Joana Goede

Schlussakt


Скачать книгу

in Ordnung. Ich denke, unser Haus ist groß genug.“

      Ich lächelte noch mehr. Tiere hatte ich immer besonders geliebt, mit ihnen kam ich auch meistens besser aus als mit Menschen. Besonders Katzen liebte ich, weil sie einen stark ausgebildeten Charakter und stets ihren eigenen Willen hatten. Ich wandte mich an meine Pflegeeltern und bedankte mich bei ihnen, indem ich sie einmal kurz umarmte. „Ich werde nachher mal einkaufen fahren. Mal sehen, was man für kleine Katzen alles braucht.“, murmelte Bernhard, überrascht von meiner Umarmung und verließ die Küche. Eigentlich war es nicht meine Art, so einen Akt der Dankbarkeit durch Umarmungen zu unterstreichen, da ich nicht viel von überflüssigen Sentimentalitäten hielt. Ich folgte Bernhard mit dem Korb und setzte mich im Wohnzimmer auf das Sofa. Die kleinen Kätzchen begannen schon in dem Korb herum zu klettern und als das erste herauspurzelte und neben mir aufs Sofa plumpste, nahm ich sie alle drei heraus und setzte sie auf meinen Schoß. Dort kuschelten sie sich in meinen Wollpullover und dösten vor sich hin, wodurch ich Zeit hatte, sie eingehend zu betrachten. Faszinierend fand ich besonders die großen blauen Babyaugen und die im Vergleich zum winzigen Kopf riesigen Fledermausohren. Meine Ferien waren also gerettet. Und meine Einsamkeit musste ich nun auch nicht mehr allein ertragen.

      Auch wenn kleine Kätzchen schlafen, bewegen sie sich die ganze Zeit, geben unruhige Laute von sich und fahren ständig ihre Krallen aus und ein, als wenn sie sich im Schlaf im Kampf erproben würden. Ich musterte die Drei genau, um mir ihre Eigenheiten einzuprägen. Zwei waren braun und beige getigert, mit weißen Pfoten und eine hatte auch noch weiße Flecken an Schwanz und Kopf. Die andere war schwarz, bis auf eine weiße Schwanzspitze. Alle Drei waren sie unheimlich niedlich, so dass es mir sehr schwer fiel, den Blick überhaupt von ihnen abzuwenden, als Madeleine mit warmer Milch hereinkam. Die Katzen standen für die nächsten Stunden im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses, wurden verhätschelt, verwöhnt und mit allerhand Spielzeug überhäuft. Zum Schlafen kamen sie gar nicht, obwohl sie wohl noch so klein waren, dass sie es nötig gehabt hätten.

      Schon vor Mittag war Bernhard mit Babykatzenessen und zwei Katzentoiletten, sowie diversen Katzenspielsachen und mehreren Fressnäpfen aus der Stadt zurück gekommen, und zu dieser Zeit hatte ich den Kätzchen auch schon allen Namen gegeben.

      Die getigerte hatte ich Felix genannt, der typische Katzenname, der mir aber zu dieser besonders gut zu passen schien. Zwar wusste ich noch nicht, welche der Tiere weiblich oder männlich waren, aber es gab ja zu fast jedem männlichen Namen eine weibliche Komponente. Das getigerte Kätzchen mit den weißen Flecken nannte ich Balthasar, da es besonders kräftig wirkte und Balthasar wie ein starker Name für eine Katze klang. Vielleicht spielte auch das Weihnachtsgefühl noch eine Rolle bei der Namensgebung, aber ich sträubte mich gegen die Namen Kaspar, Melchior und Balthasar, obwohl Madeleine darauf bestand und erst nach einigen Diskussionen davon abzubringen war.

      Das schwarze Kätzchen war das kleinste, aber auch das verspielteste und dieses erhielt von mir den Namen Figaro. Begründen kann ich das nicht. Es passte einfach. Außerdem hörte ich damals sehr gern Opern, unter anderem auch Le Nozze Di Figaro von Mozart. Das erklärt vermutlich zumindest meine Assoziation.

      Am Nachmittag stellte sich heraus, dass es sich bei dem getigerten Kätzchen um ein Mädchen handelte, jedenfalls behauptete das der Tierarzt. Es wurde also kurzerhand in Felicitas umbenannt, aber das schien es wenig zu stören.

      Der Tierarzt war eine sehr merkwürdige Gestalt. Ich hatte alle Kätzchen in einem Korb und saß mit Bernhard im Wartezimmer in dessen Praxis. Da wimmelte es nur so von erkälteten Katzen, Hunden, die im Kampf ein halbes Ohr oder ein Auge verloren hatten, Kaninchen aller Arten und Größen und Meerschweinchen, die mir ziemlich normal erschienen und vielleicht nur ein bisschen Bauchweh hatten. Die Kätzchen interessierten sich für alle anderen Tiere und ich hatte alle Hände voll zu tun, da ich aufpassen musste, dass keines blitzschnell aus dem Korb verschwand, um den großen Hund unter dem Stuhl neben mir zu beschnuppern.

      Der Tierarzt, ein älterer Herr mit tausend Tierhaaren auf seinem Kittel und einer dicken Hornbrille, die seine Augen derart vergrößerte, dass ich es mit der Angst bekam, bat uns nach einiger Zeit in den Behandlungsraum, wo ich den Korb auf den Tisch stellte. Ohne Bernhard und mich in irgendeiner Form zu begrüßen, grabschte er sich mit hartem, rücksichtslosem Griff eines der Kleinen heraus und starrte es fachmännisch an, als wäre es irgendein wertloses Ding. Es war Felicitas, die es als erstes erwischte. Zunächst wurden wir über ihr Geschlecht informiert und dann begann der Arzt mit einem langen, ausführlichen Vortrag über die unausbleiblichen Konsequenzen, wenn man kleine Kätzchen zu früh von ihrer Mutter trennte. Dabei beäugte er erst Bernhard und dann mich äußerst kritisch und seine Augen funkelten böse. Durch die Vergrößerung der Brillengläser wirkte dieses Funkeln noch eindrucksvoller. Als er geendet hatte, klärte ihn Bernhard darüber auf, wie wir die Kätzchen erhalten hatten, um ihm klar zu machen, dass wir nicht die Bösewichte in diesem Spiel waren, und der Tierarzt runzelte betrübt die Stirn, nahm sich ein Kätzchen nach dem anderen vor und untersuchte es genau, äußerte sich allerdings nicht dazu. Meine Kleinen aber schrien natürlich wie am Spieß und fingen erst an sich zu beruhigen, als wir das Zimmer verlassen hatten und ich draußen mit ihnen beim Auto wartete, während Bernhard bezahlte. Hauptsache sie waren gesund.

      Ich hatte mir indessen mehrmals die Frage gestellt, woher die Kätzchen eigentlich kamen. Es war weder eine Karte noch ein Brief bei ihnen gewesen, der es erklärt hätte. Madeleine meinte, dass es so viele Katzen gäbe, dass gewiss jemand eine Möglichkeit gesucht hatte, seine loszuwerden.

      Damit gab ich mich zunächst zufrieden. Schließlich war ich froh darüber, dass ich die Drei hatte, denn ein bisschen einsam hatte ich mich schon gefühlt. Aber die Frage beschäftigte mich doch immer wieder.

      Fortan schliefen sie in meinem Zimmer. Mal lagen sie im Bett oder eingekuschelt in ein weiches Sofakissen, dann dösten sie auf dem Teppich oder im Kleiderschrank, aber sie waren unzertrennlich, denn ich traf nie eines allein an.

      Über diese Aufregung hatte ich meinen Plan, die Familie zu verlassen und mein wirkliches Leben zu finden, zur Seite geschoben. Außerdem hatte ich jetzt Verantwortung für die drei Katzen, die mir immer überallhin im Haus folgten und mit denen ich den ganzen Tag spielte. Das war irgendwie eine völlig neue Art zu leben. Ich fragte mich nicht selten, wie ich es solange ohne Tiere hatte aushalten können. Wie ich schon sagte, ich wurde häuslich.

      Nun rückte Silvester näher. Die Straßen waren immer noch mit einer puderigen Schneeschicht bedeckt, nur die Hauptstraßen waren frei, bis auf den grauen Schneematsch, der sich an ihren Rändern auftürmte. Diese hässliche Seite des Winters zeigte sich immer nur hier bei uns, davon war ich überzeugt. Auch der Schnee war nicht gerade toll. Zum Fahrrad fahren, ohne sich in den Kurven unfreiwillig und äußerst schmerzhaft hinzulegen, war es zu viel Schnee, und um einen Schneemann akzeptabler Größe zu bauen, war es definitiv wieder einmal zu wenig. Winter ade, dachte ich jedes Mal, wenn ich aus dem Fenster sah. Wer wusste denn schon, wie lange wir überhaupt noch Schnee haben würden?

      Sylvester verbrachte ich immer auf die gleiche Art und Weise. Ich saß in meinem Zimmer und las oder schrieb etwas, doch um Mitternacht ging ich hinaus auf den Balkon und betrachtete den buntbesprenkelten Himmel, an dem immer neue Farben und Formen entstanden.

      Meine Familie besuchte zu Sylvester immer Freunde in einer größeren Stadt, etwa zwei Autostunden entfernt. Dort blieben sie die ganze Nacht, um kamen meistens erst in der Mitte des nächsten Tages wieder.

      Seit ich alt genug war, um allein zu bleiben, hatte ich mich geweigert mitzufahren und den Beginn des neuen Jahres mit Menschen zu feiern, die ich nicht mochte. Diese Familie mochte ich deshalb nicht, weil ich alle ihre Mitglieder unglaublich nervig fand. Sie hatten drei kleine Kinder und eines brülle lauter als das andere oder machte auf jede erdenkliche Weise Krach. Das älteste spielte ununterbrochen die zahlreichen Handyklingeltöne ab, da es ein neues Handy zu Weihnachten bekommen hatte (übrigens passierte das jedes Jahr). Das Mittlere schrie die ganze Zeit nach Süßigkeiten und quengelte so lange, bis die Mutter nachgab. Und das Jüngste, das noch so klein war, dass ich ihm nie zugetraut hätte, irgendetwas zu tun, terrorisierte alle anderen, weil es wie angestochen brüllte und nacheinander den ganzen Inhalt seines Bettchens auf den Fußboden warf, so dass der Vater gezwungen war, immer wieder aufzustehen