Katja Piel

Kuss der Wölfin - Trilogie (Fantasy | Gestaltwandler | Paranormal Romance | Gesamtausgabe 1-3)


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sein, aber sie selbst hatte nie etwas mit dem Teufel zu schaffen gehabt!

      Dann hatte man sie zur gütlichen Befragung geholt. Aus dem Raum nebenan war ein Kreischen zu hören gewesen – so bizarr, so fremd, dass sie nicht hätte sagen können, ob Mensch oder Tier dort gequält wurde. Man hatte ihr probeweise die Daumenschrauben angelegt, um zu sehen, ob ihre dünnen Finger für dieses Instrument der Wahrheitsfindung geeignet waren. Da hatte Sibil gestanden. Jetzt saß sie im Kerker und wusste nicht, ob die den Tag der Hinrichtung fürchten oder herbeisehnen sollte. Sie war ausgezehrt und völlig durchgefroren. Die Bucklige hatte ihr schmutziges Wasser aus einer Schale zu trinken gegeben – ein Teil ihrer eigenen, kümmerlichen Ration. Schnell hatte sich hier unten herumgesprochen, dass Sibil niemanden hatte, der sie mit Wasser und Nahrung versorgte.

      Das andauernde Stöhnen, Weinen und Schreien der Gefangenen drang auch durch die Finger in ihre Ohren. Die Geräusche würden sie bis an ihr Lebensende begleiten und ihr vielleicht vorher noch den Verstand rauben.

      Eine Weile wartete sie vergeblich, dass man Katharina zu ihr zurückbrachte. Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, seit die Wachen ihre Ziehmutter mitgenommen hatten. Manchmal gelang es Sibil, ein wenig zu schlafen, doch schlimme Träume jagten sie zurück in eine Wirklichkeit, die noch viel schlimmer war.

      Irgendwann kamen schwere Schritte den Gang entlang. Fackelschein geisterte über die Wände. Sibil kniff die Augen zu und presste sich gegen die Wand. Die Bucklige floh in den hintersten Winkel der Zelle. Nur die Alte blieb reglos liegen. Wächter erschienen und machten vor Sibils Zelle Halt. Die Gittertür wurde geöffnet.

      „Du da!“ Ein Wachmann zeigte auf Sibil. „Mitkommen!“ Als Sibil nicht schnell genug in die Höhe kam, halfen zwei Wachleute nach. Sie zerrten sie in die Höhe, fesselten ihr die Hände auf dem Rücken und stülpten ihr einen stinkenden Sack über den Kopf. „Wo bringt ihr mich hin? Was passiert mit mir?“, fragte Sibil, aber niemand bemühte sich um eine Antwort.

      „Was ist mit der alten Vettel?“, hörte sie den einen Wachmann, und nach einer kurzen Weile den anderen: „Tot. Schafft sie raus.“ Sibil wurde voran gestoßen. Sie stolperte über die Schwelle und hörte, wie hinter ihr das Gitter abgesperrt wurde.

      „Bringt ihr mich zum Verhör?“, fragte sie bang. „Ich wurde bereits verhört und habe gestanden! Ich bin unschuldig, aber ich habe gestanden! Bitte nicht die Folter!“

      „Halt's Maul“, knurrte einer der Wachmänner und schubste sie unsanft vorwärts. Der Sack war voller Ungeziefer, das Sibil im Gesicht kitzelte und unter ihr Hemd kroch. Sibil begann zu weinen. Sie sehnte sich nach ihrer Mutter, die seit vielen Jahren tot war. Wenn Gott Gnade und Wahrheit kannte, würde sie sie bald wiedersehen.

      Sibil wurde ins Freie gebracht. Der Wind schnitt ihr in die nackten Beine. Als man sie hochhob, schrie sie – für einen Augenblick dachte sie, man hätte sie auf den Richtblock gehoben, aber dann waren es nur grobe Holzplanken, auf die man sie warf. In der Nähe schnaubte ein Pferd. Das Holz knarrte. Weitere Menschen wurden zu ihr geworfen. Sibil kroch aus dem Weg und stieß an eine Umrandung. Schnell versuchte sie, den Sack abzustreifen, aber er reichte ihr bis auf die Hüften hinunter, und sie wurde mit einigen Schlägen ruhiggestellt. Rund um sie stöhnten und weinten Menschen oder sagten Gebete auf.

      „Katharina?“, fragte sie verzagt. Keine Antwort. Ein plötzlicher Ruck warf sie um. Hufgeklapper ertönte, und Sibil erkannte, dass sie sich auf einem Wagen befand. Wurde sie aus der Stadt gebracht?

      „Wohin fahren wir?“, schrie sie panisch. „Wohin fahren wir?“

      „Na, wohin wohl“, kam eine heisere Männerstimme von der Seite. „Zum Hexenplatz vor das Tor. Wir sind so viele, da braucht es einen großen Scheiterhaufen. Der Marktplatz fasst das nimmer.“

      Eine eisige Kälte fasste nach Sibils Herz. Sie sollte tatsächlich sterben? Verbrannt werden, während die Menge zusah? Ihr Leben sollte jetzt und hier, in dieser Stunde beendet sein? Das war unvorstellbar. Sie lebte, ihr Herz schlug, das Blut rauschte durch ihre Adern, ihre Muskeln zuckten, und bald sollte das alles einfach aufhören. Das Feuer reinigte und ließ die Seelen aufsteigen, das hatten die Frauen im Kerker gesagt. Würde ihre Seele ins Paradies eingehen? Wie viel hatte sie gesündigt? Sie hatte Schwarzbeeren im Wald gefunden und hatte niemandem etwas abgegeben. Bei der Arbeit hatte sie oft geträumt, und dem Vater auch nicht immer die Wahrheit gesagt. Reichte das für ewige Verdammnis?

      Der Wagen rüttelte durch die Straßen. Irgendwann tauschten die Wachleute einen Gruß mit anderen, und der Wagen tauchte in einen kurzen Tunnel ein. Auf der anderen Seite war es heller, und die Luft roch frischer. Sie hatten die Stadt verlassen. Die Zugpferde fielen in Trab. Sibil schob sich vorsichtig am Rand des Karrens in die Höhe. Sie wusste, wo der Hexenplatz lag. Wenn man einmal durch das Stadttor war, hatte man es nicht mehr weit. Es gab ein kleines Wäldchen in der Nähe, und sie hatte nichts zu verlieren. Sibil stemmte sich hoch und ließ sich nach hinten kippen. Sie schlug unsanft auf dem gefrorenen Boden auf. Der Zufall half ihr und beförderte den Sack halb über ihren Kopf. Während auf dem Karren Warnschreie abgegeben wurden, wand sie sich blitzschnell aus dem Sack und sah sich blinzelnd um. Sie war zu früh abgesprungen. Das Wäldchen lag noch in einiger Entfernung. Sibil sprang auf die Füße und rannte. Die auf dem Rücken gefesselten Hände behinderten sie, doch sie heftete den Blick auf den Waldrand und sah nicht zurück. Hinter ihr ertönten Schreie, und dann hörte sie das Klirren von Waffen und schwere Stiefel auf dem gefrorenen Boden.

      „Bleib stehen, Miststück!“, schrie eine Männerstimme. Sibil legte an Tempo zu, doch der Waldrand wollte nicht näherkommen. Die kalte Luft brannte in ihren Lungen. Dann legte sich von hinten eine schwere Hand auf ihre Schulter. Sibil wurde zu Boden gerissen. Der Wachmann grunzte und stürzte schwer über sie. Eine warme Flüssigkeit platschte auf Sibils Nacken. Sie wand sich unter dem Wachmann heraus und stellte wie betäubt fest, dass ihm der Bolzen einer Armbrust aus der Kehle ragte. Überall war Blut, und der Wachmann röchelte mit glasigen Augen. Sibil stolperte vorwärts. Wenn der unsichtbare Schütze als nächstes sie traf, wurde sie wenigstens nicht bei lebendigem Leib verbrannt. Um sie herum flitzten graue Schatten über das Feld. Von der Straße drang Schnauben und gleich darauf das Hufgeklapper galoppierender Pferde zu ihr. Sie warf einen hektischen Blick über die Schulter. Niemand verfolgte sie. Das Fuhrwerk raste mit durchgehenden Pferden schlingernd davon. Taumelnd erreichte sie die ersten Bäume und brach zusammen. Sie war noch am Leben, obwohl sie nicht verstand, wie. Nun war sie mit nichts als einem dünnen Hemd auf dem Leib mitten in der Wildnis und würde spätestens in der Nacht erfrieren. Sie wollte weinen, aber es waren keine Tränen mehr in ihr. Sie war zu erschöpft, um zu fliehen, als zwischen den Bäumen ein Mann auf sie zu trat. Er war splitternackt, schien aber nicht im Geringsten zu frieren. Er bewegte sich so natürlich über den gefrorenen Boden wie über eine Sommerwiese. Flankiert war er von vier riesigen Hunden – nein, Wölfen – nein... Selbst für Wölfe waren diese Bestien zu groß. Sie waren muskelbepackt und hatten fingerlange Reißzähne, von denen der Geifer troff. Ihre Augen hatten einen merkwürdigen grünen Schimmer.

      „Hab keine Angst“, sagte der Mann und ging neben Sibil in die Hocke. „Du bist in Sicherheit.“ Er löste den Strick, mit dem Sibils Handgelenke zusammengebunden waren, und zog sie hoch. Der Mann war schön, mit dunklen, lockigen Haaren und kräftigen Muskeln. Sein Geschlecht lag dunkel in einem Nest dichter, wolliger Haare, und sein Händedruck war warm.

      „Wie heißt du?“, fragte der Mann.

      „Sibil“, flüsterte sie.

      „Sibil. Ich bin Raffaelus. Das hier sind meine Freunde. Roderik... Adam... Utz... und Marina.“ Er zeigte auf die Kreaturen, die ihn begleiteten. Eine davon, die kleinste, begann daraufhin, sich zu strecken. Sie wurde heller und kam in die Höhe, das Fell verlor sich und zog sich hinter glatte, weiße Haut zurück. Fassungslos sah Sibil zu, wie aus der Kreatur eine schlanke, dunkelhaarige Frau wurde, ebenso nackt wie Raffaelus und genauso wenig beeindruckt von der Kälte.

      „Du hast Mut bewiesen, und Kampfgeist“, sagte sie. Ihre Stimme war ein wenig rauh. Sie trat dicht an Sibil heran, sodass ihre weichen Brüste Sibils Hemd streiften. Ihre warme Hand legte sie an Sibils Wange. „Das hat uns gefallen.“

      „Ihr