Daniel Wächter

Strich


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Päckchen. Es trug die Aufschrift ‚Viagra’.

      „Sieht so aus, als müsste er nachhelfen!“, bemerkte Meyer grinsend und öffnete das Päckchen. Zwei Aluminiumbögen mit einer grossen Anzahl blauen Pillen glitten in Meyers Handteller.

      „Sie verrichten jedenfalls gerade ihren Dienst“, sagte Steiner.

      „Was?“

      „Hör mal!“ Meyer legte den Zeigefinger auf seine Lippen.

      Dumpf hörten sie Geräusche, welche sich beim Näher treten als lautes Stöhnen einer Männerstimme entpuppten. Dazwischen war gelegentlich ein kreischendes Quieken einer Frauenstimme hörbar.

      Meyer und Steiner schauten sich stumm an, verliessen das Wohnzimmer und gingen langsam auf die geschlossene Türe zu, durch die diese Geräusche drangen.

      „Oh ja Baby!“, schreite die von einem starken italienischen Akzent gezeichnete Männerstimme. Sie gehörte zweifelsohne Mario Calvaro.

      „Der eindeutige Akt hinter dieser Tür gilt weniger der Liebe als der Rekrutierung neuer Prostituierten“, mutmasste Steiner philosophisch, worauf Meyer auf die Lippen beissen musste, um nicht laut loszubrüllen.

      Wieder ein Quieken.

      „Oh Mann!“, schrie Calvaro.

      Steiner griff die Türklinke. Meyer hob den Daumen.

      „Mach von hinten, mach!“, schrie eine Frauenstimme mit russischem Akzent. Das Stöhnen verstummte.

      Meyers Zeigefinger gesellte sich zum Daumen.

      „Immer wenn ich will!“, gurrte Calvaro und begann sofort wieder zu stöhnen.

      Meyer reckte den Mittelfinger in die Höhe und Steiner öffnete in einem schnellen Zug die Türe.

      Links von der Türe stand eine mit schwarzem Samt bedeckte Kommode, auf der eine Kerze brannte. Das Bett war wie die Kommode und die Wohnzimmermöbel mit schwarzem Samt überzogen. Auf dem Boden lag ein unordentlicher Kleiderhaufen. Eine hübsche dunkelhaarige Frau mit schmalem Gesicht und eher bleicher Haut kniete nackt auf dem Bett und stützte sich mit den Händen auf der Matratze ab. Mit weit aufgerissenem Mund starrte sie die Beamten an. Der Lustschrei war ihr im Hals stecken geblieben, als sie die beiden Polizisten erblickte. Sie wurde von Calvaro von hinten bestiegen, die Hände um ihre prallen Brüste gefasst. Eine schwere Goldkette baumelte im Rhythmus seiner Stossbewegungen vor der schwammigen Brust. Er hatte noch nicht bemerkt, dass sie Besuch erhalten hatten und stöhnte weiter. Er hielt den Kopf, die Augen geschlossen, im Nacken.

      „Was ist los, Lilijana. Tut es weh?“, fragte er ungeduldig.

      „Du gucken! Tür“, stammelte Lilijana. Calvano drehte den Kopf und öffnete die Augen. Beim Anblick der Beamten hielt er inne.

      „Kann man nicht mal mehr das ungestört machen?“, knurrte er ungeduldig.

      „Also bei uns gehen Vorstellungsgespräche ein klein wenig anders vonstatten“, konterte Meyer trocken, doch Calvaro ignorierte die Bemerkung; stattdessen schleuderte er den Beamten ein harsches „Was ist los?“ entgegen.

      „Petrova ist tot!“ Meyer verzog keine Miene.

      „Na und? Lilijana ist gut genug, nicht wahr?“

      Lilijana nickte. In ihren Augen spiegelte sich das Unbehagen.

      „Wo waren Sie vorgestern?“

      „Ich war arbeiten, den ganzen Tag. Als ich am Abend Petrova instruieren wollte, war sie nicht da!“

      „Wer waren ihre Kunden?“, fragte Steiner.

      “Was?“

      „Welche Freier haben sie gefickt?“

      „Ah. Warten Sie!“

      Calvaro löste sich aus der Verkeilung mit Lilijana.

      „Sie drehen sich um!“

      „Angst, dass wir über ihr kleines Würstchen lachen?“, grinste Steiner.

      Die beiden Beamten drehten sich um.

      „Jetzt können Sie schauen!“

      Lilijana lag auf dem Rücken und zappte sich durchs Fernsehprogramm. Calvaro hatte einen Bademantel angezogen, welcher in der Hüftgegend mit einer riesigen Kordel verknotet war.

      Er befahl den Beamten, ihm ins Wohnzimmer zu folgen und wies sie an, sich zu setzen. Dann verschwand Calvaro wieder und kam wenige Augenblicke mit dem Buch zurück, in dem er bereits am Sihlquai geblättert hatte und Petrovas Foto entnommen hatte. Er nahm eine Kopie aus dem Buch und reichte sie den Beamten mit den Worten „Sie kommt nicht mehr zurück. Schade. War ein gutes Mädchen!“

      den Beamten.

      „Was ist das?“, erkundigte sich Meyer.

      „Eine Liste mit allen Freiern. Aus Sicherheitsgründen sind wir verpflichtet, über alle Gäste Buch zu führen. Jeder Freier muss sich auf einer Liste eintragen, quasi wie in einem Gästebuch eines Hotels. Das ist eine Kopie, können Sie behalten!“

      Lilijana lag immer noch auf dem Bett und zappte sich durch die morgendlichen Wiederholungen der Telenovelas des vergangenen Nachmittags. Sie verstand kaum ein Wort, verstand aber das Prinzip, weil es im Kosovo in jedem Sender auch mindestens zwei dieser täglichen Serien mit dem ewigen Kampf für die Liebe einer Frau zu einem meist verheirateten Mann gibt.

      Da kam Calvaro wieder zurück ins Zimmer. Er nahm sie regelrecht gefangen, das Studium war nur ein Vorwand, sie in die Schweiz zu locken. Lilijana wusste ganz genau, was der Italiener mit ihr vorhatte: Sie sollte als Prostituierte arbeiten und er bewertete mit seiner Vögelei sozusagen ihre Fähigkeiten. Obwohl sie ziemliche Angst hatte, hatte sie Calvaro vorgemacht, dass sie alles hier sehr lieben würde.

      „Endlich sind Sie weg. Jetzt sind wir wieder ungestört!“, sagte Calvaro und legte den Morgenmantel ab. Sie wagte seinen nackten Körper kaum anzusehen, ohne dass in ihr die Erinnerungen an die ewigen Peinigungen hochkamen. Sie war für ihn nur ein Objekt, etwa gleich viel Wert wie eine Gummipuppe. Er umrundete das Bett und bückte sich vor den Nachttisch neben Lilijana. Aus der obersten Schublade nahm er ein kleines Säckchen, gefüllt mit weissem Pulver, Kokain, sowie eine Rasierklinge.

      Er schloss die Schublade und leerte ein kleines Häufchen des Kokains auf das Holz des Tischchens und formte es mit der Rasierklinge zu einer Strasse. Er bückte sich nieder und zog sich den Stoff durch die Nase rein.

      „Droge?“, fragte Lilijana zaghaft.

      Calvaro schaute sie an, lächelte und schüttelte den Kopf. „Nein, ist ganz gute Ware! Du bist dran!“

      Sie schaute ihn skeptisch an. „Ich will nicht!“

      „Du musst!“, sagte Calvaro bestimmt und wiederholte die Prozedere des Kokains. Dann griff er zu einem Trinkhalm, der in einem leeren Martiniglas auf dem Tisch lag und reichte ihn Lilijana. Mit zittrigen Fingern griff sie nach dem Halm.

      „Ganz sanft einatmen! Ist nicht schlimm!“

      „Echt?“, sagte sie leise.

      Calvaro nickte.

      Sie bückte sich zum Tisch, Calvaro senkte seinen Kopf zu ihren Brüsten und begann, an ihrer rechten Brustwarze zu saugen. Seine Zunge tanzte um den hart gewordenen Nippel, während Lilijana das Koks durch die Nasenlöcher zog.

      Sofort begann die Droge zu wirken, die Realität schien ihr zu entfliehen. Sie merkte nur noch, wie sie wehrlos war, als Calvaro sie auf den Rücken drehte, die Beine auseinanderstiess und sich auf sie legte.

      Mit grosser Zufriedenheit drang Calvaro in Lilijana ein. Der Drogenrausch kam ihr gelegen, sie wird sicherlich keine Gegenwehr mehr leisten.

      Kurz vor elf Uhr verliess Menevoie den TGV am Gare de Lyon. Er hatte seinen Auftrag erfolgreich absolviert und nach der kurzen Nacht an der Place de l’Horloge war er in der Früh um 6 Uhr am Gare d’Avignon Centre in den