Katja Piel

Kuss der Wölfin - Trilogie (Fantasy | Gestaltwandler | Paranormal Romance | Gesamtausgabe 1-3)


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als ich auf einem rostigen Schild das Wort „Chirurgie“ entzifferte, begriff ich, dass wir uns in einem alten Krankenhaus befanden. Es musste schon seit zwanzig oder dreißig Jahren leer stehen. Der Wind pfiff durch die leeren Fensterhöhlen. Putz blätterte von der Wand und wurde von Schimmel überwuchert. Betonbrocken und Steinchen knirschten unter meinen Schuhen, als wir einen langen Gang nach hinten gingen. Links und rechts führten Türen in die ehemaligen Krankenzimmer. Silke führte mich an einem leeren Aufzugschacht vorbei in ein Treppenhaus. Dort stiegen wir nach unten. Hier brannte nur die grüne Notbeleuchtung, die so gut wie kein Licht gab.

      „Aber den Hals brechen soll ich mir nicht?“, murrte ich.

      „Wir sind gleich da“, sagte sie und lächelte unsicher.

      Am Fuß der Treppe war eine breite Tür aus Sicherheitsglas. Daneben hing eine Klingel an dünnen Strippen aus der Wand. Auf der Tür waren schwarze Buchstaben aufgeklebt, die halb abgeblättert waren.

      P A T H L O I E

      Ich atmete tief durch. Der Geruch von nassem, schimmeligem Beton stach mir in die Nase.

      Hinter der Tür waren Stimmen. Ein Stromgenerator ratterte, und Licht fiel aus mehreren Räumen. Vorsichtig stieg ich über eine Pfütze und folgte Silke, die mich in einen Raum winkte. Hier hatte man eine provisorische Garderobe eingerichtet. Ein Tageslichtfluter beleuchtete einen Tisch, auf dem Schminkutensilien aufgebaut waren. Eine kleine, rundliche Frau mit blondem Pagenkopf kam mir entgegen.

      „Hallo“, sagte sie freundlich und streckte mir die Hand entgegen. „Ich bin Annette, deine Stylistin.“

      „Freut mich. Anna.“ Ich nahm unter dem Strahler Platz, und sie begann, mit ihren Farben zu hantieren.

      „Was wird das für ein Shooting?“, erkundigte ich mich. „Sehr modern, nehme ich an?“

      „Ja“, sagte sie. „Die Kleider sind von Black Asylum, kennst du die?“

      „Nein – nie gehört.“

      „Ein Techno-Gothic-Label aus London. Sie bauen gerade einen deutschen Vertrieb auf und brauchen eine neue Fotostrecke. Du hast übrigens einen Shooting-Partner. Sein Name ist Animal.“

      „Oh, super.“ Ich heuchelte Begeisterung. In Wirklichkeit wusste ich nicht, ob ich mich bei einem Partnershooting gut anstellen würde. Ich war sicher mit mir selbst genug beschäftigt. Meine Erfahrungen waren vierzig Jahre alt, und auch damals war ich Gelegenheitsmodel und kein Vollprofi gewesen. Ich begann, die Aktion zu bereuen. Ich hatte ein bisschen über den Laufsteg schweben wollen, hübsche Kleider tragen, Applaus und Blumen entgegennehmen. Ich hatte nicht in einem Abbruchhaus mit einem wildfremden Kerl auf Betonbrocken posieren wollen.

      Aber nun saß ich schon da, und Annette toupierte und zerzauste meine Haare. Sie verwendete mindestens eine Dose Haarspray, um meinen neuen Look zu festigen. Dann schminkte sie mich: blasser Puder, schwarze Augen, ein blutroter Mund. Inzwischen suchte Silke auf einem fahrbaren Garderobenständer meine Outfits zusammen: Lack, Leder, schwarze Spitze, dazu Plateaustiefel mit Zehn-Zentimeter-Absätzen. Mir war klar, dass ich diese Fotos in meinem Studenten-Bekanntenkreis eher nicht herumzeigen würde.

      Gehorsam zog ich mich an. Silke half mir mit den Schnürungen und Reißverschlüssen. Es gab keinen Spiegel in dieser improvisierten Garderobe, aber der Blick an mir hinunter zeigte mir, dass ich sehr aufreizend aussah – wenn man eine Schwäche für Fetischmode hatte. Wir waren gerade fertig, als ein junger, schlaksiger Mann unter der Tür erschien. „Können wir?“ Ich nickte und stakste ihm auf meinen Plateaus hinterher. Annette folgte mir, im Arm die Haarspray-Dose und ein Täschchen mit Utensilien zum Nachschminken.

      Es ging schräg über den Gang in einen großen Raum, der zumindest vernünftig ausgeleuchtet war. Hier erwartete mich ein Set: eine medizinische Liege und ein Blechschrank auf Rollen, daneben ein Tisch mit verschiedenen Utensilien: Verbandscheren, ein Stethoskop, sogar eine große Spritze.

      Ein Typ mit pockennarbigem Gesicht kam mir entgegen, im Mundwinkel eine Zigarette, an der eine Aschesäule hing.

      „Marc Ray“, stellte er sich mit amerikanischem Akzent vor. „Ich fotografiere dich heute. Du siehst gorgeous aus.“

      „Danke“, sagte ich. Der schlaksige Junge war offenbar Assistent und Beleuchter, denn er machte sich sofort an der Technik zu schaffen. Zuletzt lernte ich meinen Shooting-Partner kennen: ein junger, tätowierter Kerl, den man in ein Punkrock-Outfit gesteckt hatte. Er hatte halblange, dunkle Haare und einen muskulösen, rasierten Oberkörper unter einem ärmellosen, zerrissenen Netzshirt.

      „Hi“, sagte er. „Ich bin Animal.“

      „Freut mich“, log ich. Er war hübsch, aber ich hasste ihn. Ich wusste nicht, warum. Hoffentlich musste ich keine Leidenschaft mit ihm spielen. Marc Ray hängte sich seine Kamera um.

      „Und los geht’s. Setz dich auf die Liege, Animal. Und jetzt zieh Anna zu dir runter.“ Animal ging in Pose, packte mich an den Schultern und zog mich auf sich. Ich stemmte meine Hand unter sein Kinn und drehte mich weg zur Kamera. Ich wollte nicht, dass der Kerl mich anfasste. Gleichzeitig lief mir eine brutale Erregung wie rotes Feuer durch die Adern. Ich hätte mich an seinem Blut berauschen können. Ich rief die Wölfin zur Ordnung und spielte weiter mit, kletterte über Animal und stieß ihn rücklings auf die Liege. Ich packte ihn an seinem Netzshirt, dass die Nähte krachten, und zog ihn zu mir hoch. Als er meine Taille umfasste, spürte ich seinen warmen Atem in meinem Gesicht und hätte am liebsten gekotzt. Ich presste meine Hand gegen sein Gesicht und bog den Rücken durch, und die ganze Zeit wurde ich von dem Klick, Klick der Kamera begleitet.

      „Gib's mir ruhig“, keuchte Animal. „Ich stehe da drauf.“

      „Maul halten“, zischte ich und versuchte, von seinem Schoß zu klettern, aber er hielt mich fest und presste mich an sich. Unter seiner engen Lederhose spürte ich seine Erektion.

      „Gorgeous!“, rief Marc Ray. „Give me passion!“ Ich packte zu, rammte meine Fingernägel in Animals Brustwarzen, die sich durch das Netzshirt geschoben hatten, und drehte. Animal brüllte auf, und ich sprang von seinem Schoß.

      „Entschuldigung“, sagte ich mädchenhaft. „Ich glaube, ich brauche eine Pause.“ Marc Ray nickte und zündete sich eine neue Zigarette an. Das protzige, mit Swarovski-Steinen besetzte Feuerzeug warf er auf das Tischchen neben den Laptop. Dann scrollte er durch die Bilder, die bisher entstanden waren, und beriet sich mit seinem Assistenten. Inzwischen schminkte Annette mich nach und verpasste mir eine neue Ladung Haarspray. Animal massierte mit verzerrtem Gesicht seine Brust und funkelte böse in meine Richtung.

      „Gut“, sagte Marc Ray nach ein paar Minuten. „Sind schöne Fotos dabei. Jetzt nochmal eine andere Kulisse.“

      Im hinteren Bereich zog er eine lange, breite Schublade auf, die in die Wand eingelassen war. Sie fasste genau einen Menschen. Er ließ die Beleuchtung anpassen und dirigierte uns dann in die Ecke. Mir hängte er das Stethoskop um, und Animal schnappte sich die Spritze. Aus der Nähe sah ich, dass die Spritze sogar eine echte Nadel hatte. Eine goldgelbe Flüssigkeit war aufgezogen, für Nahaufnahmen vermutlich, wenn eine Attrappe auffallen würde.

      „Ich lege mich da nicht rein“, stellte ich klar. „Ich habe Platzangst.“

      „Keine Sorge“, sagte Marc Ray. „Wir haben ganz andere Pläne mit dir.“ Er lächelte ein falsches Lächeln und nahm die Kamera vor das Gesicht. Ich hob die Arme über den Kopf und hängte mich an den Rand der Schubladenöffnung, posierte mit Blick über die Schulter, spielte mit dem Stethoskop, hielt mir das flache silberne Ende an die eigene Brust und versuchte, Doktorspielchen-Erotik aufkommen zu lassen. Dann kam Animal wieder dazu. Er bewegte sich auf allen Vieren auf die Bahre, die Spritze zwischen den Zähnen. Ich schlang ihm das Stethoskop um den Hals und zog seinen Kopf zu mir. Als ich bemerkte, dass seine Augen plötzlich grün leuchteten, war es bereits zu spät. Er wuchs in meinen Armen, seine Haut riss auf, Fell drängte nach außen. Er stöhnte auf, und während sein Gesicht zerbrach und sich zu dem eines grotesken halb menschlichen Monsters neu ordnete, holte er aus und rammte mir die Spritze in den Arm. Er drückte ab, und fast gleichzeitig begann meine Sicht