Peter Urban

Marattha König Zweier Welten Gesamtausgabe


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seine Hand entgegen. Das Boot knarrte bedenklich unter dem zusätzlichen Gewicht des Passagiers. Arthur schenkte dem Knarren und Schaukeln keine Beachtung.

      »Wieviel?« warf er dem Mann forsch entgegen. Als einzige Antwort verzog sich das Gesicht des Inders zu einer erstaunten Grimasse. Der junge Offizier versuchte es noch einmal. Jetzt antwortete man ihm in einem sonderbaren, kaum verständlichen Englisch. Irgendwo hatte Arthur gelesen, dass zehn Rupien ein Pfund Sterling ausmachten! »Gauner!« entfuhr es ihm auf Hindustani. Der Fährmann hatte acht Annas gefordert, um zwei Passagiere zweihundert Meter weit zu rudern. Acht Annas entsprachen elf englischen Pennies. Er stellte in diesem Augenblick erstaunt fest, dass seine intensiven Sprachstudien an Bord der Caroline und der Argonaut doch nicht vergebens gewesen waren, denn mit seinem empörten Aufschrei hatte der Gesichtsausdruck des Fährmanns sich gewandelt, und der Inder grinste den Iren freundlich an. »Sahib, ich wollte Euch nicht bestehlen. Ich dachte nur ... Gebt mir vier Annas für die Überfahrt. Dann hole ich auch Euer Gepäck von Bord und bringe es an Land.«

      Angespornt durch seinen ersten Erfolg, mühte Arthur sich nun ab, dem Inder in ungelenkem Hindustani zu erläutern, dass sein Entschluss ein weiser wäre, während er gleichzeitig John Sherbrooke zu sich auf die Fähre winkte. Wie durch ein Wunder brachte das klapprige Boot beide Passagiere sicher bis zu den Kais von Kalkutta. Arthur drückte dem Fährmann sechs englische Pennies in die Hand, die dieser widerspruchslos und offenbar hochzufrieden akzeptierte. Zum Abschied wagte der Offizier dann noch einmal einen Versuch auf Hindustani: »Laß unser Gepäck auf dem Schiff und sag mir lieber, wo sich hier der >killdar< befindet.«

      Lachend schüttelte der Fährmann den Kopf und antwortete in seinem gebrochenen Englisch: »Für den Stadtkommandanten habt Ihr morgen noch Zeit, Sahib. Aber der Hafenkommandant sitzt in dem großen weißen Gebäude direkt gegenüber.«

      »Hast du dir diese verrückte Sprache etwa auf der Überfahrt angeeignet, Arthur?« erkundigte sich John Sherbrooke. In seiner Stimme lagen Bewunderung und Staunen.

      »Ich hab’s zumindest versucht«, murmelte Wesley, während er sich seinen Weg durch die graubraune Masse ausgestreckter Bettlerhände bahnte. Es kostete den jungen Offizier einiges an Selbstbeherrschung, ernst dreinzuschauen und seine neugierigen Augen, die so gerne nach links und rechts schweifen wollten, um den wundersamen Ort genau zu betrachten, unter Kontrolle zu halten.

      Irgendwo in seinen klugen Büchern hatte er gelesen, dass es üblich war, den Bettlern Almosen zuzustecken, denn die Inder glaubten, eine gute Tat im jetzigen Leben würde Glück bringen, und sie würden dann, im nächsten Leben, in eine höhere, bessere Klasse oder Kaste hineingeboren werden. Also steckte er immer wieder der einen oder anderen schmutzigen Hand einen englischen Farthing zu.

      Hinter ihm machte Sir John Sherbrooke sich ganz dünn, um nicht mit diesen sonderbaren, übelriechenden Geschöpfen in Berührung zu kommen. Man hatte ihm von den schlimmsten, ansteckenden Krankheiten erzählt, und seine Versetzung nach Indien beunruhigte den wohlhabenden Sohn eines unermeßlich reichen schottischen Adeligen mehr, als er offen vor seinem Kommandeur zugeben wollte. Seine Augen fixierten den roten Uniformrock von Wesley, als ob er Angst hätte, sich in dem Menschengewirr und an diesem unbekannten, schrecklichen Ort zu verirren.

      Geschickt und wendig wich Arthur Trägern mit schweren Lasten auf dem Kopf aus. Ab und an verscheuchte er mit einer lockeren Handbewegung Fliegen, die hier allgegenwärtig schienen und ohne Unterschied Arm und Reich, Briten und Inder plagten.

      Das Gebäude, das der Lastschiffer vom Hoogley ihm beschrieben hatte, konnte er schon deutlich ausmachen. Wohltuend hoben sich europäische Ordnung und Sauberkeit von einer unförmigen, weiß gekalkten und bunt bemalten Ansammlung krummer und schiefer Häuschen ab, vor denen Händler ihre Waren auslegten, Schneider um Kunden warben oder Frauen in farbenfrohen, eng um den Körper geschlungenen Tüchern eine warme Mahlzeit anboten.

      »Dem Himmel sei Dank!« entfuhr es John Sherbrooke, als die beiden Offiziere endlich im Büro des Hafenmeisters ankamen.

      »Schade, dass wir uns in den nächsten paar Tagen nur mit dem Ausschiffen und Einquartieren des Regiments beschäftigen werden. Ich muss mir unbedingt die ganze Stadt ansehen«, flüsterte Arthur dem Freund vor Aufregung atemlos zu. Die Tücher der Frauen nannte man Saris, und die Gerichte, die sie feilboten, waren curry, calipash, calipee und vor allem dosa, dünne Pfannkuchen, gefüllt mit Kartoffeln oder Eiern. Über die Schneider und Barbiere hatte er auch viele eigentümliche Dinge gelesen. Er war erst sechsundzwanzig, und die neue Welt um ihn herum faszinierte ihn. Doch er faßte sich schnell wieder, setzte seine dienstliche Miene auf und stellte sich dem britischen Hafenmeister von Kalkutta vor. Bis das 33. Regiment ausgeschifft und versorgt war, hieß es: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.

      In England und Irland war der Februar üblicherweise ein feuchter und kalter Wintermonat. In Bengalen, unterhalb der fruchtbaren Ebene des Ganges und zur Linken und Rechten von unzähligen Flüssen eingekesselt, war es ein glühend heißer Monat, in dem nicht ein Tropfen Regen, nicht ein Windhauch Erleichterung brachten. Tausende von Insekten schienen nur eines im Sinn zu haben: sich auf das frische Blut der Offiziere und Mannschaften des 33. Infanterieregiments zu stürzen und jeden der Neuankömmlinge bis auf den letzten Tropfen auszusaugen! Keiner von ihnen war an dieses Klima gewöhnt, und jeder, vom Trommlerjungen bis hinauf zu den Offizieren, litt am Tage unter der erdrückenden Hitze und in den schwülen Nächten unter den unbarmherzigen Blutsaugern.

      Und obwohl es ihrem jungen Obersten schneller als erwartet gelungen war, sie alle ordentlich unterzubringen, schien das West Riding in diesen Tagen nur noch aus einer endlos langen Krankenliste zu bestehen. Nicht dass es den Soldaten wirklich schlechtging! Die meisten vertrugen nur die gnadenlosen Temperaturen noch nicht, oder sie tranken unverhältnismäßig große Mengen kalten Wassers und bekamen davon Durchfall und Fieber. Oder sie schütteten ihren Brandy pur in die ausgedörrten Kehlen und wurden dadurch binnen weniger Minuten zu taumelnden, schweißüberströmten Kreaturen, die hilflos in sich zusammensanken und Stunden brauchten, um wieder zu sich zu kommen.

      Während Wesley gemeinsam mit den Majoren Shee und West und gefolgt von Sergeant-Major Dunn die Baracken unterhalb des eindrucksvollen Gebäudekomplexes Fort William durchquerte und dabei verärgert die Stirn runzelte, ging ihm durch den Kopf, wie unvernünftig es doch war, die Soldaten in einem subtropischen Land in Uniformjacken aus schwerer schottischer Wolle zu stecken. Die steifen Kragen mit ihren ledernen Einlagen würgten, und unter den roten Röcken zwang man sie noch in enge, hochgeschlossene warme Westen und schwere Hosen aus Manchestertuch. Er konnte die Männer zwar nicht von ihrer Uniform befreien, aber zumindest ein wenig Vernunft walten lassen.

      »Dunn!« winkte er seinen Sergeant-Major zu sich. »Schreiben Sie! Die Soldaten haben sich täglich zu waschen ... von Kopf bis Fuß, und wenn sie noch so murren und maulen! Ihre Hemden und Socken können sie dabei gleich mit ins Wasser stecken! Bei dieser Hitze trocknet der ganze Kram in zehn Minuten. Und ein Mal pro Woche müssen die Strohmatten draußen ausgeklopft und gesäubert werden. Die Baracken werden geputzt und ausgeräuchert und ... besorgen Sie Kalk. Lassen Sie diese verdammten, schmierigen Lehmwände weiß tünchen!«

      Dann fauchte der Oberst in einem wesentlich unfreundlicheren Ton die beiden Majore an, die ihn begleiteten: »Die Männer werden um vier Uhr morgens geweckt, Gentlemen! Pünktlich um fünf Uhr will ich sie jeden Tag auf dem Exerzierplatz antreten sehen. Und dann lassen Sie sie exerzieren! Waffendrill bis zehn oder elf, wenn es anfängt heiß zu werden, und wenn ich hinterher einen einzigen Mann dabei erwische, dass er seine Brandy-Ration unverdünnt trinkt, dann reiße ich Ihnen den Kopf ab.«

      »Aber Sir, was ...?« versuchte Francis West sein Glück. Er hatte nicht verstanden, was Wesleys Befehl eigentlich bewirken sollte.

      Der Kopf des Obersten fuhr herum, seine graublauen Augen funkelten die Untergebenen böse an. »Stellen Sie keine Fragen, Sir! Tun Sie, was man Ihnen befiehlt!« Die Stimme war schneidend wie ein Messer. Dann beschleunigte Arthur seinen Schritt, fast so, als ob er es in den stickigen Baracken nicht länger aushalten könne. »Dunn, zum Teufel! Wo bleiben Sie?« rief er und ließ West und Shee im Halbdunkel zurück.

      Der Sergeant-Major folgte seinem Oberst im Laufschritt. Er hoffte, dass Wesley bei dieser Geschwindigkeit darauf verzichten würde,