Peter Urban

Marattha König Zweier Welten Gesamtausgabe


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ging er mit ihr zu Lady Julia, um sich für die Einladung zu bedanken und sich zu verabschieden.

      John Sherbrooke verstand ohne Worte, dass sein Kommandeur beschlossen hatte, den vergnüglichen Teil des Tages zu beenden. Er verbeugte sich galant vor der alten Dame und folgte Arthur durch den Garten der Orfords.

      Kapstadt war eine reiche und europäisch geprägte Stadt. Es bereitete zu dieser Tageszeit keine Schwierigkeiten, eine Droschke zu bekommen. Noch vor sechs Uhr abends befanden Jemima und Henrietta sich wieder in Henry Harvey Ashtons Obhut, die Einladung für den folgenden Tag war abgestimmt worden, und die beiden Offiziere des 33. Infanterieregiments machten sich auf den Weg zu ihren eigenen Quartieren am Hafen, unweit des Kais, an dem die Transportschiffe der Soldaten festgemacht waren.

      Arthur hatte sich für diese bescheideneren und weniger eleganten Unterkünfte entschieden, um näher bei seinen Männern zu sein.

      Während die jungen Offiziere Sherbrooke, West und Shee das muntere Nachtleben von Kapstadt genießen durften, zog er es vor, gemeinsam mit dem Zahlmeister des Regiments, Sergeant-Major John Dunn, zu arbeiten. Viele Dinge mussten besorgt werden, bevor die riesigen Schiffe wieder in See stachen. Auf der Überfahrt von England nach Afrika hatten sich einige Nachlässigkeiten eingeschlichen, die Wesley missfielen und derer er für das längere Stück der Reise Herr zu werden gedachte.

      Der Teil des Regiments, der Major West anvertraut und auf drei Schiffen untergebracht worden war, befand sich in Bestform. Die Männer sahen ausgeruht und gesund aus und besaßen eine glänzende Moral. Die, die unter Shee nach Kapstadt gekommen waren, machten einen anderen Eindruck auf den Offizier. Er kannte jeden seiner 733 Soldaten mit Namen. Er wusste um die Vergangenheit seiner Männer, um ihre Vorzüge und um ihre Charakterschwächen. Wenn er sich ein bisschen anstrengte, gelang es ihm sogar, fast wörtlich die Einträge auf den 733 Blättern des Regimentsbuches aufzusagen: Größe, Gewicht, Physiognomie, Bestrafungen und Auszeichnungen, Dienstjahre und Familienstand. Arthur hing mit derselben Leidenschaft und Liebe an seinem West Riding, die ein Mann in seinem Alter normalerweise der Dame seines Herzens zuteilwerden ließ. Nachdem er sicher war, dass all seine Offiziere fort waren und die Soldaten sich vollständig auf den Transportschiffen befanden, gab er Sergeant-Major Dunn ein Zeichen, ihm zu folgen.

      John war der dienstälteste Unteroffizier des Regiments und ein Mann mit makelloser Vergangenheit. Bevor er den Rock des Königs angezogen hatte, war er ein wohlhabender Bauer in den schottischen Bergen gewesen. Nur der Tod seiner Frau und seiner drei Kinder, die von einer schlimmen Pockenepidemie dahingerafft worden waren, hatte ihn dazu bewogen, in die Armee einzutreten. Er war nicht aus Not oder wegen eines kriminellen Aktes den Trommeln des Anwerbungssergeanten gefolgt, sondern weil er – aus Trauer – mit seiner Heimat und seiner Vergangenheit brechen wollte. Als Arthur zum 33. Regiment gekommen war, hatte Dunn dem jungen, unerfahrenen und linkischen Offizier oft diskret geholfen. Im Verlauf der letzten drei Jahre waren aus dem Vertrauensverhältnis gegenseitige Wertschätzung und Respekt geworden. Arthur und Dunn hatten sich auf eine für die britischen Landstreitkräfte ungewöhnliche, ja gefährliche

      Gratwanderung begeben: Wenn niemand in der Nähe war, gestanden sie sich ein, dass sie eigentlich gute Freunde waren!

      Der Oberst schloss sorgfältig die Tür seines Zimmers, während der Sergeant-Major sich aufmachte, Kerzen in dem kleinen Raum anzuzünden. »Sir, ich glaube, die Männer verstehen nicht, dass es in diesem warmen, schwülen Klima notwendig ist, sich täglich mit Seewasser gründlich zu waschen und mindestens einmal pro Woche die Hängematten zu säubern. Sie schlafen so dicht gedrängt, dass der kleinste Floh, den der eine hat, sofort auf die restlichen 149 Rotröcke überspringt. Major Shee versteht es auch nicht. Er war die ganze Überfahrt nur damit beschäftigt ...« Er stockte und warf Arthur einen gequälten Blick zu, während dieser seinen Uniformrock auszog und sich bequem in einen Sessel fallen ließ.

      »Sprechen Sie es doch einfach aus, John! Wir beide wissen es, und jeder bis hinunter zum jüngsten Trommlerjungen weiß es: Shee hat seine Tage mit Kartenspielen und seine Nächte mit Saufen zugebracht.« Der Oberst wies mit der Hand auf den zweiten Sessel im Raum und gebot seinem Zahlmeister, Platz zu nehmen.

      Dunns Reaktion auf die harte und geradlinige Aussage seines Kommandeurs war nur ein leichtes, trauriges Lächeln.

      »Sie sollten mir alles erzählen, mein Freund. Ich war diese fünfzehn langen Wochen nicht mit dem Regiment auf See, deswegen werde ich Major Shee gegenüber nicht mit der Faust auf den Tisch schlagen ... noch nicht.«

      Dunn fuhr sich müde mit der Hand über die Augen und schüttelte den Kopf. »Sir, wenn Rob Seward weiterhin in einer von Shees Kompanien bleibt, wird der junge Mann bald keine Sergeantenstreifen mehr auf dem Ärmel tragen, sondern die Striemen der Neunschwänzigen auf dem Rücken!«

      »Zwischen Shee und einem Tanz mit der Katze stehe immer noch ich, John. So leicht bindet man mir Seward nicht zwischen die Hellebarden.«

      »Rob wird Shee in den nächsten Tagen den Schädel einschlagen, wenn dieser nicht aufhört, Miss Mary zu belästigen. Die Soldatenfrauen müssen Sewards Frau schon vor dem Major verstecken. Er macht dem Mädchen gegenüber bei jeder Gelegenheit anzügliche Bemerkungen, oder er versucht gar, sie zu betatschen.«

      »Gütiger Himmel, die Kleine ist kaum achtzehn Jahre alt und stammt aus einer strengen, katholischen Familie. In der Klosterschule hat man sie unterrichtet und dann dem guten Rob zur Frau gegeben. Und der wacht über sie wie ein Zerberus. Warten Sie, John, bis wir in Indien sind. Ich will Shee in flagranti erwischen, und dann reiße ich ihm die Epauletten von der Schulter. Sagen Sie, mein Freund, brauchen Sie nicht dringend einen Stellvertreter? Ich habe das Gefühl, dieser ganze Papierkrieg ist ein bisschen viel für einen einzelnen Mann.« Oberst Wesley verzog das Gesicht zu einem hinterhältigen Grinsen. Er wollte Ruhe und Ordnung in seinem Regiment. Doch Major Shee hatte es schon seit langer Zeit darauf angelegt, die Harmonie zwischen Kommandeur und Soldaten zu stören. Da es keine legalen Mittel gab, den ständig betrunkenen und bösartigen Offizier loszuwerden, beschloss Arthur, ihn einfach auszumanövrieren.

      John Dunn nickte zustimmend. »In diesem Fall muss Robin – zusammen mit Miss Mary – aber von der Warwick auf die Argonaut überwechseln, damit ich die lange Fahrt nach Kalkutta nutzen kann, meinen Assistenten mit der Buchführung und dem ganzen administrativen Kram vertraut zu machen.«

      »Unbedingt, John! Ich glaube nicht, dass wir vor Ort viel Zeit haben werden, uns mit solchen Dinge zu beschäftigen. Sie werden als erstes gemeinsam losziehen und die Versorgung der Männer sicherstellen. Sir Marmaduke Orford, der gerade aus Fort St. George angekommen ist, hat mir berichtet, wie unruhig die Lage im Dekkan ist, und ich nehme an, dass wir sofort ins Feld geschickt werden.«

      Zufrieden blickten sich der alte Sergeant-Major und der junge Oberst an. Dann erhob sich Wesley von seinem bequemen Sessel, holte zwei Gläser von einer kleinen Kommode und füllte sie mit Brandy. Ein Glas drückte er Dunn in die Hand. Nachdem die beiden Männer getrunken hatten, verabschiedete sich der Sergeant-Major. Arthur löschte alle Kerzen bis auf eine und setzte sich mit Sir Charles Smiths Wörterbüchern an den Arbeitstisch. Er hatte eine lange Nacht vor sich. Jeden Tag studierte er mindestens fünf Stunden die Sprachen und die Besonderheiten des künftigen Kriegsschauplatzes. Der Nachmittag mit Henrietta im Garten war ein Vergnügen gewesen, das ihn nicht von seinen guten Vorsätzen abhalten durfte.

      Wie Oberst Henry Harvey Ashton vermutet hatte, blieb das 33. Regiment vierzehn Tage in Kapstadt. Die Schiffe der Ostindischen Kompanie wurden repariert, frischer Proviant und Trinkwasser für die fünfmonatige Fahrt vom Kap nach Kalkutta wurden geladen, das Pulver und die Munition der Geschütze überprüft. Die Seeleute flickten die Segel und teerten sorgfältig die Rümpfe der Schiffe, denn der Seeweg über den Indischen Ozean, vorbei an Madagaskar und der Île-de-France, entlang der Küsten der Malediven und Ceylons bis in die Bucht von Bengalen und schließlich durch die Gangesmündung nach Fort William war nicht ungefährlich. Außer französischen und amerikanischen Kaperschiffen drohten auch noch Sommerstürme und unberechenbare Winde.

      Wesley hatte jeden einzelnen Tag an Land damit verbracht, mit den Mitgliedern der britischen Kolonie in Kapstadt zu sprechen, die auf dem Rückweg aus Indien waren. Sir Marmaduke Orford hatte es sich nicht nehmen lassen, den jungen