Natalie Bechthold

Dem Feind versprochen


Скачать книгу

Hass und die Wut wird dein Leben mit der Zeit kaputt machen, wenn du sie in dein Herz lässt.“

      Stephania dachte einen kurzen Augenblick nach.

      „Ist dein Mann auch ermordet worden?“, versuchte sie sein trauriges Schicksal zu erraten.

      Elene drehte den Kopf zur Seite. Ihre Gesichtszüge trugen die Spuren einer tiefen Trauer. Es vergingen etliche Sekunden, bis sie sie es wagte, Stephania wieder anzusehen.

      „Ja“, antwortete sie mit einer erstickten Stimme.

      „Und hast du dem Mörder vergeben können?“, fragte sie ganz vorsichtig.

      Doch Elene schüttelte gegen Stephanias Erwartung den Kopf.

      „Nein.“

      Stephania biss sich auf die Unterlippe. Elene senkte ihren Blick auf die Bettdecke.

      „Manchmal denke ich, ich hätte ihm leichter vergeben können, wenn ich nicht gesehen hätte, wie er ihn getötet hat.“ In Elenes Stimme schwang ein leichtes Zittern. „Jeden Morgen, wenn ich neben ihm erwache, verspüre ich denselben Schmerz, den er mir damals zugefügt hat, indem er meinen geliebten Gatten töten ließ. Tagtäglich wünsche ich mir, an ihm Rache zu nehmen, aber …“, Elene hob ihren Blick und sah Stephania erneut an, „er ist der König. Ich kann doch nicht den König töten?!“ Sie lachte kurz auf. In ihrem Lachen schwang Hoffnungslosigkeit mit. Stephania machte ein fassungsloses Gesicht. Der König – ein Mörder?

      „Warum hat der König das getan?“, fand sie bald ihre Sprache wieder.

      „Eifersucht.“ Zwei Tränen hinterließen feuchte Spuren auf ihren Wangen.

      „Möchtest du mir davon erzählen?“

      Elene schloss ihre Augen und schüttelte den Kopf. „Nicht heute.“

      Als sie ihre Augen nach einer Weile wieder öffnete sagte sie zu ihrer Freundin: „Es lässt sich sehr, sehr schwer an der Seite des Feindes leben, der dir das größte Übel zugefügt hat, wenn man ihm nicht vergeben kann. Du wirst aber vergeben müssen, denn du wirst bald die Gattin eines Burgherrn sein. Ich dagegen bin nur eine Mätresse. Wenn der König von mir genug hat, dann holt er sich eine andere. Bei dir ist es jedoch anders.“

      Stephania sah ein, dass Elene recht hatte. Sie rutschte nach vorne und setzte sich neben ihr auf die Bettkante. Dann nahm sie Elenes Hand und hielt sie mit einem leichten Händedruck fest. Elene legte ihren Kopf auf die Schulter ihrer Freundin und spürte bald wie Stephanias Arm sich um ihre Taille legte. Diese einfache Geste spendete beiden Trost.

       ***

      Die Nacht war kühl. Stephania warf sich einen Umhang über, der ihr bis zur Taille reichte und verließ auf leisen Sohlen ihre Schlafkammer. Im Flur flackerte das Fackellicht an der Wand, als sie an ihm vorbei ging. Leise schlich sie sich an den bewohnten Kammern vorbei. Hinter manchen Türen vernahm sie fröhliches Gelächter oder Stimmen, die miteinander sprachen. Am Ende des Flures öffnete sie eine Tür und trat hinaus in den Hof. Es war dunkel. Stephania raffte ihre Röcke und ging, um nicht gesehen zu werden, unter der Bedachung des Palas. Es war das Hauptgebäude der Burg mit Rittersaal, den Räumen vom Burgherren und der Küche. Als sie eine Treppe erreichte, sah sie kurz hinauf. Ein Wächter ging mit einer Fackel die Mauer entlang, ihr entgegen. Schnell machte sie einen Schritt zurück und versteckte sich unter der Bedachung. Sie wartete bis er vorüber gegangen war. Dann stieg sie leise und unerschrocken die schmale Treppe hinauf, bückte und drückte sich gegen die kalte Mauer. Sie musste unentdeckt bleiben. Als der Wächter sich weit genug entfernt hatte, ging sie in gebückter Haltung in die entgegengesetzte Richtung, wo sie den Graben vermutete. Schließlich stand sie auf und reckte sich vorsichtig über die Mauer. Sie versuchte trotz der Dunkelheit den Boden des Grabens zu erkennen. Hier unten sollten die Raubritter das große Loch ausgehoben und die Toten hineingeworfen haben, bevor sie es mit Erde wieder zugeschüttet hatten. Alle Toten, ohne Unterschied.

      Stephania stützte sich mit beiden Armen auf, lehnte sich nach vorne und beugte ihren Oberkörper über den Abgrund. Doch sie konnte nichts in der Schwärze erkennen. Es war einfach viel zu dunkel, um überhaupt etwas erkennen zu können.

      Stephania presste die Hand vor den Mund. Ein dumpfes Schluchzen ließ ihren Körper erzittern. Vater, mein lieber Vater …, klagte sie innerlich. Was haben sie bloß mit dir gemacht! Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und beugte sich erneut über die Mauer. Sie fühlte ihre Kälte auf ihrem Bauch. Heiße Tränen flossen über ihre Wangen.

      Eine dunkle Gestalt löste sich aus dem Schatten der Mauer. Stephania erschrak, als sie hinter sich Schritte hörte und drehte sich schnell zu der Gestalt herum.

      „Wer ist da?“, fragte sie. Kaum hatte sie der Gestalt die Frage gestellt, da stand er schon vor ihr.

      „Ich“, antwortete er nur.

      Balthasar, erkannte sie ihn an seiner Stimme. Es war viel zu dunkel, um ihn zu erkennen, doch sie spürte seine Nähe und erbleichte aus Scham, von ihm ertappt worden zu sein.

      „Was macht Ihr hier?“, fragte er diesmal streng. Sorge schwang in seiner Stimme mit.

      Stephania verschränkte ihre Arme vor der Brust und antwortete mit einer Gegenfrage: „Wonach sieht es denn aus?“ Sie war wütend auf ihn.

      „Selbstmord.“ Der Ton seiner Stimme blieb unverändert.

      Sie wand das Gesicht von ihm ab und sah in den dunklen Horizont.

      „Und hatte ich Recht?“

      Er trat leise neben sie, ohne dass sie es merkte.

      „Nein, das habt Ihr nicht.“

      „Was habt Ihr dann hier gemacht?“ Erst jetzt fiel ihr auf, wie nahe er ihr gekommen war. Trotz ihrer Wut fürchtete sie sich vor ihm. Eine dicke Wolke verdeckte den Mond. Balthasar sah zu ihr herab, glaubte in ihr Gesicht zu sehen. Stephania holte aus der Tasche ihres Morgenmantels ein Gänseblümchen, das sie schnell auf dem Weg hierher aus einem Blumenkübel gepflückt hatte, und warf es rückwärts über die Mauer. Mit einem stummen und kurzen Gebet verabschiedete sie sich von ihrem Vater. Die Wolke zog weiter. Silberner Mondschein erhellte ein wenig ihr Gesicht. Balthasar sah glitzernde Tränen auf ihren Wangen. Stephania hielt ihre Augen geschlossen. Er hob seine rechte Hand und strich ihr mit dem Daumen eine Träne weg. Stephania erschauderte. Blitzartig öffnete sie ihre Augen und wollte seine Hand wegschlagen, doch in diesem Moment erinnerte sie sich an Elenes Worte und erstarrte zu einer Säule. Sie traute sich nicht zu rühren, aus Angst, in diesem Moment etwas Falsches zu tun. Balthasar spürte ihre Anspannung. Dann legte er seine starken Hände auf ihre zarten Schultern und sagte mit einer ruhigen Stimme: „Ich weiß, Ihr könnt mich im Moment nicht ausstehen. Vielleicht … wünscht Ihr mir sogar den Tod. Aber vergessen Sie eins nicht, bald werden wir ein Ehepaar sein. Es wäre für uns beide leichter, wenn wir miteinander Frieden schließen könnten. Hmmm?“

      „Frieden“, erwiderte sie verächtlich. „Wie stellt Ihr Euch das vor? Ihr habt meinen Vater auf dem Gewissen.“

      „Wir haben gegeneinander gekämpft. Es ist vollkommen normal, wenn einer dabei umkommt.“

      Sie riss sich aus seinen Händen los und tat einen Schritt zur Seite. Der nächtliche Schatten legte sich über ihr Gesicht.

      „Für Euch mag es ein Zweikampf gewesen sein. Für mich war er mein Vater.“

      Balthasar konnte nicht sehen, wie ihr Kinn bebte. Aber er hörte das Beben aus ihrer Stimme heraus.

      Er wusste nicht, was er ihr entgegnen sollte. Stephania kehrte ihm den Rücken zu.

      „Der König hat entschieden, dass wir vermählt werden“, sagte er schließlich nach einigem Nachdenken. „Ich habe mir immer gewünscht aus Liebe zu heiraten.“

      „Dann seid Ihr bei mir falsch!“, antwortete sie schroff mit verschränkten Armen vor der Brust.

      Seine rechte Hand griff nach ihrem Oberarm.

      „Gebt