Jo Thun

Club Suizid


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könnte. Ich musste das unbedingt herausfinden, und wenn es so wäre, dann wäre das für mich ein Grund, in Barbados zu bleiben. So würde ich es machen: Das Schicksal musste entscheiden.

      Leider bin ich nicht der Typ für lockere Gespräche. Ich bot meinem Nachbarn meine Zeitung an, erklärte mich bereit, jederzeit aufzustehen, falls er mal müsse, erzählte, dass das Wetter im Oktober ja sehr gut sein solle in Barbados, hob sein runtergefallenes Kissen auf, nahm ihm sein Essenstablett ab, um es der Stewardess zu reichen – alles vergeblich. Er grunzte höchstens, und sagte sonst kein Wort. Schließlich kroch ich unter die Decke und beschloss, erst mal eine Runde zu schlafen.

      Immerhin schlief ich fast drei Stunden. Dann fiel das Flugzeug in ein Loch. Eine Passagierin ein paar Reihen hinter mir schrie auf und begann zu schluchzen. Doch schon bald beruhigte die Stewardess uns, wir überflögen gerade eine Schlechtwetterregion, der Pilot werde etwas höher steigen und wir würden schon bald wieder ruhig fliegen. Im Übrigen seien in dieser Region Turbulenzen an der Tagesordnung.

      „Ja, hier im Bermuda Dreieck kann das schon mal vorkommen.“

      Entsetzt sah ich über den Gang nach rechts. Dort saß eine junge Frau mit kurzen schwarzen Haaren, ganz alleine, ohne griesgrämigen Nachbarn, und schaute gerade von ihrem Buch auf. Als sie meine vor Schrecken aufgerissenen Augen sah, lachte sie mich an: „War ein Witz, Bermuda ist viel weiter nördlich!“

      „Ach so. Hm. Sehr witzig.“ Ich drehte mich nach links zu meinem Nachbarn und versuchte, wieder einzuschlafen.

      Weitere zwei Stunden später kam das Frühstück. Ich hatte Hunger und war enttäuscht, dass es nur ein labbriges Brötchen gab.

      „Wie wär’s mit einer Banane?“ Meine Nachbarin zur rechten hielt mir eine von zwei Bananen entgegen. „Als kleine Entschuldigung, dass ich Sie vorhin so erschreckt habe?“

      „Na gut!“ Eigentlich benahm ich mich nicht viel besser ihr gegenüber als Mister Griesgram links von mir. „Das ist nett, wirklich. Ich war vorhin nur etwas verschlafen. Fliegen Sie auch nach Barbados?“

      „Nein, ich biege hier vorne links ab. – Schuldigung, ich kann‘s nicht lassen. Also, ja, ich fliege nach Barbados, aber dann noch ein bisschen weiter. Und du?“

      Gerade hatte sie mich doch noch gesiezt? Das ging ja schnell bei der! Aber es sollte mir recht sein, ich war ja auch höchstens ein paar Jahre älter als sie. „Ich weiß noch nicht. Kommt drauf an, was Barbados zu bieten hat. Soll ja sehr schön sein.“

      Links von mir hörte ich jetzt ein Grunzen und drehte mich verwundert um. Herr Griesgram schaute mich verächtlich an.

      „Bitte?“ fragte ich.

      Er schüttelte nur den Kopf und schaute wieder aus dem Fenster.

      Die Frau rechts hatte nichts bemerkt. „Warst du überhaupt schon mal in der Karibik?“

      „Ich war mal auf Puerto Rico. Zählt das?“

      „So halb, glaube ich. Im Süden zumindest. War’s schön?“

      „Ja, schon. Und du, bist du ein Karibikfan?“

      „Ach, ich fahr eigentlich wegen was anderem dahin, wo ich hinfahre. Aber gegen einen schönen Strand habe ich natürlich nichts.“

      Ich nickte zustimmend und hielt der Stewardess, die gerade die Tabletts einsammelte, meines hin. Dann mussten wir eine Zollerklärung ausfüllen und bald schon ging es auf den Landeanflug. Ich ärgerte mich, dass ich die Schwarzhaarige nicht nach ihrem Namen gefragt hatte. Aber jetzt war es zu spät, ich wusste nicht, wie ich die Unterhaltung wieder anfachen sollte.

      Etwas später stand sie am Gepäckband schräg gegenüber und winkte mir zu. Mein Nachbar stand neben mir, als ob er zu mir gehörte. Etwas spät, um anhänglich zu werden. Ich drehte ihm den Rücken zu und war froh, dass mein Koffer zuerst ankam. Leider holte er mich dann an der Zollschlange wieder ein und wir kamen dann mehr oder weniger gleichzeitig in der Empfangszone an. Ich blieb etwas ratlos stehen und versuchte mich zu orientieren. Da bemerkte ich, dass eine extrem attraktive, schick angezogene Frau mit langen, lockigen, rotbraunen Haaren direkt auf mich zusteuerte und mir ihre Hand entgegen streckte. Was war das jetzt? Gab es Liebe auf den ersten Blick? Hatte sie mich gesehen und gleich gewusst, dass ich der war, auf den sie schon immer gewartet hatte?

      „Herr Matzat? Ich bin Frau Köhler vom Konsulat.“

      Ich war so entzückt über ihre herzliche Art, da machte es auch nichts, dass sie meinen Namen ganz falsch aussprach. Ich nickte dankbar, und Frau Köhler nahm gleich noch ihre andere Hand und hielt jetzt die meine in ihren beiden.

      „Mein herzliches Beileid! Es tut mir so leid. Ich schlage vor, wir fahren direkt in Ihr Hotel, es sei denn, sie wollen die Identifizierung Ihrer Frau gleich jetzt vornehmen. Ich richte mich da ganz nach Ihnen.“

      Ich hörte nur, dass Frau Köhler sich ganz nach mir richten und am liebsten direkt mit mir ins Hotel fahren wollte! Ja, das wollte ich auch! Von hinten näherte sich eine Stimme und sagte: „Gab es denn noch eine Tote bei dem Unfall?“ Es war Herr Griesgram, den ich, wie ich langsam zu begreifen begann, doch lieber Herrn Todtraurig hätte nennen sollen.

      „Ja, also, ich heiße Mattheus. Und ich wollte eigentlich nach Copa Caba weiterfliegen.“ Frau Köhler ließ meine Hand los und wandte sich, nachdem sie mir einen bedauernden Blick zugeworfen hatte, an den richtigen Herrn Matzat. Ich schlich mich davon. Wie hatte ich auch nur eine Sekunde lang glauben könne, Frau Köhler interessierte sich für mich? Als ich endlich die Information fand, stand da schon jemand, den ich kannte: die Frau mit den Bananen. Anscheinend hatte sie sich nach einem Flug erkundigt, denn die Dame hinter dem Fenster sagte in schönstem Barbados-Englisch: The flight to Copa Caba leaves at 3:30 from gate 8.“

      Damit war meine Entscheidung gefallen, ich würde nach Copa Caba fliegen!

      Kapitel 8

      Wir hatten noch über drei Stunden Zeit und beschlossen, gemeinsam etwas essen zu gehen. Es standen Hamburger zur Auswahl oder karibische Delikatessen. Natürlich wählte meine neue Bekannte die karibischen Delikatessen. Sie bestellte gegrillten Flying Fish, ich nahm Schwarzbauchlamm mit gebratenem Maniok. Dazu nahmen wir beide einen Caipirinha. Inzwischen hatte ich auch ihren Namen erfahren: Rana. Aber ich hatte noch nicht gefragt, was genau sie in Copa Caba tun wollte. Sie hatte mich auch noch nicht gefragt, womit ich mein Geld verdiente. Das gefiel mir. Diese Frage war mir immer peinlich, dabei hätte ich doch einfach sagen können: Unternehmer. Oder Geschäftsinhaber. Aber das klang so angeberisch.

      „So, Rana, was ist das für ein Name?“

      „Hey, das war ein Rekord. Immerhin 40 Minuten, bis die Frage kam. Die meisten Leute warten nicht so lange.“

      „Ach so, na ja, ist auch egal, musst du mir nicht erzählen.“

      „Nein, ich habe kein Problem damit. Ist ein arabischer Name, bedeutet Die Liebliche, Schöne.“

      „Aha, dann passt’s ja.“

      „Und, weitere Fragen?“

      „Ne, ne, keine weiteren Fragen.“

      „Ich erzähl’s dir trotzdem, du willst es ja wissen. Vater Deutscher, Mutter aus Syrien. Okay?“

      „Erzählst du mir alles, was ich wissen will? Dann hätte ich doch noch ein paar Fragen: Geburtsjahr, Ausbildung, Beruf, Notendurchschnitt, Geschwister, Familienstand, Anzahl der Beziehungen, Hobbys, Krankheiten. Und was sonst noch wichtig ist.“

      „Schön, aber das erzähl ich dann erst im Flugzeug, dann vergeht die Zeit schneller.“

      Dazu kam es dann aber nicht, denn das kleine Propellerflugzeug bewegte sich in der Luft wie eine betrunkene Möwe: hoch und runter, stotternd, schaukelnd und spuckend. Es dauerte nicht lange, da spuckte ich auch. Ich klammerte mich mit der einen Hand an meine Armlehne, mit der anderen musste ich die Kotztüte festhalten. Bei einer besonders heftigen Ruckelbewegung beschloss ich,