Katia Weber

Dutzendgeschöpfe


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meine Mutter. Sie ist klein und rund und strahlt immer über das ganze Gesicht, wenn sie mich sieht. Es ist so wunderbar einfach mir ihr. Man muss sich nie Gedanken darüber machen, wie man sie beschäftigen kann. Sie freut sich schon, wenn sie mal aus dem Haus kommt. Mein Vater ist da anders. Er ist ein düsterer Mann, hat oft schlechte Laune und zieht gern die Augenbrauen zusammen. Dann sieht er aus wie ein knurriger, zerknautschter Monchichi mit einem schwarzen Stoffbalken auf der Stirn. Manchmal treibt mich seine düstere Miene zur Weißglut. Ich kann launische Menschen nicht ausstehen. Aber da mein Vater mein Vater ist, muss ich ihn natürlich doch gern haben. Schon allein, weil er die Monster unter meinem Bett Abend für Abend in die Flucht geschlagen und mir so oft „Der Wolf und die sieben Geißlein“ vorgelesen hat, dass er den Text irgendwann auswendig konnte.

      „Hallo Schatz“, sagt meine Mutter und wirft sich mir an den Hals.

      „Hallo Mama“, entgegne ich, etwas reservierter.

      Das letzte Mal, als wir uns gesehen haben, hat mir meine Mutter einen Vortrag darüber gehalten, dass ich mir lieber Gedanken über eine private Rentenversicherung machen sollte, statt mein Geld beim Friseur auszugeben und mir die Haare aufdrehen zu lassen. Davon abgesehen, dass ich mir in meinem ganzen Leben noch nie die Haare habe aufdrehen lassen, hasse ich das Wort Versicherung in all seinen Spielarten. Es erinnert mich daran, dass ich jenseits der 30 bin und immer noch keine Kinder in die Welt gesetzt habe. Meine Mutter tut das übrigens auch. Sie kann ein subtiles Miststück sein. Das traut man ihr gar nicht zu, wenn man sie so rund und fröhlich um die Ecke wackeln sieht. Sie sagt dann Sachen wie:

      „Herrmanns sind schon wieder Großeltern geworden. Dabei ist Anne-Kathrin noch ein Jahr jünger als du.“

      Wenn ich darauf erwidere, dass Anne-Kathrin auch zu dumm zum Verhüten ist, werde ich mit einem bitterbösen Blick bedacht. Ich versuche, mich in Nachsicht zu üben. Meine Mutter wünscht sich nun mal ein Enkelkind.

      Meinem Vater sind Enkelkinder, glaube ich, ziemlich egal. Wie er da so im Hausflur steht, groß und dünn, wird mir bewusst, dass er nicht mehr der Jüngste ist. Er verneigt sich leicht, als er mich ansieht. Ich muss grinsen.

      „Hallo Papa“, sage ich, „Willst du mir die Hand schütteln?“

      Mein Vater verzieht das Gesicht. Manchmal findet er mich ganz witzig, heute anscheinend nicht. Er tritt ein, bleibt vor der Garderobe stehen und wirkt ein wenig verloren.

      „Wo ist denn jetzt dieser Mitbewohner?“, will er wissen und hat mal wieder diesen leicht grantigen Unterton in der Stimme.

      „Arne gießt die Blumen“, erwidere ich.

      Genau in diesem Moment kommt Arne aus der Küche. Er hält die Gießkanne in der Hand und bleibt neben mir stehen. Als er meinen Vater sieht, treten seine Augäpfel hervor. Mehr nicht.

      „Guten Tag. Arne“, sagt er mit fester Stimme und reicht erst meiner Mutter, dann meinem Vater die Hand.

      Oh Scheiße, denke ich.

      Keine Ahnung, wieso, aber ich weiß sofort, was los ist. Ich muss noch nicht einmal meinen Vater ansehen. Der hat sich derweil umgedreht und tut jetzt so, als wäre er noch damit beschäftigt, seinen Mantel aufzuknöpfen. Seine umständlichen Bewegungen verraten ihn. Der Mantel ist schon längst offen.

      „Hast du ein paar neue Aufträge?“, fragt meine Mutter.

      „Wie?“

      Ich bin total abgelenkt.

      „Ob du ein paar neue Aufträge hast“, wiederholt Arne und stellt die Gießkanne neben der Garderobe auf dem Fußboden ab, ein untrügliches Indiz dafür, dass er nervös ist. Ich meine, was zum Geier hat die Gießkanne dort zu suchen?

      Ich weiß nicht, wohin mit meinen Händen. Ich möchte sie verstecken, so wie damals, als Arne vor meiner Wohnungstür gestanden hat. Mein Vater dreht sich um und ist kreidebleich. Er geht an Arne vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, und umarmt mich steif. Als ich sein Aftershave rieche, verspannt sich meine Nackenmuskulatur.

      Oh Scheiße, denke ich noch einmal. Zu mehr bin ich nicht imstande.

      Arne und ich haben zwei Campingstühle in der Küche aufgestellt und an den kleinen wackeligen Küchentisch herangeschoben. Wir haben frische Blumen gekauft und in einer Vase auf die Fensterbank gestellt. Auf einer der beiden Herdplatten steht ein Kochtopf, in dem vier Eier vor sich hin hoppeln. Die Eieruhr macht Ticktack.

      Mir steht der Schweiß auf der Stirn.

      Meine Mutter setzt sich auf einen der Campingstühle und sagt:

      „Ach, habt ihr das aber gemütlich!“

      Ich bin entsetzt, weil sie so ahnungslos ist.

      Mein Vater steht immer noch im Türrahmen und sieht aus dem Fenster hinaus. Mich würde interessieren, ob er weiß, was ich weiß.

      Wo ist eigentlich Arne?

      „Arne!“, rufe ich.

      „Ich komme“, ruft Arne und kommt nicht.

      „Setz dich doch“, fordere ich meinen Vater auf.

      Er kommt zögernd näher.

      „Und? Hast du ein paar Aufträge an Land gezogen?“, fragt meine Mutter noch einmal.

      „Irmgard, du weißt doch, dass sie jetzt im Fitnessstudio arbeitet“, wirft mein Vater genervt ein.

      Ich finde nicht, dass er das Recht hat, meine Mutter anzublaffen. Ich werfe ihm einen bösen Blick zu und wende mich dann an meine Mutter. Ich will versuchen, heute ganz besonders nett zu ihr zu sein.

      „Nein, Mama, ich habe momentan keine Aufträge. Aber das ist auch die Zeit. Nächsten Monat sieht’s bestimmt wieder besser aus.“

      Meine Mutter nickt, sieht aber besorgt aus. Natürlich macht sie sich Sorgen um mich.

      „Kind, wenn du etwas brauchst…“

      „Jajaja, Mama“, falle ich ihr ins Wort, „dann sage ich Bescheid.“

      „Und dein Mitbewohner?“, fragt sie dann.

      Eigenartig. Ich weiß nicht, woher die Idee gekommen ist. Sie ist ganz plötzlich da und es dauert nur einen winzigen Augenblick, dann ist sie schon Teil meiner Wirklichkeit. Und noch bevor ich weiter darüber nachdenken kann, hat der Satz meinen Mund verlassen und fliegt zu meiner Mutter hinüber. Jetzt gibt es keinen Weg zurück.

      „Naja. Also, Arne ist ja jetzt auch nicht nur mein Mitbewohner.“

      Meine Mutter macht große Augen.

      „Was? Aber ich dachte, er sei schwul!“, rutscht es ihr heraus und sie spricht das Wort schwul dabei aus, als hätte sie es in ihrem ganzen Leben noch nicht benutzt.

      Ich wage es nicht, meinen Vater anzusehen, aber ich kann hören, wie er das Gewicht von einer Pobacke auf die andere verlagert. Der Stuhl knarzt.

      „Tja“, mache ich, „Ich konnte ihn davon überzeugen, dass wir Frauen doch gar nicht so übel sind.“

      Das klingt so platt, dass es mir eigentlich die Schamesröte ins Gesicht treiben müsste, aber es kommt mir fast so vor, als hätte jemand einen Schalter in meinem Kopf umgelegt. Ich spule ein alternatives Programm ab. Ich bin nicht mehr Ich sondern Die Da.

      Meine Mutter weiß im ersten Augenblick nicht, was sie dazu sagen soll. Ihr Augenlid zuckt nervös, dann setzt sie ein schiefes Grinsen auf.

      „Das ist nicht dein Ernst?“, platzt es jetzt aus ihr heraus.

      Ich nicke.

      „Doch. Mein voller Ernst. Arne und ich sind ein Paar.“

      Der Stuhl von meinem Vater knarzt erneut. Diesmal vorwurfsvoll.

      Als Arne in die Küche hineinspaziert, traue ich mich nicht, ihn anzusehen. Meine Mutter springt natürlich direkt auf und stürmt auf ihn zu.

      „Ach, das ist ja wundervoll“, zwitschert sie, „Willkommen