Natalie Bechthold

Dem Feind versprochen


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Tränen zurück halten.

      „Ist mein Vater auch darunter?“

      Der alte Totengräber nickte. Stephania hielt die Hand vor den Mund. Ihr Kinn bebte. Tränen rollten über ihre Wangen. Elene legte vorsichtig eine Hand auf ihre Schulter. Doch diese schüttelte sie ab, drehte sich um und rannte weg.

      Elene nickte dem Totengräber dankend zu und rannte Stephania nach. Sie erreichte sie außerhalb des Burgfriedhofes am ersten Gebäude mit der Stirn gegen die Wand gelehnt. Stephania weinte bittere Tränen und schlug gleichzeitig mit der Faust gegen das Gestein. Elene näherte sich ihr leise und umarmte sie tröstend von hinten. Sie legte ihre linke Wange gegen Stephanias Rücken. Elene wusste nicht, mit welchen Worten sie sie trösten konnte, deshalb stand sie da und hielt sie einfach nur fest.

      Es vergingen viele Minuten, bis sich die Gräfin von der Wand löste. Elene kam es wie eine gefühlte Ewigkeit vor. Sie ließ Stephania los.

      „Geht es wieder?“, fragte sie vorsichtig und reichte ihr ein Taschentuch.

      Sie trocknete sich damit das Gesicht und nickte stumm. In ihrer Nähe ertönten Stimmen. Sie kamen immer näher. Hin und wieder fiel auch ein Lachen. Es kam von den Gästen, die die Tribüne verlassen hatten und sich mit hungrigen Mägen in die Speisehalle begaben. Die Ritter und einige der Edelmänner, die gegeneinander gekämpft hatten, folgten ihnen. Stephania zwang sich eine neutrale Miene aufzusetzen. Sie lächelte nur dann freundlich, wenn sie zuerst von einem der Vorbeigehenden angelächelt wurde.

      „Ich muss zum König“, sagte Elene leise zu ihr und ergriff ihre Hand. „Tue so, als ob du nichts von dem Graben wüsstest.“

      Stephania sagte nichts, stattdessen erwiderte sie ihren Händedruck als eine stumme Antwort. Und dann tauchte ihre Freundin unter die Gäste. Sie holte den König ein, der sich gerade mit einem Ritter unterhielt, schob ihre Hand in die seine und begleitete ihn.

      Kaum war ihre Freundin weg, da fühlte sich Stephania so trostlos, mit ihrem Schmerz allein.

      „Schön Euch wieder zu sehen“, hörte sie plötzlich eine Stimme hinter sich sagen. Inzwischen kannte sie sie. Er. Sie hatte ihn nicht kommen hören. Ihr Blick wurde ernst. Sie sah zu Boden, immer noch schweigend.

      „Darf ich Euch in die Halle begleiten?“ Balthasar bot ihr seinen Arm an. Doch sie achtete nicht auf seine Gebärden. Auf seinen Zügen zeichnete sich ein angespanntes, unsicheres Lächeln ab. Sein dunkelbraunes Haar war feucht von Schweiß und klebte an den Schläfen.

      Stephania presste die Lippen zusammen und schloss für einen winzigen Moment ihre Augen. Sie verachtete diesen Mann. Doch was blieb ihr anderes übrig, als mit diesem Mann für immer eine Bindung einzugehen? Des Königs Wort war für seine Untergebenen Gesetz und daran konnte auch sie nichts ändern. Dann öffnete sie wieder ihre Augen und hakte sich widerwillig bei ihm ein.

      Gemeinsam gingen sie in die Speisehalle.

       ***

      Am Abend, als die Gäste erneut die Speisehalle aufsuchten, ließ Stephania dem Burgherrn eine mündliche Entschuldigung überbringen. Sie fühle sich nicht wohl und wollte das Abendessen auf ihre Kammer bringen lassen. Balthasar zog eine Augenbraue hoch, als ihm die Kammerfrau diese Nachricht überbrachte, doch er erhob keine Einwände.

      ***

      Zwei Stunden später klopfte jemand an ihre Tür. Stephanias Kopf schoss in deren Richtung. Wer kann es sein?, fragte sie sich. Sie saß unter einer Decke im Himmelbett und rief: „Herein.“

      Leise öffnete sich die Tür. Elene kam herein. Sie lächelte trotz ihrer Sorge um ihre Freundin und setzte sich neben sie auf die Bettkante. Stephania war erleichtert, dass sie es war und erwiderte ihr freundliches Lächeln.

      „Ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Geht es dir sehr schlecht?“

      Stephania zögerte zuerst mit der Antwort. Sollte sie sie belügen? Nein, das wollte sie nicht. Elene war ihre Freundin. Sie verdiente die Wahrheit.

      „Eigentlich geht es mir ganz gut.“ Stephania senkte ihren Blick auf die himmelblaue Bettdecke. Sie fühlte sich ertappt.

      „Warum bist du dann nicht zum Abendessen erschienen?“ Das Lächeln war aus Elenes Gesicht gewichen.

      Stephania zögerte erneut mit der Antwort, aber dann gestand sie: „Ich wollte nicht. Ich konnte nicht.“ Sie schüttelte den Kopf.

      „Warum nicht?“, bohrte Elene weiter.

      Stephania hob ihren Blick und sah zur Decke ihres Himmelbettes. Sie erinnerte sich an den Moment nicht gern.

      „Als du zum König gegangen bist, da ist er zu mir gekommen.“

      „Wer, dein Verlobter?“

      „Mh-hm.“

      „Und?“

      „Er wollte mich zur Speisehalle begleiten und bot mir seinen Arm an.“ Stephania drehte das Gesicht zu ihrer Freundin. „Ich wollte nicht, verstehst du? Nicht mit ihm.“

      Elene legte ihre Hand auf die ihre und nickte bejahend.

      „Aber er ist nicht irgendwer, sondern dein zukünftiger Gemahl“, sagte sie, um sie daran zu erinnern.

      „Ich weiß, aber er ist auch der Mörder meines Vaters.“ In ihren Augen sammelten sich Tränen. „Er hat seine Burg eingenommen. Es war das Erbe meines zukünftigen Ehegatten.“ Stephania schlug verbittert mit der Faust auf ihre Brust.

      Mitfühlend strich Elene Stephania eine schwarze Strähne aus dem Gesicht und legte anschließend die Hand auf ihre Schulter.

      „Ich weiß - und ich weiß auch, dass der große Verlust sehr schmerzhaft ist. Aber jetzt geht es um dein Leben! Lass dich von deinem Schmerz nicht erdrücken. Wenn du die Verlobung mit ihm auflöst, wird er dich töten. Glaub mir! Denn du bist die einzige Überlebende, die das Blut des vorherigen Burgbesitzers in sich trägt. Verstehst du?“ Elene sah ihr durchdringend in die Augen. Dann schüttelte sie selbst den Kopf. „Er darf dich nicht am Leben lassen. Denn eines Tages könnte dein Sohn versuchen an ihm Rache zu nehmen, um sein gestohlenes Erbe wieder zurück zu erobern.“ Elene hoffte, dass sie sie jetzt verstand.

      „Wenn ich das tun muss, dann will ich nicht mehr länger leben.“ Trotzig rutschte Stephania tiefer unter die Decke und drehte sich von ihrer Freundin weg. Zusammengekauert lag sie da und rührte sich nicht.

      „Nein, das darfst du niemals sagen, hörst du?“, erhob Elene ihre Stimme.

      Stephania spürte Elenes festen Griff an ihrem Oberarm, rührte sich aber trotzdem nicht.

      „Stephania, auch wenn er dir alles genommen hat, so lass nicht zu, dass er dir auch noch das Leben nimmt. Auch wenn es durch deine Hand geschieht, geht er als Sieger hervor. Lass es bitte nicht zu.“ Elenes Stimme wurde leiser, klang flehentlich.

      In Stephanias Auge glitzerte eine Träne. Sie dachte über jedes Wort ihrer Freundin nach. Dann setzte sie sich wieder auf und suchte Trost in Elenes Armen, legte ihre Wange an ihre Schulter und Elene reagierte, indem sie sie fester an sich zog.

      „Weißt du“, begann sie zu erzählen, „als ich mich bei ihm einhakte, da verspürte ich so ein starkes Gefühl ...“ Sie suchte nach den richtigen Worten, um es ihr besser beschreiben zu können. „… der Ablehnung. Und Wut gegen ihn, dass meine Hand eine Faust formte.“ Balthasar hatte ihre verkrampfte Faust bemerkt, aber mit keinem Wort erwähnt.

      Elene ließ ihre Freundin los und sah ihr durchdringend in die Augen. Stephanias saphirblauen Augen nahmen einen dunkleren Ton in dem langsam dunkel werdenden Zimmer ein.

      „Stephania, wenn du überleben willst, musst du die Vergangenheit hinter dir lassen, egal wie frisch sie noch ist. Verzeih ihm.“

      „Du weißt nicht, was du da sagst.“ Überrascht und gleichzeitig empört rutschte Stephania von ihrer Freundin weg. Sie sah sie mit großen Augen an und schüttelte