Jo Thun

Club Suizid


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sie so glücklich aussah. Manchmal kann ich auch ein bisschen gemein sein.

      „Ich wollte dich was ganz anderes fragen. Wegen Karli.“

      Karli war Monis älterer Bruder gewesen, der mit 19 an einer Überdosis gestorben war. Moni und Karli hatten sich nahe gestanden und ich wusste, dass Moni noch immer um ihren Bruder trauerte. Es genügte, den Namen zu erwähnen, und ihr Blick verdüsterte sich.

      „Karli? Wie kommst du denn jetzt auf Karli?“

      „Ach, ich hab da so was gelesen heute. Weißt du, Männer, also junge Männer, also Männer unter 35, die sterben am häufigsten durch Suizid. Man sagt Suizid, nicht mehr Selbstmord, weißt du das? Da musste ich irgendwie an Karli denken. Meinst du, es war Selbstmord damals? Also, ich meine, meinst du es war Suizid?“

      Moni guckte mich an, als hinge mir ein toter Wurm aus der Nase. Aber dann kriegte sie sich wieder ein und sie sagte leise: „Drogen zu nehmen ist doch sowieso Selbstmord auf Raten. Ob er da die letzte Dosis absichtlich oder unabsichtlich eingenommen hat, ist da gar nicht so wichtig. Findest du nicht?“

      „Hat er denn einen Abschiedsbrief oder so was in der Art hinterlassen?“

      Wieder brauchte Moni eine ganze Weile, ehe sie antwortete. „Nein, nicht wirklich. Aber er hat mich am Tag vorher gefragt, ob es für mich schlimm wäre, wenn er sterben würde. Komisch nicht?“

      Ja, das fand ich auch. Das konnte kein Zufall sein!

      „Mein Gott, ich war 18“, herrschte Moni mich an, als ob ich ihr einen Vorwurf gemacht hätte. „Ich wusste überhaupt nicht, was ich darauf antworten sollte. Ich hab halt gesagt, Mensch, krieg ich dann deine Stereoanlage? Er hat gegrinst, ich hab gedacht, er meint das witzig.“

      Moni wischte sich ein paar Tränen aus den Augen. Ich konnte ihr Problem irgendwie nachvollziehen: Diese Art von Missverständnis passierte mir ganz häufig. Ich machte einen Witz, und die anderen dachten, ich meinte es ernst. Oder die anderen meinten etwas ernst, und ich dachte, es sei ein Witz. Aber bis jetzt war noch nie jemand daran gestorben.

      „Was hättest du denn sagen wollen?“

      Jetzt weinte Moni erst richtig los. Ich klaute mir noch schnell eine ihrer Riesengarnelen, ehe sie völlig versalzen waren. Moni schüttelte nur den Kopf, auf diese Frage war keine Antwort möglich. Nicht am Fenster ihres Lieblingsitalieners.

      Sie tat mir leid, und ich wollte sie ablenken, wenn möglich aufheitern: „Und was wäre, wenn ich morgen sterben würde?“ Es war ein gut gemeinter Witz, aber Moni verstand ihn als sehr, sehr schlechten Witz.

      „Du bist wirklich der allerletzte! Melde dich mal im Kindergarten an für einen Grundkurs im menschlichen Miteinander. Und wenn du irgendwann Feingefühl nicht nur buchstabieren kannst, sondern auch weißt, was es bedeutet, dann melde dich wieder. Aber frühestens in fünf Jahren!“

      Damit stand Moni auf und ging.

      Kapitel 5

      Irgendwie war das bis jetzt kein schöner Geburtstag gewesen. Aber ich hatte noch zwei Stunden Zeit und wollte noch was rausholen. Also ging ich in meine Stammkneipe zu Yunus.

      „Das Übliche, aber du darfst mir heute was spendieren, ich habe Geburtstag.“

      „Neh, ehrlich Mann?“

      „Glaubst du, ich mache Witze? Mein Gott, warum denken immer alle, ich mache Witze, wenn ich ernst bin, und nehmen mich ernst, wenn ich Witze mache. Kannst du mir das mal erklären?“

      Yunus hob beschwichtigend beide Hände.

      „Du weißt doch, ich nehme dich immer ernst. Happy Birthday!“ Und damit knallte er mir ein Glas auf den Tresen. „Bezahlen musst du aber trotzdem!“

      Gerade wollte ich aus Protest wieder aufstehen, da sagte Yunus noch: „Mensch, war ein Witz!“

      Ungläubig blieb ich vor meinem Glas sitzen und sah zu, wie Yunus es langsam bis zum Strich füllte. Ich beschloss, mich auf kein weiteres Gespräch einzulassen. Nach dem dritten Whiskey würden sich die Probleme mit der Witzeerkennung ganz von selbst wieder geben.

      So war es denn auch. Mir blieben noch zwanzig Minuten, dann wäre mein Geburtstag zu Ende. Etwas fehlte noch.

      „Yunus, ein Glas Champagner für alle!“ rief ich laut in Richtung Tresen. Die Gespräche verstummten, dann brach Jubel aus.

      Ein fremder Mann setzte sich zu mir an den Tisch und sagte: „Mensch, Typ, was ist der Anlass? Endlich Schluss mit deiner Alten gemacht? Neuer Job? Oder planst du den großen Abgang?“

      Das war ja offensichtlich als Witz gemeint. Aber irgendwie ritt mich der Teufel, also warum es nicht ernst nehmen? „Woher weißt du das? So was in der Richtung hab ich vor.“ Ich versuchte, wie Robert Pattinson auszusehen, als er Bella verlässt, um sie nicht weiter durch seine blutgierige Familie zu gefährden.

      Der Fremde verstummte und seine vorher ziemlich glasigen Augen bekamen einen gewissen Glanz. Er nickte. „Ja, da war ich auch schon. Mensch, willste reden?“

      „Bloß nicht reden! Ne, ich dachte eher so an einen letzten großen Kracher, und dann morgen Schluß. Verstehste?“

      Der Fremde nickte wieder. „Wie heißte denn?“

      „Joachim!“

      Hinter der Theke hörte ich ein Räuspern. Was wusste Yunus schon? „Ja, kein Witz, ich heiße wirklich Joachim!“ brüllte ich in die Richtung des Wirts. „Und wie heißt du?“ fragte ich meinen neuen Freund.

      „Theo.“

      „Ja, also Theo, auf den großen Kracher!“ Unsere Sektgläser waren gekommen und wir stießen an. Die Anderen im Raum prosteten mir ebenfalls zu, einige kamen und klopften kurz auf meinen Tisch. Ich fühlte mich gut.

      „Was meinste’n mit Kracher?“ Theos Augen leuchteten. Ein armer Schlucker, der sich irgendwo reinhängen wollte.

      Theo kam etwas näher ran. „Willste was kaufen?“

      „Hä?“

      „Kleine Tüte, 100 Euro?“

      Aus dem Lautsprecher grölte eine männliche Stimme: „I’d catch a grenade for you. Yes, I would die for ya baby, but you won’t do the same.“ Ich stierte Theo an. Dann sah ich auf meine Armbanduhr. Mitternacht und damit mein Geburtstag vorbei. Jetzt konnte ich auch nach Hause gehen.

      Ich ließ Theo sitzen, zahlte meine Rechnung, und ging.

      Kapitel 6

      Es war kurz vor Mittag, als ich am nächsten Morgen aufwachte, und das auch nur, weil die Putzfrau, die jeden Donnerstag um halb 12 kommt, mit ihrem Eimer rumschepperte. Zuerst dachte ich, das komische Kopfgefühl sei ein Kater, aber dann merkte ich, dass es sich doch irgendwie anders anfühlte. Nichts drehte sich, als ich den Kopf hob, denn ich hob den Kopf gar nicht. Das ging gar nicht. Ich konnte auch die Augen nicht aufmachen. Eigentlich konnte ich mich überhaupt nicht bewegen. Mir fiel der Artikel ein, den ich einmal gelesen hatte über Patienten mit Locked-In-Syndrom. Sie können nichts bewegen, nicht mehr kommunizieren, und doch denken sie klar und hören genau, was um sie herum vorgeht. Ich konnte mich nicht mehr erinnern, was genau der Auslöser für diese Störung war. Das passierte ja wohl nicht so ganz ohne jede Ankündigung – oder doch? Wenn ich für immer in meinem Körper gefangen wäre, dann würde ich lieber gleich …. Jetzt fiel mir die Werbung für The Lost Paradise wieder ein. Und dann fiel mir auch Moni wieder ein, und Uwe. Gestern war echt ein Scheißtag gewesen. Ich sollte ihn streichen, und einfach heute nochmal meinen Geburtstag feiern, mit anderen Leuten.

      Vielleicht sollte ich mal Tante Agnes anrufen, die Schwester meines Vaters. Sie und ihre Tochter Alberta zum Essen einladen? Wie lange hatte ich die schon nicht mehr gesehen? Jetzt erinnerte ich mich wieder: Nach dem Tod meines Vaters war Agnes zu mir gekommen