Jo Thun

Club Suizid


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      Kapitel 10

      Wir waren die ersten Gäste und bekamen einen Tisch zugewiesen, der direkt an einer offenen Tür zur Terrasse stand, so dass wir jederzeit hinaustreten konnten. Das Wasser war kaum noch zu sehen, am Horizont war ein roter Schimmer das letzte Zeichen der untergehenden Sonne.

      „Schön hier, oder?“ begann ich die Unterhaltung.

      „Ja, schon.“

      Ein Kellner brachte uns eine Speisekarte, sowie eine Karte mit Cocktails. Da ich nirgendwo eine Weinliste fand, guckte ich mir die Cocktailkarte genauer an. Sie war bunt und voller Fotos von schaumigen Getränken in hohen Gläsern mit Papierschirmchen und dicken Strohhalmen. Aber als ich mir die Inhaltsstoffe genauer ansah, bemerkte ich, dass da zwar überall tolle Säfte drin waren, aber nirgendwo auch nur ein Schuss Alkohol. Mein Herz blieb stehen.

      „Mattes, was ist? Du bist ja ganz blass geworden.“

      Da in dem Moment auch der Kellner wieder vor uns stand, wandte ich mich lieber direkt an ihn.

      „There is no alcohol!“ warf ich ihm vor.

      Er nickte schuldbewusst. „Sorry, we do not serve alcohol. Can I bring you a cocktail instead?”

      “Do not serve alcohol? Überhaupt nicht?”

      “My name is Tom, and I’ll be your server tonight. Can I bring you a cocktail?”

      Ich war sprachlos. Rana übernahm erstmal die Führung und bestellte zwei Pina Coladas, ohne Alkohol.

      Als Tom gegangen war, fragte ich: „Was soll denn das jetzt? Die versprechen einem hier die tollsten letzten Tage, großer Paukenschlag und so, und dann setzen sie einen aufs Trockene. Das gibt’s doch wohl nicht. Ich reise morgen wieder ab!“

      „Ich versteh’s auch nicht. Aber vielleicht wollen sie, dass man die letzten Tage bewusst erlebt. Sie müssen doch ganz auf Nummer sicher gehen, dass man die Entscheidung nicht im Suff getroffen hat und bei ganz klarem Verstand war. Deswegen warten sie auch so lange.“

      Das klang vernünftig, gefiel mir aber nicht. „Ich kann aber keinen „großen Kracher“ erleben, wenn ich total nüchtern bin.“

      Das Geräusch vom Mixer, das jetzt von der Theke her zu hören war, machte es noch schlimmer. Je mehr ich darüber nachdachte, umso gemeiner kam mir die Situation vor. In diesem Moment saßen Millionen von Touristen an tropischen Stränden und genossen ihre karibischen Rumcocktails, und ich sollte hier einen aufgeschäumten Saft trinken? Das war eine grenzenlose Zumutung.

      Wütend nahm ich eine der gegrillten Riesenshrimps mit Kokusflocken, die Tom uns als kleinen Appetizer hingestellt hatte, tunkte sie in die bereitstehende rote Soße, und biss hinein. Geschmacksexplosion! Lecker! Aber scharf. So scharf, dass mir die Tränen in die Augen traten. Als Tom unsere Getränke brachte, hatte ich mich soweit wieder gefasst, dass ich wieder sprechen konnte.

      „Wein? Is there wine?“

      Tom schüttelte bedauernd den Kopf und fragte, ob wir schon gewählt hätten.

      Hatte ich natürlich nicht.

      Tom sah mir nach, dass es mich im Moment überforderte, die Speisekarte durchzulesen und er listete einige der Gerichte auf, die er uns empfehlen würde. Rana wählte wieder Fisch, und ich nahm den Hummer. Das sollten die teuer bezahlen!

      Aus reiner Gewohnheit schob ich den Strohhalm in den Mund und zog daran. Tatsächlich schmeckte der Cocktail sehr gut, und ich überlegte, ob ich mir einfach einbilden sollte, dass ich den Rum darin schmecken konnte.

      Rana hatte mich eine ganze Weile beobachtet und fragte: „Sag mal, hast du ein Alkoholproblem?“

      „Wie kommst du denn jetzt darauf? Tsss.“

      Eigentlich hatte ich sie gerade fragen wollen, ob sie nach dem Essen noch mit mir zu der Strandbar gehen wollte, von der unser Fahrer vorhin gesprochen hatte. Diesen Vorschlag machte ich jetzt aber nicht nach dieser doofen Bemerkung.

      „Also, jetzt sind wir hier. Ich finde, wir könnten uns ja mal erzählen, warum wir hier sind, findest du nicht?“ Rana sah mich erwartungsvoll an.

      Mensch, jetzt hätte ich gerne echten Rum im Drink gehabt. Sie hatte recht, ich brannte ja auch darauf, zu erfahren, warum Rana hier ihre letzten Tage verbringen wollte. Aber eigentlich mochte ich sie so, wie sie war. Ich hatte keine rechte Lust auf Abgründe, Verzweiflung und Tränen.

      „Ja, dann fang doch gleich mal an. Schütte mir dein Herz aus.“

      Rana lächelte. „Das hättest du gerne. Nee, fang du an.“

      „Hm. Also gut. Ich war letzten Monat beim Arzt. Sie haben festgestellt, dass ich unheilbaren Blutkrebs habe. Ich habe Angst vor Schmerzen, und deswegen habe ich beschlossen, nochmal einen letzten Traumurlaub zu verbringen, und dann vorzeitig abzutreten.“

      „OK, und jetzt mal im Ernst.“

      Rana war gut! War sie der Mensch, auf den ich gewartet hatte? Der erkannte, wann ich Witze machte, und wann ich es ernst meinte?

      „Das könnte doch sein. Woher weißt du denn, dass das nicht stimmt, was ich gesagt habe?“

      „Ich weiß es halt.“ Nach einer Weile fügte sie hinzu: „Wenn die Ärzte jetzt schon wüssten, dass es unheilbar ist, dann sähst du anders aus! Wenn du vor einem Monat beim Arzt warst, und die hätten was festgestellt, dann würdest du zu allererst mal behandelt. Die unheilbar-Diagnose kommt erst, wenn alles ausprobiert wurde.“

      „Kennst dich da aus, oder was?“

      Rana antwortete nicht.

      „Also gut. Ich bin einfach in einem Tief. Seit, weiß nicht, ein paar Jahren? 3, oder 5, oder sind es schon 10? Fühle mich einsam. Sinnlos. Was weiß ich. So, und jetzt du.“

      „Du fühlst dich einsam und sinnlos? Und deswegen willst du sterben?“

      Einfach nicht antworten auf eine doofe Frage konnte ich auch.

      Rana lenkte ein: „Dann bin ich jetzt dran? Meine Freundin hat mich verlassen.“

      „Deine Freundin? Wie meinst du das denn jetzt? Freundin wie in, äh, also, heißt das……“

      „Ja. Eine Woche vor unserem 6. Jahrestag hat sie mich aus der Wohnung geschmissen. Das war vor drei Wochen. Vor drei Wochen ist mein Leben zu Ende gegangen.“

      „Deine Freundin hat dich verlassen. Mit der warst du fast sechs Jahre zusammen. Und deswegen willst du sterben?“

      Ich sah Rana an, Rana sah mich an, und plötzlich mussten wir beide lachen.

      Schließlich fragte ich sie: „Sag mal, hast du ein Rückfahrticket?“

      „Ja, natürlich. Und du?“

      „Ich auch.“

      Rana nahm ihren Obstcocktail und wir stießen an: „Auf unseren Urlaub!“

      Das Essen war wirklich köstlich. Draußen war es mittlerweile so dunkel, dass wir das Meer nur noch hören, aber nicht mehr sehen konnten. Die Tierwelt schien jetzt erst so richtig aufzuleben. Ich meinte sogar, draußen am Strand etwas entlang huschen zu sehen, was nur ein kleiner Affe hätte sein können. Nach uns waren noch drei einzelne Gäste gekommen, die sich alle alleine an einen Tisch setzten. Zwei von ihnen hatten schnell gegessen und waren schon wieder fort. Der dritte Gast, eine Frau um die 40 mit blondierten Haaren, Wespentaille und weißem Leinenanzug, saß zwei Tische entfernt von uns und schaute in Richtung Strand. Neben ihr lag ein Smartphone, auf das sie immer wieder schaute. Unsere beiden amerikanischen Mitreisenden aus dem Jeep waren nicht gekommen.

      Wir genossen ein leckeres Schoko-Mango-Mousse, warteten auf den Espresso, und ließen uns Zeit.

      „Rana, du schuldest mir noch was.“

      Rana sah mich fragend an. „Wie jetzt? Die 12.50 vom Flughafen? Dann musst du aber 1.75 abziehen für das Wasser, das ich bezahlt habe.“