Joana Goede

Schlussakt


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in einem aufstieg. Ich sprang an den Schreibtisch und brachte ein paar Zeilen guter, pessimistischer Dichtung zu Papier. Ich steckte meine ganze Wut und meine Verzweiflung in diese Verse und anschließend zerriss ich sie und warf sie in den Papierkorb. Ich fühlte mich besser, viel besser. Hätte ich alle Gedichte gesammelt, in denen ich mich schon auf künstlerische Art und Weise an Constanze gerächt hatte, wäre es jetzt sicherlich ein mindestens dreibändiges Werk der schauerlichsten Gruselliteratur. Nicht zumutbar für einen normalen Verstand, der einbahnfrei funktionierte. Ein Geniestreich.

      Der erste Tag im neuen Jahr gehörte wie immer zu den sinnlosesten des ganzen restlichen Jahres. Eigentlich hätte man diesen Tag getrost aus dem Kalender streichen können. Die meisten verbrachten ihn im Bett oder vor ihrem Fernseher und dösten regelmäßig wieder ein.

      Ich hatte schließlich doch Schlaf gefunden, als die ersten Sonnenstrahlen sich schon am Horizont zeigten, und hatte folglich fast den ganzen nächsten Tag verschlafen. Oder besser, ich hätte ihn sicherlich verschlafen, wenn die Kätzchen mich nicht gegen Mittag geweckt hätten. Ich fühlte mich alles andere als erholt, das schien ja in letzter Zeit zur Gewohnheit meines Schlafes zu werden, mich mehr zu schwächen als zu stärken. Ich fühlte mich von meinem Organismus verraten. Erst kroch ich aus dem Bett, um für die Kätzchen etwas zu essen zu besorgen, doch als ich endlich schwankend da stand und mir die Augen rieb, überfiel mich auf einmal ein fürchterlicher Kopfschmerz. Vor meinen Augen verschwamm das Zimmer zu einer klebrigen Masse nicht kontrollierbarer Bestandteile, die mir einmal ganz nah und dann wieder so weit weg erschienen, dass ich mich klein und hilflos fühlte, als hätte mich alles verlassen. Ich schloss die Augen und ließ mich nach hinten fallen, landete allerdings nicht auf dem Bett, wie ich gehofft hatte, sondern auf dem Teppich und hielt mir vor Schmerz den Kopf. Es war, als würden Stimmen mich zersprengen wollen, Stimmen, deren Sprache und Worte ich nicht verstand, die mich erschreckten und meine Ohren wegen der ungeheuren Lautstärke materten, als stände ich direkt neben einer Flugzeug Turbine. Dann prasselten Farben und Lichtblitze auf mich ein. Die einen brannten in meinen Augen, die anderen stachen hinein, als beständen sie aus unzähligen kleinen Nadeln, die nächsten schlugen mit solcher Wucht zu, dass sie mir fast die Besinnung raubten.

      Mit einem Mal fühlte ich mich an der Schulter gepackt und geschüttelt. Ich wehrte mich, wollte die Augen öffnen, doch konnte es nicht, weil das Licht so grell war. Alles um mich herum war fremd, Furcht erregend fremd, ich hörte kein Geräusch, nur die Stimmen, die sich anhörten, wie eine unheimliche Musik, unmenschlich hoher und schiefer Töne, begleitet von einer unvorstellbaren Dissonanz. Eigentlich waren es keinen Stimmen sondern Laute. Ich konnte auch diesem Schwall nicht entkommen, ich war eingeschlossen und gefangen, konnte mich nicht losreißen, wurde festgehalten und herum geschoben. Ich hielt mir die Ohren zu, doch es wurde nur noch schlimmer, lauter, immer lauter.

      Dann war alles schwarz und still. Mit einem Mal war alles fort, die Stimmen, die Musik, die Angst, einfach alles. Mit einem Mal lag ich im Bett unter meiner Decke und nahm die Hände von meinen Ohren, die ich mir immer noch zuhielt. Mein Körper war verkrampft und schwach, noch schwächer als vorher und ich fühlte mich wie ausgesaugt, mein Kopf war völlig leer. Und ich spürte Kälte in mir, als wäre ich von innen gefroren und würde nur langsam wieder auftauen. Als ich die Augen einen Spalt weit öffnete, sah ich Madeleines besorgtes Gesicht und ihre erschrockenen Augen. Sie saß neben mir auf der Bettkante, streckte eine Hand aus und streichelte meinen Kopf. „Wir dachten schon, wir hätten dich verloren.“, sagte sie leise, doch ich antwortete nicht. Meine Zunge war so schwer, dass ich kaum schlucken konnte und in meinem Kopf fand ich keine Worte. Ich hörte zwar, was Madeleine mir sagte, konnte es aber nicht verstehen, die Worte ergaben keinen Sinn. Ich wollte schlafen. Nicht nachdenken und auch nicht sprechen, ich wollte nur vergessen und schlafen, also schloss ich die Augen wieder. Ich wollte Ruhe.

      Tatsächlich musste ich wohl eingeschlafen sein, denn als ich die Augen das nächste Mal öffnete, war es draußen schon wieder dunkel. Nur meine Nachttischlampe brannte und spendete etwas Licht. Neben mir in meinem Schaukelstuhl saß Madeleine und schlief. Sie hatte wohl die ganze Zeit an meinem Bett gewacht, aus Angst, dass sich so etwas noch einmal wiederholen könnte.

      Ich betrachtete sie. Sie sah erschöpft aus und unruhig, ihre blonden Haare, die mit vielen grauen Strähnen durchzogen waren, wirkten zerzaust und ungekämmt, ihr Gesicht war bleich und grau.

      Ich sah mich suchend um, doch die Kätzchen waren nicht da. Bernhard hatte sie sicherlich nach unten gebracht, wo sie fressen und spielen konnten, ohne jemanden zu stören oder gestört zu werden. Ich richtete mich mühsam auf und griff nach der Wasserflasche auf meinem Nachttisch, die ich gestern Abend dort abgestellt hatte. Es kostete mich viel Kraft, sie zu öffnen, doch als sich der Deckel unter lautem Zischen drehte, öffnete Madeleine erschreckt die Augen. Als sie mich erblickte, schien sie allerdings erleichtert. „Ich bin wohl eingeschlafen.“, sagte sie, überflüssigerweise und lächelte, als wäre es ihr peinlich. Ich schwieg und nahm einen Schluck aus der Flasche. Das Wasser schmeckte säuerlich, als hätte es jemand mit Essig versetzt, doch ich trank es trotzdem, um meinen fürchterlichen Durst zu stillen und meinen trockenen Mund zu besänftigen. Was war das für ein Alptraum?

      „Was war denn los mit dir?“, fragte Madeleine, als ich die Flasche wieder geschlossen und zurückgestellt hatte. Ich starrte sie nur an und bekam kein Wort heraus. Einerseits hätte ich mir gern all das von der Seele geredet, um es mit jemandem zu teilen, es belastete mich so sehr, doch andererseits wollte ich mich auf keinen Fall erinnern. So zog ich es vor zu schweigen und Madeleine schien das zu akzeptieren, auf jeden Fall fragte sie nicht mehr weiter nach. So ging der erste Tag im neuen Jahr also zu Ende, ohne dass ich irgendetwas von den anderen Geschichten mitbekommen oder erfahren hätte, denn auf einmal war ich mitten in meiner eigenen Geschichte, auf deren Suche ich mich hatte machen wollen, doch die nun scheinbar mich gefunden hatte, lange, bevor ich dazu bereit gewesen wäre. Welch Ironie, die sich hinter der Fassade des Schreckens verbarg, der mich heimsuchte. Ich hatte Angst davor, noch einmal etwas Vergleichbares zu erleben und ich hatte Angst vor den Folgen. Aber eigentlich hatte ich mir doch ein abenteuerliches Leben gewünscht. Ich hatte es mir jedoch völlig anders vorstellt und war nun durchaus bereit wieder auf dieses Neue zu verzichten. Doch leider war ich schon mitten darin.

      Kinobesuch

      Die Aufregung hatte sich bald gelegt. Nach den Feiertagen war ein Arzt gekommen und hatte mich von oben bis unten genau untersucht, allerdings nichts Ungewöhnliches festgestellt, außer, dass der junge Patient unter Stress litt. Das könne durch alles Mögliche verursacht worden sein, sagte er, doch wie das gerade in der Mitte der Ferien passieren konnte, war ihm schleierhaft. Zwar äußerte ich mich nicht dazu, ich war sowieso sehr viel ruhiger geworden, als vorher, aber im Stillen fragte ich mich das auch. Mein Geheimnis hatte ich mit niemandem geteilt und aus Angst, mich irgendwie zu verraten, zog ich es vor zu schweigen. Musste schließlich niemand wissen, dass ich im Stillen eine Flucht plante. Wäre dieser Fluchtplan nicht von vorneherein zum Scheitern verurteilt und mit zahlreichen Hindernissen gespickt gewesen, hätte ich mich mit Sicherheit wohler gefühlt.

      Der Arzt vermutete, dass es sich um einen starken Migräne-Anfall handelte, der mir so zugesetzt hatte und er schrieb mir Tabletten auf, die ich beim nächsten Mal nehmen sollte. Das warf allerdings die Frage auf, wie ich in diesem Zustand der geistigen Umnachtung, in den mich die Migräne versetzt hatte, in der Lage sein sollte zu denken und das Gedachte in die Tat umzusetzen. Ich bezweifelte meine Kompetenzen, in genau diesem Moment eigenständig zu den Tabletten zu greifen und sie zu schlucken. Diese Zweifel behielt ich allerdings für mich, aber ich dachte mir meinen Teil. Dass das eine harmlose Migräne gewesen war, begleitet von starken Kreislaufproblemen und an sich nichts gefährliches, war mir klar, doch ich grübelte Tagelang vor mich hin, was sie denn verursacht haben könnte. Das war die Preisfrage. Leider verhielt es sich mit dieser Frage so ähnlich, wie mit dem seltsamen Traum in der Silvester-Nacht, denn ich konnte mich bald an nichts mehr erinnern, bis auf ein schreckliches Gefühl und die Angst. Die Angst vergaß ich nicht. Alles andere flutschte mir durch die Finger wie ein glitschiger Fisch, ungreifbar für mich. Da ich keine sehr durchsetzungsfreudige und selbstüberzeugte Natur war, gab ich schließlich auf und fügte mich meinem Schicksal, zurzeit mein größter Feind.

      Das neue