Tibor Simbasi

Der Teufel trug Jeans


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und dann noch ins Ausland. So weit weg, was wurden sie beneidet.

      Eine Familie aus dem Wohnblock traf es wiederum ganz hart. Die Mutter war nach kurzer schwerer Krankheit verstorben. Zurück blieb ein Vater mit zwei 12 und 14 Jahre alten Söhnen. Der Mann versuchte nun mit allen Mitteln den Kindern die Mutter zu ersetzen und ihnen über die Trauer hinweg zu helfen. An einem Sonntag, etwa 8 Monate nach dem Tod der Mutter begab er sich mit den Söhnen auf eine Fahrradtour. All zu weit kamen sie nicht. Kurz hinter der Ortsausfahrt fuhr ein Pkw in die kleine Gruppe. Seine beiden Kinder wurden tödlich verletzt und nur der Mann überlebte. Nun war er ganz allein. Wir haben ihn alle sehr bedauert aber das half ihm ja auch nicht weiter. Kurz darauf ist er weg gezogen. Es geht immer alles weiter, nur manchmal fragt man sich schon wie und wo.

      Eines Tages, ein Sonntag, klopfte es am Abend an der Tür. Eine Frau stand mit ihrem Kind, ein Mädchen, davor und brachte uns 5 oder 6 ganze Torten. Sie waren bei der am selben Tag ausgerichteten Feier zur Kommunion der Tochter übrig geblieben. Was haben wir Kinder uns gefreut, denn so wunderbarer Kuchen oder gar Torten gab es doch bei uns nie. Das war ein richtiger Festschmaus. Keine Torte hat je wieder so gut geschmeckt wie diese von damals. Die Leute lebten recht einfach und beschaulich, konnten sich noch nicht so viel leisten wie heute, waren aber mit sich und ihrem Umfeld zufrieden. Von der heutigen Hektik war noch nicht allzu viel zu spüren.

      Zu den weniger guten Menschen zählte leider auch der Vater. Nun, da er nicht arbeitete wurde ihm langweilig. Wie sollte ein langer Tag vorüber gehen, wenn man nicht arbeiten will? Die Antwort für ihn war glasklar: anderen das Leben so schwer wie möglich zu machen und das verstand er fabelhaft. In der Waschküche im Keller, die jede Familie zeitweise benutzen konnte, stand ein riesiger Waschkessel, der mit Holz beheizt wurde. Da hinein kam die ganze Wäsche zum einweichen. Je nach Art der Kleidung, Buntwäsche, Feinwäsche oder Kochwäsche, wurde das Wasser mehr oder weniger stark erhitzt. Drei Waschvorgänge waren somit nötig um alle Kleidung zu reinigen. Damit der Schmutz sich löste wurde nach dem Einweichen jedes Wäschestück auf einem Waschbrett kräftig geschrubbt. Danach kam alles in eine mit klarem Wasser gefüllte Wanne und wurde ausgespült. Zum Schluss wurden die Kleidungsstücke zum Trocknen auf die Wäscheleine gehängt. Bei einem 10 Personen Haushalt war das eine sehr schwere Handarbeit und dauerte meist 2 Tage. Diese Tätigkeit wurde nun Konrad zugeteilt. Der Vater kontrollierte alles ganz genau und wehe er war mit dem Ergebnis nicht zufrieden. Dann gab es Prügel. Er schmiss die Wäsche auf den Boden und alles sollte noch mal gereinigt werden. Aus reiner Schikane musste Konrad sehr oft jeden Waschgang wiederholen. Es machte dem Vater sichtlich Vergnügen ihn zu quälen. Die größeren Mädchen mussten Geschirr spülen und abtrocknen. Für weitere Aufgaben waren sie noch zu jung. Da wir durch den Arbeitsverlust des Vaters nun auch nicht mehr genug Brennholz hatten wurde ich oft zum Händler geschickt um Kohle einzukaufen. Stets 2 Zentner musste ich heimbringen. Da es mir nicht möglich war 100 kg auf den Schultern zu tragen wurde mir ein kleiner Kinderschlitten zum Transport mitgegeben. Das war logischerweise meistens im Winter der Fall. Der Händler wog die Briketts oder Steinkohlen auf einer antik-verdächtigen Waage ab und schüttete sie in die Säcke, die mitgebracht werden mussten. Er legte mir diese auch immer hilfsbereit auf den Schlitten. Unglücklicherweise wohnten wir oberhalb vom Ortskern, der Brennstoffhändler befand sich aber unten im Dorf. Ein Schlitten, auf dem ein Gewicht von 100 kg lastet, ist verdammt schwer zu ziehen, vor allem wenn es bergauf geht und wie leider öfters der Fall, nicht genug Schnee auf der Strasse liegt. Der Winter kann sehr lang sein. 2 Zentner Kohle sind schnell aufgebraucht, also musste ich schon etliche Male diesen beschwerlichen Weg gehen. Das war immer eine richtige Plackerei.

      Während wir Kinder und auch die Mutter mit der neuen Heimat recht zufrieden waren gefiel es Vater hier überhaupt nicht. Das war drüben anders. Dies war besser dort, manches gab es da nicht. Andauernd hatte er etwas auszusetzen. Am liebsten wäre er zurück nach Leipzig gegangen. Er sehnte sich nach der alten Umgebung und hatte schlicht Heimweh. Den Weg zurück gab es aber nicht. Man würde ihn sofort wegen Republikflucht an der Grenze verhaften, das wusste er natürlich genau. Der Grund dafür, dass er nicht mehr zurück konnte war auch gleich gefunden. Nicht etwa er war wegen der Kindesmisshandlung von Konrad und die dadurch resultierende Flucht schuldig. Das sah er schon mal gar nicht ein, Schuld hatten immer andere. Der Grund für all sein Dilemma war Konrad: „wegen dem kann ich nicht mehr zurück“, schrie er ihn einmal an. Seine ganze Wut und den ganzen Zorn darüber ließ er immer öfters am Bruder aus.

      Eines Tages musste Konrad den Wohnzimmerboden, der mit Dielen ausgelegt war, schrubben und dann Bohnerwachs auftragen. Danach musste er noch polieren. Dauernd stand Vater dabei und schikanierte ihn. „Das war noch nicht ganz sauber. Dies ist nicht richtig. Da ist noch Schmutz und ein wenig schneller arbeiten“. Er suchte die Nadel im Heuhaufen und wollte ihn nur wieder quälen. Als er dann angeblich unter dem Wohnzimmertisch noch Schmutz sah, griff er sich Konrad am Hemdkragen und schleuderte ihn regelrecht wie einen Hund unter den Tisch. Fast täglich fiel ihm etwas ein, wie er Konrad herum jagen, demütigen und prügeln konnte. Es hatte den Anschein, als wolle der ihn bewusst klein kriegen, kaputt machen. Den Willen brechen, ihm die Seele nehmen, ihn als ein jederzeit benutzbares Lebewesen, ja ihn wie einen Hund abrichten. Ein Sklave der sich nicht wehrt, mit dem man alles machen kann, ein Leibeigener. Wie recht ich mit meiner Vermutung hatte sollte sich schon bald bestätigen. Nun hatte Vater doch die ganze Woche über Zeit um einzukaufen. Er arbeitete ja nichts, sondern lag nur auf der Wohnzimmercouch, sah fern oder schikanierte uns. Ausgerechnet am Sonntag, wenn alle Geschäfte geschlossen hatten, mussten wir oft Zigaretten für ihn holen. Seine Lieblingsmarke gab es auch in keinem Automaten. Es blieb uns daher nichts anderes übrig als bei den dafür in Frage kommenden Händlern an der Hintertür läuten und bitten uns doch Zigaretten zu verkaufen. Am Sonntag Leute, die die ganze Woche hart arbeiteten zu belästigen das war schon peinlich. Und alles nur wegen der Raucherei. Ohne Zigaretten heimkommen, diese Möglichkeit gab es nicht, denn dann gab es Prügel und wir wurden wieder losgeschickt.

      Die Stimmungslage Zu hause bei uns richtete sich meistens nach dem Kontostand. War Geld vorhanden, so war auch das Leben einigermaßen erträglich. Wenn nicht, konnte man die schlechte Laune des Vaters kaum noch aushalten. Dann wurde er rabiat und ließ seinen Frust an den Kindern aus. So ist es auch nicht verwunderlich, dass immer, wenn es Kindergeld gab, eitel Sonnenschein herrschte. Dieses brachte der Postbote, denn es wurde in bar ausgezahlt. Mutter musste den Empfang quittieren um es gleich dem Vater zu übergeben. Meistens dauerte es dann auch nicht lange bis er meinte: „mir fällt die Decke auf den Kopf, ich muss mal raus hier“. Er zog die beste Kleidung an und fuhr mit dem Zug nach Kaiserslautern. Erst sehr spät in der Nacht kam er zurück. Das waren die wenigen Stunden ohne die sonst allgegenwärtige, bedrückende Angst. Solange er außer Haus war konnten wir frei atmen. Das Kindergeld wurde jedoch für 2 Monate ausgezahlt und somit waren diese Momente der Befreiung entsprechend selten.

      Wir sind wohl auch die einzigen Kinder in der Schule gewesen, die sich nicht auf die Ferien gefreut haben. Dann konnten wir dem Elternhaus überhaupt nicht mehr entfliehen, sondern mussten alle Launen vom Vater ertragen. Was waren wir froh, wenn die Schulferien vorüber waren und wir wieder in die Schule gehen durften. Selbst Feiertage, wie Ostern oder das Weihnachtsfest war für uns kein Anlass zur Freude. Im Gegenteil, wir wurden dann nur traurig. Andere Kinder konnten es kaum erwarten bis endlich Heiligabend war und rätselten gespannt über die zu erwartenden Gaben. Wir jedoch wussten genau, es gab dieselben Geschenke wie immer - eben Nichts. Bei uns wurde am Christabend das Wohnzimmer abgesperrt und der Baum vom Vater geschmückt. Nach einiger Zeit durften wir dann in die Wohnstube um den Weihnachtbaum zu bewundern. Hatten wir Glück, so stand auch für die Kinder ein Weihnachtsteller mit Süßwaren dabei, aber nur wenn Geld dafür vorhanden war. Mit den Worten: „So nun habt ihr genug gesehen. Jetzt könnt ihr zu Bett gehen“, wurde der Tag dann abrupt beendet. Es gab keine Gedichte, keine Weinachtlieder, keine persönlichen Geschenke. Auf was sollten wir uns also freuen? Während der ganzen Kindheit bekamen wir nie ein Spielzeug oder andere Dinge, die unsere Herzen hätten höher schlagen lassen. Zum Osterfest war das nicht anders. Einige Eltern aus dem Wohnblock versteckten bei gutem Wetter morgens im Garten die Osternester für ihre Kinder. Bei der Suche beobachteten wir sie dann vom Küchenfenster aus. Was freuten sie sich, wenn sie ihr Nest gefunden hatten. Bunt angemalte Ostereier, Bonbons und meistens ein riesiger Osterhase aus Schokolade, waren darin. Von all dem konnten wir nur träumen.

      Der