Tibor Simbasi

Der Teufel trug Jeans


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es niemandem aufgefallen. Gratulation oder gar ein kleines Präsent gab es nicht und eine kleine Geburtstagsfeier war absolut undenkbar. Bei einer so großen Familie ist es finanziell gesehen kaum möglich jeden Geburtstag großartig zu feiern. Ein kleiner selbst gebackener Streuselkuchen, zusammen mit den Geschwistern verzehrt, hätte uns aber doch schon gereicht. Wenn es mal einen seltenen Anlass zur Freude gab, dann wurde der gleich wieder zerstört. Ein Schulfreund hat mich mal zu seiner Geburtstagsfeier eingeladen. Als ich nun den Vater um Erlaubnis gebeten habe meinte der nur: „klar kannst du da hingehen aber die Hildegard wird mitgenommen“. Sie war damals gerade einmal 2 Jahre alt. Den Einwand konnte ich vergessen, denn seine Anweisungen waren Gesetz. Der Feier fernbleiben ging auch nicht, denn das hätte er als Auflehnung verstanden. Eine Geburtstagsfeier unter Jugendlichen und dann ein Kleinkind im Schlepptau. Nie wieder hat mich jemand eingeladen. Ein anderes Mal war unsere Tante zu Besuch gekommen. Als sie hörte, dass im Ort gerade die alljährliche Kirmes stattfindet, wollte sie dieses Volksfest unbedingt besuchen. Kurzerhand wurde beschlossen, dass wir alle, Tante, Onkel, Eltern und insgesamt 11 Kinder hin gehen. Oh was für ein Wunder! Wir bekamen sogar eine Karte für das Karussell, doch auch da wurde die Freude über die bevorstehende Fahrt gleich wieder zunichte gemacht. Wir durften uns kein Fahrzeug aussuchen, wie etwa Motorrad, Traktor, Feuerwehrauto. Nein, Vater bestimmte sofort: „alle in den Omnibus“. So saßen wir wie die Heringe darin und waren froh als die Karussellfahrt endete.

      Natürlich ist es ganz normal, wenn in einer Großfamilie die älteren Kinder ihre jüngeren Geschwister hüten aber jeder Mensch braucht auch mal eine gewisse Zeit für sich allein und die war doch recht knapp bemessen. Standen nicht gerade Arbeiten an wurden wir Kinder nach draußen geschickt oder mussten ins Bett gehen. Wir waren lästig und haben beim fernsehen gestört. Als bekannt wurde, dass eine Sonntagsschule gegründet wurde, so eine Art Kirche für Kinder, wurden wir sofort dahin geschickt. Alle ohne Ausnahme. Kein Kleinkind ist eine Stunde still und so störten sie den Unterricht doch sehr. Das war aber Vater total egal. Er hatte seine Sonntagsruhe und konnte fernsehen. Am Abend, wenn wir zu Bett geschickt wurden, musste alles sehr schnell gehen, sonst wurde er richtig wütend. Bei einem Toilettenraum in dem nur eine gusseiserne Wanne stand, 8 Kinder gewaschen werden mussten, oder sich selbst waschen, da geht das nicht immer so rasch, wie man es gerne hätte. Als es wieder mal nicht so schnell ging wie er es gerne hätte brach die Mutter den Waschvorgang ab. Wir sollten ausnahmsweise ohne die Nachttoilette zu Bett gehen. Ich war noch nicht ganz fertig und wollte nun wie von der Mutter geheißen durch die Küche ins Schlafzimmer. Da sah er meine schmutzigen Füße. „So willst du also ins Bett“, hörte ich ihn noch schreien. Dann wurde es auch schon dunkel. Mit einem Topf, der auf dem Küchenherd stand, schlug er mir von hinten auf den Kopf. Daraufhin war ich bewusstlos. Ein Arzt wurde natürlich nicht geholt. Nach einiger Zeit bin ich wieder aufgewacht und mir war übel. Außerdem hatte ich Kopfweh und musste mich übergeben. Als sich mein Wohlbefinden dann einigermaßen gebessert hatte musste ich zu Bett gehen und durfte anschließend zwei Tage die Schule nicht besuchen. Angeblich war ich die Treppe hinunter gestürzt.

      Als die Ärzte auch weiterhin keine Diagnose über die seltsame Krankheit beim Vater stellen konnten, schickte ihn der Hausarzt Anfang des Jahres 1965 kurzerhand zu einer Kur. Das ärgerte den Vater ungemein. Da er aber weiterhin Krankengeld beziehen wollte, musste der Kuraufenthalt wohl oder übel angetreten werden. Zähneknirschend fuhr er also in eine Kurklinik nach Bad Dürkheim in die Pfalz. Wir hatten drei Wochen Frieden, das hieß ‚Urlaub von der Hölle’. Unter Aufsicht der Ärzte konnte er sein selbst gebasteltes Armband, welches die Blutzirkulation behinderte, nicht anlegen. Was konnte man anderes erwarten. Es kam wie es kommen musste. Selbstverständlich durch die hervorragenden medizinischen Anwendungen. Die Schwellung der Hand verschwand auf wunderbare Weise. Der Chefarzt schickte ihn nach einer letzten Kontrolluntersuchung wieder heim. „Sie sind wieder ganz gesund und können wieder arbeiten gehen“, meinte er zum Abschluss.

      Wieder zu Hause war er nur noch zornig. Das Krankengeld wurde nicht mehr gezahlt. Das war nun vorbei. Um weiterhin ein Einkommen beziehen zu können musste er sich beim Arbeitsamt als arbeitsuchend melden. Die Aussicht auf Arbeit wiederum verursachte bei ihm die nur denkbar schlechteste Stimmung. Wahrscheinlich um über neue Möglichkeiten sich vor Arbeit zu drücken nachzudenken war er nur noch am Grübeln, und er hatte mal wieder einen grandiosen Einfall. Durch Zeitungsinserate war bekannt, dass ein Chemiewerk im 6 km entfernten Nachbarort dringend weitere Beschäftigte sucht. Eine besondere Ausbildung sei nicht erforderlich und die Tätigkeit sollte sehr gut bezahlt werden. Damit beim Arbeitsamt ein Nachweis erbracht werden konnte, dass Vater sich um Arbeit bemühen würde, sollten Konrad und ich dort wegen Arbeit für ihn nachfragen. Die Absage, die er natürlich erhoffte, sollte schriftlich bestätigen werden. Als Beweis seiner aufopfernden, schweißtreibenden aber eben doch erfolglosen Suche nach einer Arbeitsstelle. Er schickte uns mit dem Fahrrad dort hin. Es herrschte ein eisiger Winter, weil es die ganze Nacht geschneit hatte. Die Strassen waren mit frischem Schnee bedeckt und es wehte ein kalter Wind. So machten wir uns auf den Weg. Da es nicht möglich war bei diesen schlechten Straßenverhältnissen zu radeln waren die Fahrräder zusätzlicher, unnötiger Ballast. Nur sehr langsam ging es voran. Mühsam kämpften wir uns durch den harschen Schnee, der oft bis zu den Knöchel reichte. Schon sehr bald hatten wir nasse Füße und froren trotz der Anstrengung beim Schieben der Räder durch den hohen Schnee. Endlich, nach gefühlter, unendlich langer Zeit kamen wir dort an. Der Anblick von Konrad und mir muss wohl recht erbärmlich gewesen sein. Nur so konnte ich mir erklären, dass der Pförtner uns bis zur Rezeption im Werk vorgelassen hat. Die Vorzimmerdame des Personalleiters wusste nicht so richtig, was sie mit uns anfangen sollte. War der Chef damit einverstanden zwei Kinder in seinem Büro zu empfangen? Sie kämpfte sichtlich um eine Entscheidung, überwand sich dann und meldete uns an. Nach einer kurzen Wartezeit empfing uns der Personalchef. Als wir sein Büro betraten orderte er über die Gegensprechanlage sofort Tee und Gebäck. Danach durften wir ihn begrüßen und unser Anliegen vorbringen. Ganz ruhig und aufmerksam hörte er zu als wir um eine Arbeitsstelle für den Vater baten. Dabei legte er die Stirn nachdenklich in Falten. Die Dame aus dem Vorzimmer brachte den Tee und das Gebäck. Unser Gesprächspartner gab zu verstehen, dass wir uns bedienen können. Gerne kamen wir dem nach. Währenddessen unterhielten wir uns über belanglose Dinge. Dem Personalchef interessierte alles Mögliche: wo wir herkommen, wie lange wir dort wohnen, ob es uns da gefällt, wie groß die Familie ist, was und wo der Vater schon alles gearbeitet hat und viele andere Dinge. Nachdem alle Fragen beantwortet waren räusperte er sich und meinte: „so nun wollen wir mal auf das eigentliche Thema, den Grund für euren Besuch zurückkommen“. Wieder räusperte er sich. Man konnte sein Unbehagen spüren. Also begann er: „euer Auftreten in Ehren aber hier handelt es sich um den Vater. Dazu folgendes, wenn ein Mann es nicht für notwendig hält sich selbst um eine Anstellung zu bemühen und sich persönlich vorstellt, dann können wir diesen Mann hier nicht gebrauchen. Auch werde ich keine schriftliche Ablehnung ausstellen. Damit würde man ihm ja noch einen Gefallen tun und das machen wir ganz bestimmt nicht“. Damit war das Gespräch beendet, Konrad und ich dankten nochmals für den Tee und das Gebäck und machten uns dann auf den beschwerlichen Heimweg. Da keiner eine Uhr besaß, wussten wir nicht ob bereits viel Zeit verstrichen war. Es müssen etliche Stunden gewesen sein, als wir spät am Nachmittag endlich nass und halb erfroren daheim ankamen. Der Vater wartete schon ungeduldig auf unsere Rückkehr. Kaum hatten wir die Wohnung betreten ging sein Brüllen auch schon los. „Wo seid ihr denn so lange gewesen ? Ich warte hier wie auf glühenden Kohlen und ihr treibt euch in der Gegend herum. Solange Zeit braucht doch kein Mensch für die paar Kilometer. Habt ihr die schriftliche Bestätigung der Ablehnung?“ Ja, nach eventueller Arbeit wurde nicht gefragt. Er wollte nur ein bedauerndes Schriftstück über seine leider gescheiterte Bemühung für eine Anstellung. Als wir seine Hoffnung enttäuschen mussten interessierte es ihn nicht, weshalb oder warum. Die Zornesröte stieg ihm ins Gesicht. Außer sich vor Wut schnappte er sich den Stubenbesen, der immer in einer Nische der Küche stand und drosch damit auf uns ein. In Panik floh ich aus der Wohnung auf die Strasse hinaus, rannte um den Wohnblock und blieb erst an dessen Seite stehen. Dort verharrte ich, blickte ängstlich um die Ecke und schaute, ob mir jemand folgt. Unschlüssig was ich nun tun sollte, fiel mir die Frau auf, die vom Fenster aus dem zweiten Stockwerk des Polizeireviers auf der anderen Straßenseite alles beobachtet hatte. In meiner Not berichtete ich ihr hastig was gerade geschehen ist und bat sie um Hilfe. Im nächsten Moment brach