Peter Urban

Marattha König Zweier Welten Gesamtausgabe


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vermutete, dass England schon bald von Wesley hören würde, wenn seine Gesundheit dem mörderischen Klima und den Seuchen und Krankheiten, die den Subkontinent heimsuchten, standhielt. In den zwanzig Jahren, die er in Indien verbracht hatte, war Orford vielen Offizieren begegnet – Männern mit einem Patent des Königs und Männern mit einem Patent von »John Company« –, doch nie war ihm einer begegnet, der so schnell so viel begriff und bereits Schlussfolgerungen über ein Gebiet und eine politische Lage zu ziehen vermochte, obwohl er noch nicht einmal seinen Fuß auf indischen Boden gesetzt hatte.

      Während Arthur der kleinen Henrietta mit einem spielerischen Kniefall am anderen Ende des Gartens einen Strauß Jasmin in die Hand drückte, flüsterte Sir Marmaduke Lady Julia zu: »Wissen Sie, meine Liebe, es wird der Tag kommen, an dem wir unseren Freunden in England erzählen können, dass wir diesen jungen Offizier schon kannten, als er noch ein Oberst war. Wenn das Klima oder der Krieg ihn nicht umbringen, wächst hier ein großer Soldat heran und vielleicht sogar mehr als das.«

      »Der junge Ashton hat mir vor ein paar Tagen erzählt, dass man ihm während des unglückseligen Flandernfeldzugs bereits eine eigene Brigade unterstellt hat. Wesley war damals gerade dreiundzwanzig Jahre alt. Und der Junge muss seine Sache wirklich gut gemacht haben. Die Schulterstücke trägt er nicht, weil Lord Mornington ihm das Patent gekauft hat ...«

      Lady Julia schenkte Sir Marmaduke Tee nach und beobachtete weiter amüsiert, wie Arthur Miss Henrietta den Hof machte. Sie hatte nicht das Gefühl, dass es mehr als ein Spiel war, bei dem weder die eine noch die andere Seite zu Schaden kam. So ernsthaft Oberstleutnant John Sherbrooke Jemima umwarb, so unverfänglich und eindeutig war doch Wesleys Verhalten der jüngeren Schwester gegenüber. Seine graublauen Augen sahen ein Kind, das amüsiert werden wollte, und er tat genau das, was ein älterer Bruder tun würde: Wenn Henrietta Tennis spielen wollte, dann war er ein williges Opfer, eifrig bemüht, das Mädchen gewinnen zu lassen. Auf der Tanzfläche gestattete er ihr, ihn zu tyrannisieren.

      In den Blicken, die er ihr zuwarf, konnte Lady Julia keine Leidenschaft oder andere Gefühle lesen. Es war spöttisches oder belustigtes Augenzwinkern oder gespielte Unzufriedenheit, wenn die Kleine zu forsch wurde. Einmal hatte die alte Dame beobachtet, wie Henrietta versuchte, einen Kuss zu provozieren. Bekommen hatte sie einen Nasenstüber und schallendes Gelächter. Lady Julia machte sich nicht einmal mehr die Mühe, ein wachsames Auge auf den Oberst und die Tochter von Sir Charles Smith zu werfen. Sie war erfahren genug, um zu begreifen, dass der junge Mann nach Indien fuhr, um seinen Weg zu gehen. Er würde sich nicht mit einer Frau belasten. Er hatte das Schwert gewählt, auch wenn Henrietta sicher insgeheim hoffte, sie könnte den Sieg über seine Ambitionen doch noch davontragen.

      »Arthur, wann werdet ihr Kapstadt verlassen?« erkundigte sich die jüngere Tochter von Sir Charles Smith. In ihrer Stimme lag ein Hauch von Sorge.

      Der Offizier nahm freundschaftlich die kleine Hand des Mädchens in die seine und führte sie zu einer Bank, die unter einem Zitronenbaum stand. »Setz dich ein bisschen zu mir, Henrietta. Ich glaube, wir müssen uns ernsthaft miteinander unterhalten.« Obwohl sein Verhalten eindeutig war, schien die junge Dame nicht zu verstehen, dass es in seinem Leben keinen Platz für andere Gefühle gab als Freundschaft und Kameradschaft. Die Schiffe würden in zwei Tagen in See stechen, und er hatte beschlossen, ehrlich und offen zu sein.

      Henrietta hatte sich ganz dicht neben ihn gesetzt und ihre Hand auf seinen Arm gelegt. Der Blick, den sie dem Offizier zuwarf, war alles andere als ermutigend. Das Paar blauer Augen strahlte, genährt von der Hoffnung, er würde die verhängnisvollen Worte aussprechen, auf die sie so sehr wartete.

      Er erinnerte sich genau: Kurz bevor das Regiment nach Flandern in den Krieg gezogen war, hatte Kitty ihn mit genau denselben Augen angesehen, nur waren es nicht klare, blaue Saphire gewesen, sondern tiefbraune, kostbare Topase. »Henrietta, wie alt bist du eigentlich?« begann er sein schwieriges Vorhaben.

      »Beinahe achtzehn, Arthur. In zwei Monaten.«

      »Du weißt, dass wir in achtundvierzig Stunden auslaufen?« Es war nicht einfach, die richtigen Worte zu finden. Die Saphire strahlten unwiderstehlich. Das Fohlen war reizend und würde eines Tages zu einer wunderbaren Frau erblühen. Irgendwie ähnelte Henrietta Kitty so, wie er sie in Erinnerung behalten wollte: verspielt, lebenslustig, lebendig und mit einem wachen Verstand. Es wäre so einfach, seine Niederlage in Irland mit fünf kurzen Worten unter einem schwer tragenden Zitronenbaum in einem Garten am anderen Ende der Welt wettzumachen. Doch zwischen diesen Worten und seinem persönlichen Glück stand Indien, ein eiserner Vorsatz, ein Schwur, der wichtiger war als Liebe, Zärtlichkeit, Zuneigung und eine eigene Familie. »Ich habe dich in der kurzen Zeit hier in Kapstadt wirklich liebgewonnen, Henrietta.« Seine Stimme war unsicher, und er hatte Angst, in die strahlend blauen Saphire zu blicken. »Trotzdem ist es sinnlos. Wenn ich dir jetzt die Frage stelle, auf die du wartest, wirst du an deinem zwanzigsten Geburtstag mit großer Wahrscheinlichkeit bereits Schwarz tragen.«

      »Was willst du mir erklären, Arthur?« Die Stimme des Mädchens hatte sich plötzlich verändert. Sie hatte nichts Kindliches, Verspieltes mehr. Wesley hatte sie nicht angesehen, sondern geradeaus geblickt. Er hatte das Gefühl, dass neben ihm nicht mehr die kaum achtzehnjährige Henrietta saß, sondern eine reife, erwachsene Frau. Er wandte sich ihr zu und nahm ihre Hände ganz sanft in die seinen. Jetzt war seine Stimme nicht mehr unsicher, sondern fest und kalt.

      »Du weißt, dass ich Soldat bin. Und ich fahre nach Indien, um in einen Krieg zu ziehen. Du hast etwas Besseres verdient, als die Frau eines Berufsoffiziers zu werden. Du würdest nur deine jungen Jahre damit zubringen, auf einen Mann zu warten, der nie da ist, wenn du ihn brauchst. Bei jedem Klopfen an deine Tür wäre dein erster Gedanke, dass irgendein anderer Mann in einer roten Uniform auftaucht, um dir zu sagen, dass der, auf den du wartest, nie wieder zurückkommt.« »Nicht alle Soldaten fallen, mein Lieber!« erwiderte Henrietta spöttisch. »Manche werden sogar ziemlich alt und sterben in ihren Betten an Herzversagen.«

      »Henrietta, ich kann nur Freundschaft geben.«

      »Sir John Sherbrooke hat offenbar weniger Bedenken als du – und das, obwohl er sicher in denselben Krieg zieht, in den auch du ziehen wirst«, stichelte die Stimme neben Wesley. Henrietta war zwar noch ein junges Mädchen, aber sie war nicht dumm. Als Tochter eines berühmten Gelehrten aus einer großen Familie von Akademikern hatte man auf ihre Erziehung viel Wert gelegt. Sie konnte durchaus mit Worten umgehen.

      »John Sherbrooke ist John Sherbrooke. Er hat seine Einstellung zum Leben, und er muss seine Verantwortung tragen. Vielleicht sorgt er sich nicht um Jemima. Wenn ihm etwas zustoßen sollte, kann er mit der Gewissheit die Augen schließen, dass eine ganze Horde von Sherbrookes – Vater, Brüder, Cousins – existiert, die sich rührend um die Witwe des gefallenen Helden kümmern wird und weder Mühe noch Kosten scheut, um eine ganze Brigade unglücklicher Halbwaisen standesgemäß großzuziehen.«

      »Du hast auch eine Familie, Arthur!« Henrietta gab sich nicht so einfach geschlagen. Oberst Wesley argumentierte logisch und bediente sich schlüssiger Argumente. Doch jeder seiner Thesen konnte man begegnen.

      »Meine Liebe, wenn du jemals in die Lage kommen würdest, vom guten Herz meiner reizenden Familie abhängig zu werden, würdest du den Tag verfluchen, an dem du mich überredet hättest, dir einen Antrag zu machen. Die Wesleys und Morningtons würden dich eher an der Pforte von Dungan Castle vor Hunger sterben sehen, als auch nur einen Bediensteten mit einer Schüssel Suppe zu schicken. Und ich selbst kann dir nichts bieten, außer einem Offizierspatent und den Schulden meines Vaters.« Arthurs Stimme hatte einen bösen, zynischen Klang bekommen. Jedes Mal, wenn er von den Wesleys und Morningtons sprach, erfüllte ihn unbändiger Hass, ein Hass, den er nicht zu unterdrücken vermochte.

      Henrietta spürte seinen Gefühlswandel. Während der Tage am Kap und im Garten von Sir Marmaduke hatte sie viel über Richard Lord Mornington gehört. Die meisten hatten mit Ehrfurcht und Bewunderung über diesen Mann gesprochen, seine Aktionen im Aufsichtsrat der Ostindischen Kompanie gelobt oder von seinen glänzenden Gesetzesvorschlägen im Unterhaus berichtet und davon, dass er ein enger Freund des britischen Premierministers war und das Ohr der Regierung hatte. Einige besonders wagemutige Gäste hatten seinen Namen sogar mit dem Amt des nächsten Außenministers oder Finanzministers