Daniel Wächter

Strich


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einer Lokomotive. Die leuchteten Stirnlampen, die rote Front der nahenden Lokomotive.

      Hände, die ihn an den Füssen packten und auf den Bahnsteig zurückzogen, gerade noch rechtzeitig, bevor der Zug einfuhr.

      Zu Hause angekommen, schleuderte Meyer seine Aktentasche in die Ecke, warf den Schlüsselbund auf den Tisch, nahm ein Weissbier aus dem Kühlschrank und schaltete den Fernseher ein.

      Nach seinem Schwächeanfall in Weinfelden hatte er entgegen des Rates der entsetzten Passanten einen Arztbesuch abgelehnt und hatte den Zug bestiegen, der ihm beinahe das Leben gekostet hätte und war nach Zürich gegangen, um den RS6 zu holen. Die Autofahrt nach Horgen verlief problemlos.

      Gerade lief auf SFinfo in einer Wiederholung der Tagesschau am Mittag der Beitrag über die Leiche am Sihlquai. Es war kurz vor fünf Uhr.

      „…Zürich am Sihlquai wurde in eine Leiche gefunden. Das Opfer muss zunächst noch identifiziert werden“, dröhnte der Kommentar durch die Lautsprecher von Meyers Fernseher.

      Meyer beugte sich vor, hielt die Flasche an die Kante des kleinen Tischchens und hämmerte mit der Hand so lange auf den Deckel, bis er weggeschleudert wurde. Genüsslich liess er das schäumende Bier die Kehle hinunter fliessen.

      Der Beitrag wurde geschnitten und stattdessen erschienen die Szenen einer Pressekonferenz im Bild. Die Journalisten liessen ununterbrochen ihre Kameras blitzen, in der Angst etwas zu verpassen. Das Interesse galt dem Podium, das notfallmässig in einer Sporthalle in Aussersihl aufgebaut wurde. Auf dem Podium sassen zwei Menschen, eine war Dr. Elisabeth Göhner, Staatsanwältin des Kantons Zürich, und der andere war Philipp Estermann, seines Zeichens Polizeipräsident des Kantons.

      „Wir versichern Ihnen, dass unsere Männer alles in ihrer Macht stehende tun werden, um den Fall zu lösen“, nuschelte Estermann in einen Strauss Mikrofone.

      „Du machst ja nie einen Finger krumm!“, knurrte Meyer. Er war auf Estermann aus bekannten Gründen nicht gut genug zu sprechen.

      „Der Fall ist kompliziert und auf jeden Fall spreche ich den Angehörigen des Opfers unser Beileid aus, und hoffe, dass ihre Identität ans Licht kommt, damit sie einen angemessenen Abschied aus dem irdischen Leben erhält. Vielen Dank!“, beendete Estermann die Pressekonferenz.

      Im TV erschien ein grässlich schwitzender Nachrichtensprecher, der von einer politischen Debatte im Deutschen Bundestag in Berlin zu sprechen begann. Meyer suchte nach der Fernbedienung und wühlte durch die Kissen. Als er sie gefunden hatte, drückte er ohne zu Zögern auf den roten Knopf und liess den Fernseher in den Standby-Status übergehen.

      Er ging in die Küche, schaltete die Kaffeemaschine ein und stellte eine grosse Tasse unter die Düsen. Dann drückte er einen Knopf und sah zu, wie die dunkelbraune Flüssigkeit in die Tasse floss.

      Er nahm die dampfende Tasse und setzte sich trotz der Kälte auf den Balkon, denn Meyer hatte ihn beim Einzug in einen Wintergarten umbauen lassen. Die Aussicht war dieselbe wie im Badezimmer – direkt auf den Zürichsee.

      Unten sah er, wie die Autofähre nach Meilen über den See fuhr. Der Gegenkurs war ebenfalls unterwegs und auf der Seemitte kreuzten sie sich.

      Meyer nippte seinen Kaffee und dachte über die Ereignisse nach. Den ganzen Abend hatte er bekanntlich Zeit, da sie die definitiven Resultate aus der Pathologie abwarten mussten.

      Die entscheidende Frage war: Welches Ziel verfolgte der Täter mit der Tat?

      Gegen diese brennende Frage kämpfte nur ein Gefühl an: Die Trauer um den Verlust seiner Mutter.

      Sie hatte am Ende nur noch gelitten, aber trotzdem ein schönes Ende gehabt, mit der Aussicht auf die Thurgauer Apfelbäume. Meyer wurde schlecht. Er ging in sein Badezimmer und übergab sich. Als er sich das Gesicht gewaschen hatte und sein Gesicht im Spiegel betrachtete, überkamen in die Gefühle. Zitternd wurde er von seinen Schluchzern übermannt, ehe er nicht mehr stehen konnte und auf den Fliesen des Badezimmers zusammenbrach.

      Er überhörte beinahe sein Telefon.

      „Ja?“, sagte er mit leiser Stimme.

      „Hallo Gian! Alles klar?“ Es war Steiner.

      Meyer sagte nichts.

      „He, Gian!“

      „Meine Mutter ist gestorben!“

      Steiner schwieg eine Zeit lang.. „Das tut mir leid!“

      Meyer winkte ab. „Schon okay! Sie hat’s eh nicht mehr gecheckt!“

      Eine Zeitlang schwiegen die beiden.

      “Okay Ramon! Was ist los?

      “Wir haben einen weiteren Toten!”

      Kapitel 5

       13. Dezember, 17:20

      Meyers Audi RS6 bremste brüsk vor dem Wohnblock an der Zwinglistrasse, einer Seitenstrasse der Langstrasse. Meyer war mehrere Male im Stau des Berufsverkehrs stecken geblieben und hatte sich schliesslich Abhilfe mit dem portablen Blinklicht verschafft.

      Der Eingang des Gebäudes war mit rot/weissem Plastikband abgesperrt, zwei Beamten der Stadtpolizei standen daneben.

      Sie nickten, als sie Meyer erspähten und hoben das Absperrband an, damit Meyer – natürlich gebückt – unten durch gehen konnte.

      „Im dritten Stock!“, sagte einer der beiden. Meyer erkannte, dass es sich dabei um Hänzi handelte.

      „Danke“, sagte Meyer und betrat das Treppenhaus. Es war ein typischer Bau aus den Sechzigern. Weisse Wände, dunkelbraune Türen und der Fussboden war mit einem seltsamen dunkelgrauen Boden mit schwarzen Farbtupfern belegt worden. Meyers Schritte hallten kaum, als er auf die Treppe zuhielt. Sie hatte ein metallenes Geländer, die goldene Deckfarbe war bereits an den meisten Stellen abgeblättert.

      Die Wohnungstür im dritten Stock war offen. Im Eingangsbereich hing ein grosses Poster von Siegfried & Roy samt einem weissen Tiger. Die Wohnung war bunt und geschmackvoll eingerichtet – an der Wand hing ein regenbogenfarbiges Schild mit der Aufschrift Gay Pride.

      Steiner stand im Wohnzimmer. Ihm Gegenüber sass ein noch junger Mann, mit T-Shirt und Hose. Seine Lederjacke hatte er über die Sofalehne gelegt.

      Steiner stand auf. „Hallo Gian!“ Er wies auf das Sofa.

      „Das ist Carlos Espinoza, der Freund des Opfers!“

      „Wo ist das Opfer?“

      „Im Schlafzimmer!“, sagte Espinoza und stand auf. „Kommen Sie bitte!“

      Die drei gingen ins Schlafzimmer.

      Espinoza knipste das Licht an. Auf dem breiten Doppelbett lag ein junger Mann, mit einem Anzug bekleidet, auf dem Rücken. Auf der Stirn prangten drei parallele Striche: III.

      „Darf ich vorstellen: Alexander Gerber!“, sagte Steiner. „25 Jahre, Geschäftsführer eines Schwulen-Clubs“ er warf einen Seitenblick auf Espinoza, doch der schien nicht hinzuhören, „an der Heinrichstrasse!“

      „Nummer drei!“, raunte Meyer.

      Oberhalb des Bauchnabels war die Einstichstelle, genauso wie bei der Toten am Sihlquai. Das Hemd war an der Stelle der tödlichen Wunde aufgeknöpft.

      Das Blut war teilweise zu einer rotbraunen Masse geronnen. Es hatte sich auch auf dem Boden ausgebreitet.

      Meyer drehte sich zum Freund des Opfers um.

      „Haben Sie ihn entdeckt, Herr Espinoza?“,

      Carlos Espinoza schluckte heftig und nickte. Tränen rannen ihm übers Gesicht.

      „Ich kam nach Hause und habe Alex hier im Bett gefunden!“

      „Haben Sie Einbruchspuren bemerkt?“

      Espinoza