Töchter zu sich nach Indien geholt, um sie zu verheiraten.

      Arthur hatte seine Enttäuschung mit Miss Pakenham zwar noch nicht überwunden, aber dieser Schmerz machte ihn nicht blind. Der Blick war seinem wachsamen Augenpaar nicht entgangen, und noch weniger entgingen ihm die vielen anderen Blicke, die Miss Henrietta ihm ganz unverfroren und selbstbewusst zuwarf. Wie alt mochte die Kleine sein? Achtzehn, vielleicht neunzehn Jahre. Er würde Ashton fragen. Diskret natürlich. Er hatte keinesfalls vor, auf das Fohlen hereinzufallen. Aber nichts sprach dagegen, sich im Rahmen des Anstands und der Ehre eines Gentlemans mit ihr zu vergnügen.

      Als er sie aus dem Augenwinkel betrachtete, ging ihm durch den Kopf: »Du bist viel zu gut für einen Soldaten, bei dem du nicht weißt, ob er zurückkommt, oder ob er dich an deinem zwanzigsten Geburtstag bereits zur Witwe macht.« Er zog seine Uhr aus der Tasche und ließ den Deckel aufschnappen. Es war bereits nach fünf am Nachmittag, und es ziemte sich nicht, Sir Marmaduke und Lady Julia weiter zu belästigen. »Mit Ihrer Erlaubnis«, er verbeugte sich leicht vor Orford, »werden Oberstleutnant Sherbrooke und ich die Ladys jetzt nach Hause geleiten. Oberst Ashton hat Sir Charles versprochen, gut auf Miss Henrietta und Miss Jemima aufzupassen, und wir möchten nicht, dass er sich um seine beiden Schutzbefohlenen sorgt!«

      Henrietta konnte ihre Enttäuschung über Wesleys vernünftigen Entschluss nur mit Mühe verbergen. Sir Marmaduke erwiderte die Verbeugung mit einem Augenzwinkern. »Kommen Sie morgen zum Dinner, Oberst! Ich würde mich freuen, wenn ich Ihnen ein paar Freunde vorstellen dürfte, die Ihren Wissensdurst über Indien besser zu befriedigen verstehen als ich! Um sieben Uhr also, und selbstverständlich sind Oberst Ashton, Oberstleutnant Sherbrooke und die beiden jungen Damen ebenfalls eingeladen. Lady Julia und ich genießen es, in geselliger Runde zu speisen.«

      »Zu gütig von Ihnen, Sir. Sherbrooke und ich nehmen Ihre Einladung mit Freuden an, und was Miss Henrietta und