Daniel Wächter

Strich


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entfuhr es Meyer

      „Sie war nicht meine Nutte.“

      „Das erklären Sie mir jetzt aber mal, Calvaro!“

      „Ganz klar. Sie hat nicht für mich gearbeitet!“

      „Und was zum Henker macht sie dann in Ihrem Wohnwagen?“ Meyer musste auf die Zähne beissen, um nicht laut loszubrüllen.

      Calvaro zuckte mit den Schultern.

      „Haben Sie sie jemals zuvor gesehen?“, fragte Steiner. Er hatte Meyer zurückgedrängt und mit einer beschwichtigenden Geste zur Beruhigung aufgefordert.

      „Nein, naja, doch.“

      „Was heisst das jetzt?“, Steiners Stimme war sehr ruhig, was Meyer in Erstaunen versetzte.

      „Sie wollte bei mir einen Job. Aber ich habe abgelehnt.“

      „Wann war das?“

      „Vor etwa zwei Wochen.“

      „Wie war sie?“

      „Ich habe sie nicht gevögelt!“ Calvaro grinste und bleckte abermals seine gelben Zähne. Meyer sah sich versucht, nach einem Postauto umzusehen, welche sich in Calvaros Zähne spiegelte.

      „Ich meine, Ihr Auftreten!“, grummelte Steiner ungeduldig.

      „Ich weiss, was Sie meinen“, grinste Calvaro, „ein kleiner Witz kann doch niemandem schaden, oder?“

      „Doch“, sagte Meyer knapp.

      „Wie Sie meinen“, seufzte der Zuhälter, „sie hat gebrochen Deutsch gesprochen, mit einem slawischen Akzent. So etwa: Sie haben Arbeit fur mich!“

      Calvaro lachte schallend. Die Polizisten verzogen keine Miene.

      ‚Du redest ja akzentfrei Deutsch, du selbstherrliches Arschloch’, schoss es Meyer durch den Kopf.

      „Gut. Sie haben Sie also abgelehnt. Wem gehörte dann der Wohnwagen?“, sagte er stattdessen, ohne die Miene zu verziehen.

      „Na mir!“

      „Du dummes Arschloch“, geriet Steiner in Rage, „welche Nutte hat sich darin in den Arsch ficken lassen?“

      „Is’ ja gut. Maria Petrova. Aus Bulgarien. Sie ist aber gestern einfach abgehauen, ohne was zu sagen!“

      Meyer biss sich auf die Lippen. Beinahe wäre ihm der Satz ‚ist ihr ja auch nicht zu verübeln’ ausgerutscht. Stattdessen beliess er es bei einem: „Haben Sie ein Foto von ihr?“

      Calvaro wühlte in seiner Tasche und entnahm dieser ein Buch, welches er durchblätterte. Er öffnete eine Doppelseite, welche mit ‚MARIA PETROVA’ in krakeliger Handschrift beschriftet war und löste das Foto heraus. Er übergab es den beiden Polizisten, welche zum Dank knapp nickten.

      „Kommst du mit rauf?“, fragte Steiner, als die beiden Ermittler vor dessen Haustür am Sihlquai just wenige Meter neben dem Tatort, standen.

      „Besprechung, meinst du?“

      Steiner nickte.

      „Okay. Von mir aus!“, sagte Meyer und ging an Steiner vorbei zur Tür. Er klopfte sich den noch spärlich vorhandenen Schnee von den Schuhen.

      „Nanana, nicht so eilig!“, grinste Steiner und drückte sich am Kripochef vorbei. Er fingerte den Schlüsselbund aus der Westerntasche und schloss die Tür auf.

      Wenig später sassen sie in Steiners Küche. Durchs Fenster, das in Richtung Landesmuseum wies, konnte Meyer die immer noch arbeitenden Polizisten sehen. Plötzlich wurde ein dunkler Wagen durch die Absperrung gelassen. Bei näherem Hinsehen erkannte Meyer den Mann mit dem langen Spitzbart, der ausstieg: Es war Dr. Furrer, der Pathologe, der sofort Richtung Tatort eilte.

      „Bin Laden, nicht?“, wollte Steiner wissen, der gerade vor der Kaffeemaschine stand und ebenfalls aus dem Fenster sah.

      „Meinst du?“, Meyer sah seinen Kollegen zweifelnd an.

      Steiner zuckte mit den Schultern.

      Die Maschine hatte gerade unter lautem Getöse ihre Pflicht vollbracht und Steiner servierte Meyer die eine Tasse, die andere schob er zu seinem Stuhl, auf den er sich sogleich setzte.

      „Gut machst du das. Hättest vielleicht besser Kellner als Polizist werden sollen!“, flachste Meyer.

      Steiner schaute ihn entgeistert an, musste aber, als Meyer sich ein Lachen nicht verkeifen konnte, losprusten.

      „Du und dein Schabernack!“, sagte er kopfschüttelnd.

      „Mein lieber Ramon. Alles musst du ja auch nicht ernst nehmen?“ Meyer trank.

      „Das sagt gerade der, der schon einen Puls von 200 bekommt, wenn der Drucker gerade wieder kein Papier hat?“, entgegnete Steiner und schaute Meyer forsch an. Der zog eine Grimasse.

      „Spass beiseite, wir müssen arbeiten!“, sagte Meyer, als er sich geräuspert und den Stuhl zum Tisch gezogen hatte. Auf der Tischplatte hatte er Marias Foto und dasjenige der Toten gelegt.

      „Definitiv nicht dieselben!“, sagte Steiner, nachdem er die beiden Bilder gemustert hatte.

      „Sie sahen sich sehr ähnlich!“, nuschelte Meyer. „Vielleicht gibt es eine Verbindung?“

      „Wie meinst du das?“

      „Hör mal, Ramon! Die Tote wurde in Maria Petrovas, ich sags mal jetzt so, Stammwohnwagen tot aufgefunden und Maria ist weg!“

      Steiner sah auf. „Wie? Du meinst, Maria ist weggelaufen und hat, um das zu vertuschen…“

      „…eine Doppelgängerin engagiert! Genau!“ Meyer nickte heftig und nahm einen Schluck vom Kaffee. „Doch Calvaro ist ein Fuchs und hat’s natürlich rausgekriegt!“

      „Maria hat wohl nicht daran gedacht, dass ihr Leberfleck“ Steiner wies auf den dunklen Fleck ob Marias Oberlippe, „ein so auffälliges Merkmal sei!“

      Meyer seufzte. „Der Typ ist doch schlauer, als ich dachte!“

      „Was machen wir jetzt?“

      „Wir warten auf Dr. Furrers Ergebnisse, die treffen frühestens morgen früh ein. Dann können wir ja noch was über die Petrova herausfinden!“

      „Wieso nicht jetzt?“

      „Das hat keinen Sinn. Die ist eh über alle Berge! Da kommt’s auf einen Tag mehr oder weniger kaum drauf an!“ Der Kommissar schob die leere Tasse in die Tischmitte und stand auf.

      „Wenn du meinst?“, jetzt war es Steiner, der zweifelte.

      „Machen wir uns einen schönen Nachmittag!“, sagte Meyer fröhlich und klatschte laut in die Hände.

      Kurz darauf standen Steiner und Meyer vor Steiners Privatwagen der Marke VW Tiguan, der vor dessen Haustür geparkt war.

      „Soll ich dich beim HB vorne absetzen?“, fragte Steiner.

      „W-Was? Spinnst du? Du willst mich von hier zum HB fahren?“, fragte Meyer irritiert. „Das ist gleich dort drüben. Man ist zu Fuss schneller!“

      „Nein, nein!“, lachte Steiner. „Ich geh noch rüber zu Melinda!“

      „Ach so!“

      „Also, willst jetzt mitfahren?“

      Meyer schüttelte den Kopf. „Danke, aber ich muss noch Weihnachtsgeschenke kaufen. Für die Kinder.“

      „Dann kannst ja trotzdem mitfahren. Das ist keine Ausrede.“

      Steiner öffnete per Fernbedienung die Fahrertür seines Wagens und kletterte hinein,

      „Nein, danke! Diese paar Meter kann ich trotz meines Alters noch gehen! Dann musst du auch nicht einen Umweg machen!“

      Steiner