Katia Weber

Dutzendgeschöpfe


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einem Bekannten. Wir haben uns getroffen, einen Kaffee getrunken und uns unterhalten. Und dann war relativ schnell klar, dass er Interesse hat. Man spürt das einfach“, berichtete Arne.

      Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte, also schwieg ich.

      „Und du?“

      Arne drehte sich zu mir und sah mich erwartungsvoll an.

      „Was, ich?“

      „Stell dich nicht dumm“, lachte Arne, „Wie sieht’s bei dir aus?“

      „Hm“, machte ich und fixierte Arnes silbergraue Koteletten.

      „Bei mir ist momentan gar nichts los“, entgegnete ich schließlich, „Ich bin noch nicht mal verliebt. Ich bin sonst immer verliebt. Ich weiß auch nicht.“

      Arne reagierte nicht darauf. Er starrte auf einen unbestimmten Punkt auf dem Teppichboden vorm Fenster. Ich musste ihn die ganze Zeit angucken und hatte Angst, dass er es merken könnte. Aber diese Angst war unbegründet. Arne war so in Gedanken versunken, dass er wahrscheinlich für einen Augenblick vergessen hatte, dass ich mit ihm in einem Raum war. Wir verharrten vielleicht ein oder zwei Minuten in dieser Position des Nichts-Sagens und Nichts-Tuns. Zwei Minuten können ganz schön lang sein. Zwischendurch vergaß ich sogar zu atmen. Ich hatte das Gefühl, ein Foto von Arne und mir zu betrachten und gar nicht echt zu sein.

      „Sollen wir was bestellen?“, fragte Arne unvermittelt, „Geht auf mich.“

      „Super“, antwortete ich.

      Ich hatte überhaupt keinen Hunger.

      Ein paar Wochen später hatte Arne einen Job. Nicht als Architekt, sondern als Rezeptionist. In einem Fitnessstudio. Ich konnte es nicht fassen.

      „Aber du bist doch Architekt!“, rief ich aus.

      „Was soll ich machen?“, erwiderte Arne, „Ich finde einfach nichts. Und es ist immerhin besser, als den ganzen Tag nur rumzusitzen und nichts zu tun.“

      Ich war beleidigt, noch bevor ich eigentlich begriff, warum, und ließ mich mit viel Schwung auf einen der armseligen Küchenstühle fallen. Arne wusste sofort, was los war.

      „Oh“, sagte er, „Das hätte ich nicht sagen dürfen. Das war keine Anspielung, echt nicht.“

      „Trampel“, motzte ich.

      Da war ich schon gar nicht mehr wütend auf ihn, aber ich hatte das Gefühl, dass es gekünstelt wirken würde, wenn ich von jetzt auf gleich wieder ganz normal mit ihm umging. Also spielte ich noch einen Augenblick lang die beleidigte Leberwurst. Ein bisschen Drama gehörte einfach dazu.

      Arne setzte sich mir gegenüber an den Tisch, wie am ersten Tag.

      „Es tut mir leid“, sagte er erneut.

      Ich seufzte.

      „Du hast ja recht“, meinte ich dann, „Suchen die vielleicht noch jemanden?“

      Arne lächelte. Mein Blick blieb an seinen Grübchen hängen und in meinem Kopf formte sich ein Wort, dass nur verliebte Menschen benutzen: zauberhaft. Ich versuchte, den Gedanken wegzublinzeln.

      Mach dich nicht lächerlich, Lena.

      „Ich kann ja mal nachfragen“, bot Arne an.

      „Was?“

      Ich hatte den Faden verloren. Mein Blick wanderte von Arnes Grübchen zu seinem Mund und zurück zu seinen Grübchen, und ich hatte urplötzlich fürchterlichen Durst.

      „Ob sie noch jemanden brauchen können“, meinte Arne.

      „Wo?“

      Arne legte den Kopf schief.

      „Äh, Lena…?“

      Ich legte den Kopf ebenfalls schief, um Arne genau in die Augen blicken zu können.

      „Kann ich dich mal was fragen?“

      Arne hob überrascht die Augenbrauen.

      „Klar. Schieß los.“

      „Dieser Typ, den du dir da aufgerissen hast. Was findest du so toll an ihm?“

      Arne überlegte einen Augenblick.

      „Er riecht total gut.“

      Arne musste lachen.

      Ich lächelte schwach. Ich war mit einem Mal todtraurig.

      Arne verschaffte mir einen Job in dem Fitnessstudio. Ich arbeitete mittwochs und freitags, Arne hatte seine Schichten dienstags und donnerstags. Obwohl wir uns im Studio nie über den Weg liefen, hatten wir plötzlich eine ganze Reihe gemeinsamer Bekannter.

      „Ich hasse die Rothaarige“, erklärt Arne und verdreht die Augen.

      Es ist Donnerstagabend und wir teilen uns eine Tiefkühlpizza.

      „Die, die immer das Laufrad vorne rechts haben muss?“

      „Genau die“, bestätigt Arne kauend, „Erstens sieht sie immer aus, als würde sie jeden Moment vom Rad fallen, und zweitens stinkt sie dauernd nach Knoblauch.“

      „Ist mir auch schon aufgefallen“, erwidere ich.

      „Wen hasst du am meisten?“, will Arne wissen.

      „Die Blonde mit der komischen Tätowierung im Nacken. Ich glaube, sie denkt, sie wäre Angelina Jolie. Sie stülpt die Lippen immer so vor.“

      Ich stülpe meine Lippen nach außen, bis ich sie aus den Augenwinkeln unter meiner Nase sehen kann. Arne verschluckt sich vor Lachen, bekommt einen roten Kopf und hustet eine ganze Weile.

      Wer hätte gedacht, dass ich mal in einer WG leben würde, denke ich.

      „Du, am Wochenende kommen meine Eltern vorbei“, verkünde ich dann.

      Arne fragt:

      „Du meinst, dass ich mich dann aus dem Staub machen soll?“

      Ich grinse.

      „Nein. Ich meine, dass meine Eltern vorbeikommen. Wenn du darauf keine Lust hast, solltest du dich tatsächlich aus dem Staub machen. Ansonsten bist du herzlich willkommen, mit uns zu frühstücken. Sie sind ganz nett.“

      Arne wirft mir einen skeptischen Blick zu.

      „Du machst ja echt Werbung für deine Eltern.“

      Ich nehme einen Schluck Kaffee und winke schnell ab.

      „Nein, ernsthaft. Meine Eltern sind wirklich in Ordnung.“

      Arne streicht sich ein paar Mal unsicher durch die Haare.

      „Hast du ihnen gesagt, was mit mir los ist?“

      Ich muss lachen.

      „Dass du auf Männer stehst? Na klar! Dachtest du, ich hätte dich als meinen tollen Liebhaber ausgegeben?“

      Arne ist nicht überzeugt.

      „Ich weiß nicht. Ich sollte wahrscheinlich kein Problem damit haben, aber irgendwie ist mir bei dem Gedanken ein wenig komisch zumute. Immerhin wohne ich jetzt schon seit ein paar Wochen hier und zahle keine Miete. So was finden Eltern nie toll.“

      Da musste ich ihm recht geben. Meine Mutter hatte tatsächlich schon mal eine Andeutung in dieser Richtung gemacht.

      „Weißt du, wir beharren einfach darauf, dass ich ohne dich nie meinen tollen neuen Job im Fitnessstudio bekommen hätte. Wie findest du das?“

      „Total Scheiße“, antwortet Arne.

      Wir müssen beide lachen.

      Am Samstag um 11 Uhr klingelt es.

      Meine Eltern sind immer superpünktlich. Ich habe diese Tugend von ihnen geerbt. Deshalb stehe ich um Punkt zwei vor 11 bereits an der Gegensprechanlage und warte auf das Schellen. Arne gießt derweil die Blumen und tut so, als wenn dies ein ganz normaler