Jo Thun

Club Suizid


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beider Eltern gewesen. Aber der Brief war schon uralt, und so ein Brief ist kein Testament. Ich habe ihr dann trotzdem 20,000 Euro angeboten, aber die wollte sie nicht. Seitdem hatten wir uns nicht mehr gesehen. Schade eigentlich, ich hatte sie immer ganz gerne gehabt. Komisch, nachdem ich so viele Jahre ganz gut ohne sie ausgekommen war, hatte ich jetzt schon zum zweiten Mal innerhalb von vierundzwanzig Stunden an sie gedacht.

      Und wie man so von einem Gedanken zum nächsten springt, da fiel mir dann plötzlich ein, dass sie, wenn ich unerwartet sterben würde, doch noch alles erben würde. Sie war meine nächste Blutsverwandte. Mein Gott, was war mit mir los - warum dachte ich denn die ganze Zeit ans sterben?

      Jetzt wäre der Moment gekommen, aufzustehen und das alles abzuschütteln. Aber ich konnte mich noch immer nicht rühren. Ich hörte, wie die Tür langsam aufgemacht wurde und dann wieder zuging. Das war nicht das erste Mal, dass ich noch im Bett lag, wenn die Putzfrau kam. Sie wartete sonst mit meinem Zimmer immer bis zum Schluss. Vielleicht war es ja gar nicht mittags, sondern schon viel später. Auch egal, dann machte sie halt mein Zimmer heute mal nicht. Ich schlief wieder ein.

      Als ich wieder aufwachte, lag ich auf der Seite. Also konnte ich mich doch bewegen, zumindest im Schlaf. Trotzdem hatte ich keine Lust, die Augen aufzumachen. Aber ich musste unbedingt mal aufs Klo. Kurz erwog ich, einfach ins Bett zu machen, entschied mich dann aber doch dagegen. Mühsam gelang es mir, die Augen etwas zu öffnen. Am liebsten wäre ich auf allen Vieren ins Bad gekrochen, aber da ich mir nicht ganz sicher war, ob die Putzfrau nicht doch noch da war, nahm ich all meine Energie zusammen und kam auf die Beine. Mit der Hand an der Wand abstützend tastete ich mich zur Tür und in den Flur. Da stand meine Putzfrau, schon im Mantel, als habe sie auf mich gewartet.

      „Guten Tag, Herr Mattheus. Ich habe ihnen einen Zettel hingelegt. Ich kann die nächsten zwei Wochen leider nicht kommen, meine Tochter ist krank und ich muss auf meinen Enkel aufpassen. Sie wissen doch, sie wohnt in London. Aber in drei Wochen bin ich wieder da. Soll ich Ihnen einen Ersatz besorgen?“

      „Ne, schon gut. Gute Besserung. Bis dann!“

      Ich hatte endlich das Bad erreicht und ließ mich aufs Klo fallen. Draußen fiel die Tür ins Schloss.

      Fünf Minuten später lag ich wieder im Bett. Und wieder musste ich an die Broschüre der Sterbeklinik denken. Das ließ mich nicht los. Als zöge mich eine höhere Gewalt. WER wollte mir hier WAS sagen? Ich verstand es nicht. Oder wollte es nicht verstehen? Wusste ich denn im Grunde nicht schon seit Jahren, dass mein ganzes Leben überflüssig war? Dass mich niemand brauchte, dass ich mich auf nichts freute, dass ich keinen Sinn im Leben sah? Warum also nicht Schluss machen?

      Wow! Ich hatte Selbstmordgedanken! Cool! Und die Lösung lag auf meinem Schreibtisch. Langsam spürte ich doch wieder etwas Energie und ich fischte mein Handy vom Nachttisch. „Copa Caba“, was wusste Google darüber? Ein kleiner Inselstaat, der früher einmal zu Brasilien gehört hatte, aber jetzt unabhängig war. 35,000 Einwohner. Weiße Sandstrände, ein Vulkan in der Mitte, der alle paar Jahrhunderte einmal ausbrach. Belieferte die Welt mit Muskatnuss und anderen Gewürzen. Man baute an einem Hafen für Kreuzfahrtschiffe, der würde aber erst nächstes Jahr fertig. Nur einen klitzekleinen Flughafen hatten sie.

      Eigentlich wollte ich schon immer mal in die Karibik. Und hier würde mich niemand vermissen. Ich rief nochmal die Seite der Klinik auf und klickte auf Kontakt. Normalerweise e-maile ich lieber, als dass ich telefoniere, aber ich wollte doch hören, was für Menschen in dieser Klinik arbeiteten.

      Beim Dritten Klingeln nahm jemand ab: „The Lost Paradise, How can I help you?“

      “Äh. Yes. Do you have a room free?”

      “Ich sehe, Sie rufen aus Berlin an. Wir können gerne Deutsch reden. Sie möchten bei uns buchen?”

      „Haben Sie denn ein Zimmer? Was kostet das eigentlich?“

      „Sie wissen, was für eine Art Klinik wir sind?“

      „Ich habe hier Ihre Broschüre.“

      „Ah ja, sehr schön! Eine Woche kostet US$ 20,000. Die meisten Gäste bleiben einen Monat.“

      „Oh!“

      „Sie müssen aber wöchentlich im Voraus zahlen!“

      „Ja, natürlich. Hinterher geht das ja dann wohl nicht mehr.“

      Der nette Herr mit dem perfekten Deutsch konnte mit meiner Art des Humors offensichtlich nichts anfangen, denn er antwortete nicht. Kein gutes Zeichen. „Ich überlege mir das noch. Aber, sagen Sie, wie geht das eigentlich? Das, ich meine, wie machen Sie das denn, so genau, meine ich?“

      „Das würden Sie dann mit Ihrem Arzt besprechen. Und falls Sie sich entschließen sollten, bei uns zu buchen, dann bringen Sie bitte alle medizinischen Unterlagen mit, und nur leichte Kleidung. Hier ist es immer schön warm.“

      „Verstehe. Ich hätte da noch eine Frage. Wenn man nach einer Woche wieder abreisen möchte, geht das? Oder muss man, also, machen Sie dann trotzdem, äh, Sie wissen schon.“

      „Wir empfehlen schon, einen ganzen Monat zu bleiben. Aber letztlich können unsere Gäste natürlich tun, was sie wollen.“

      „Und man muss da nicht den ganzen Tag furchtbare Gruppentherapiesitzungen machen?“

      „Nein, wir zwingen Sie zu nichts. Sie müssen mit niemandem in Kontakt treten, wenn Sie nicht wollen. Unsere Gäste lassen sich einfach verwöhnen.“

      Das hörte sich doch gut an! Das war genau das Geburtstagsgeschenk, das ich brauchte. Ein ganzer Monat Superluxusferien. Zeit, in der ich mal so richtig über mein Leben nachdenken konnte. Und am Ende könnte ich mich dann so oder so entscheiden. Ich würde das Richtige tun!

      Wie es der Zufall so wollte, gab es am frühen Abend noch einen Flug nach Frankfurt, von dort nach Barbados, und morgen Abend wäre ich dann in Copa Caba.

      Kapitel 7

      Als ich am Flughafen Tegel aus dem Taxi stieg, schien die Idee schon nicht mehr so überzeugend. Der nette Herr im Reisebüro hatte mir nur zu gerne ein Ticket bis nach Copa Caba ausgestellt. Auf meine Frage, ob es billiger sei, nur einen Hinflug zu nehmen, hatte er zurück gefragt, wie ich denn sonst nach Hause kommen wollte. Auf meine schlagfertige Antwort „Gar nicht“ hatte er nur müde gelächelt. Schließlich hatte ich doch Hin- und Zurück genommen, ich halte mir immer gerne alle Türen offen. Die Bankangestellte hatte mir ohne zu zögern 70,000 Euro ausgezahlt, das ist das Gute, wenn man ein Geschäftskonto hat. Der Herr Moosbacher würde sich wundern, wenn er die Auszüge sähe!

      Der Koffer war schnell gepackt, ich erwartete heißes Wetter und packte nur Shorts und T-Shirts ein, dazu ein Jacket, eine lange Hose, und natürlich Badesachen. In letzter Minute dachte ich noch daran, meiner Nachbarin einen Zettel in den Briefkasten zu werfen mit der Bitte, ab und zu mal nach dem Rechten zu sehen. Und jetzt stand ich hier, vor dem Gate, und checkte meinen Koffer ein. Ich würde ihn in Barbados in Empfang nehmen müssen. Ab da ging es mit einer kleinen Propellermaschine weiter.

      Ich hasste kleine Propellermaschinen. Ich flog überhaupt nicht gerne. Flugzeuge stürzten so oft ab! Dann musste ich lachen. Da bin ich auf dem Weg zu einer Selbstmordklinik, und habe Angst, dass ich unterwegs sterbe. Vielleicht wollte ich ja doch nicht sterben? Dann fiel mir wieder Moni ein. Instinktiv fischte ich mein Handy aus der Tasche und klickte es an. Keine SMS, kein entgangener Anruf, keine E-mail. Plötzlich hatte ich eine Idee. Ich ging noch nicht durchs Gate, sondern steuerte den Schreibwarenladen an, kaufte einen Umschlag, adressierte ihn an Moni und steckte mein Handy hinein, ohne ein Wort der Erklärung. Sollte sie es einem ihrer Jungs schenken. Und sich wundern. Ich kaufte Briefmarken und steckte den Umschlag ein. Dann ging ich zum Gate.

      In Frankfurt überlegte ich ernsthaft, ob ich nicht doch wieder umkehren sollte. Stattdessen entschied ich, dass ich in Barbados ja auch einfach in ein Hotel einchecken könnte. Dann würde ich halt da Urlaub machen. Mit meinem Geld würde ich ja wohl hinkommen. Als ich aber im Flugzeug meinen Sitznachbarn sah, wünschte ich, ich hätte mich doch anders entschieden.