Jo Thun

Club Suizid


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Außerdem jagte ich meiner Belegschaft immer gerne einen Schrecken ein, wenn ich in der Mittagspause durch die Werkhalle marschierte. Wenn sie auch ein Anrecht auf Pausen hatten, ließen sie sich doch nicht gerne beim Nichtstun erwischen.

      Die Plastik und Mehr GmbH liegt in Lichterfelde Ost, am gleichen Ort, wo mein Großvater sie vor dem Krieg gegründet hat. Damals hieß sie noch Mattheus und Söhne. Den neuen Namen hat sich mein Steuerberater ausgedacht, der mir auch dazu geraten hat, eine GmbH zu gründen. Da könne dann die Firma Pleite gehen, und ich würde doch mein Vermögen behalten können. Von meinem Haus aus ist die Firma mit dem Auto in 15 Minuten zu erreichen. Es war aber dann doch schon halb zwei, als ich ankam, und alle 35 Arbeiter standen an ihren Maschinen. Sie grüßten freundlich, als ich den Gang entlang lief, und ich nickte wohlwollend in die Runde. Leider kann ich mir Gesichter so schlecht merken, und Namen eigentlich auch nicht, weswegen es besser ist, wenn ich mit niemandem direkt in Kontakt trete. Nur die Sekretärin von Herrn Moosbacher, die kenne ich auch mit Namen: Frau Büsing. Sie mag mich aber nicht besonders.

      Ich mag sie auch nicht sehr. Es ist doch wohl nicht zu viel verlangt, dass ich in meinem eigenen Laden herumgehen kann, wie ich mag. Aber sie besteht darauf, mich jedes Mal bei Herrn Moosbacher anzumelden. Ich umgehe die Peinlichkeit, indem ich immer ganz langsam durch ihr Zimmer gehe, so dass ich dann bereits an der Tür bin, wenn sie den Hörer auflegt und sagt: „Herr Moosbacher bittet Sie, herein zu kommen.“

      „Lieber Herr Mattheus!“ Herr Moosbacher war aufgestanden und ging um den Schreibtisch herum auf mich zu. Wie ich bemerkte, hatte er bereits zwei Sektgläser bereitgestellt. Ins Vorzimmer rief er: „Frau Büsing, wären Sie so nett und holen den Champagner aus dem Kühlschrank?“ Ich tat gerührt: „Ach, das ist doch nicht nötig.“ Dabei war mir schon klar, dass der Champagner von der Firma bezahlt wird, und die Firma bin ich! Schließlich setzten wir uns um den kleinen Tisch herum, der am Fenster stand und prosteten uns zu. Ich wartete darauf, dass Herr Moosbacher das Wort ergreifen würde: Schließlich hatte er um eine Unterredung gebeten. Und sollte er mir nicht auch ein Geschenk geben? Oder wartete er vielleicht darauf, dass ich mich nach den Geschäften erkundigte?

      „Ja, da bin ich. Was gibt es denn Neues?“ fragte ich schließlich. „Läuft alles reibungslos?“

      „Doch, doch. Könnte eigentlich nicht besser laufen.“

      „Ja, dann. Gibt’s was Neues?“

      Herr Moosbacher druckste. Was war denn heute mit ihm los? Er wollte also doch eine Gehaltserhöhung. Ich hätte zu Hause mal nachgucken sollen, wann er die letzte bekommen hatte. Sehr lange war das noch nicht her. Schließlich stand er auf und ging zu seinem Schreibtisch. Er nahm eine Mappe und brachte sie mir.

      „Ja, Herr Mattheus. Sehen Sie mal da rein. Ich habe etwas vorbereitet. Wie Sie wissen, läuft die Firma ja als GmbH mit Ihnen als alleinigem Gesellschafter. Die Geschäfte gehen gut und wir machen Profit. Allerdings ist das Geld, das Ihnen jeden Monat ausgezahlt wird, eher rückläufig. Das liegt daran, dass wir im Moment auch hohe Ausgaben haben. Vor allem die Gehaltskosten drücken doch erheblich auf den Gewinn.“

      „Aha.“ Teilnahmslos blätterte ich in den Papieren, die er mir gereicht hatte. Dabei arbeitete mein Gehirn fieberhaft. Worauf wollte er hinaus? Mit dieser Einleitung konnte er doch unmöglich auf eine Bitte um mehr Gehalt zusteuern.

      „Ja, also, Herr Mattheus. Ich habe hier einen Vorschlag ausgearbeitet, der Ihnen etwas mehr Geld einbringen würde.“ Herr Moosbacher machte eine Pause. Er glaubte doch nicht ernsthaft, dass ich bei der Aussicht auf mehr Geld mit hechelnder Zunge aufsitzen würde wie ein Hündchen? „Ich wäre unter Umständen bereit, als Gesellschafter der Firma beizutreten, und dafür eine Reduzierung meiner Bezüge in Kauf zu nehmen. Gleichzeitig würde ich natürlich auch das Risiko mittragen und die Verantwortung für die laufenden Geschäfte weiter in der Hand behalten. Was wir so einsparen, würde dann natürlich als Gewinn weitergegeben.“

      Ja, du schlauer Hund, du als Gesellschafter! Dieser gerissene Herr Moosbacher wollte mich doch echt über den Tisch ziehen. Warum um alles in der Welt sollte ich ihm meine halbe Firma schenken?

      „Ich habe einiges auf der hohen Kante und würde einen großen Teil davon in die Firma einbringen können. Sehen Sie hier!“ Herr Moosbacher zeigte auf eine Tabelle mit vielen Zahlen. „Mit dieser Finanzspritze könnten wir dann investieren. Haben Sie eigentlich darüber nachgedacht, was ich Ihnen das letzte Mal vorgeschlagen habe?“

      Ich wiegte bedenklich mit dem Kopf, um zu verbergen, dass ich nicht den leisesten Schimmer hatte, was er das letzte Mal vorgeschlagen hatte.

      „Nun ja, die Schmitz KG hat natürlich im Moment mit Plastik nichts zu tun, aber wenn wir sie kaufen würden, stünden uns die Werkhallen direkt nebenan zur Verfügung und man könnte alles ohne große Umstände für unsere Zwecke umwandeln. Damit ließe sich ganz anders agieren und wir könnten unsere Kapazitäten erheblich hochfahren. Ja, mit dem Geld, das ich der Firma zuführen würde, könnten wir uns das dann auch leisten.“

      Anscheinend hatte Herr Moosbacher jetzt sein Pulver verschossen und schaute mich zuversichtlich an, als könne ich dieses großartige Angebot unmöglich ausschlagen.

      Ich tat so, als überlegte ich eine Weile, und nickte schon mal mit dem Kopf, damit die Enttäuschung ihn dann umso härter treffen würde. „Ja, ich habe tatsächlich lange über Ihre Idee, die Schmitz KG zu kaufen, nachgedacht. Allerdings bin ich zu einem ganz anderen Ergebnis gekommen.“

      Herr Moosbacher sah mich erschrocken an. Ich machte eine weitere Pause und ließ es in meinem Kopf rattern. Manchmal bringen mich vermeintliche Engpässe zu Phantasieschüben, die ich mir gar nicht zutrauen würde.

      „Ich habe meinerseits einige Kontakte spielen lassen und habe einen ernsthaften Interessenten, der bereit wäre, mir die Firma abzukaufen.“

      Ha! Das sollte er erst mal verdauen, der nette Herr Moosbacher!

      „Sie meinen, Sie tragen sich mit der Idee, die Firma zu verkaufen? Aber, an wen denn? Wann soll das denn sein? Wie viel, wenn ich fragen darf, erwarten Sie denn für die Firma?“

      „Ja, mein lieber Herr Moosbacher, es ist ja noch nichts in trockenen Tüchern. Ich werde Sie natürlich rechtzeitig informieren. Aber es ist schon eine ganze Menge Geld, wovon ich hier rede. So viel Geld, dass ich davon unbeschwert leben könnte für den Rest meines Lebens! Und erst einmal richtig einen Drauf machen könnte!“

      Merkwürdigerweise fiel mir an dieser Stelle etwas ein, was ich heute Morgen gelesen hatte: „Lassen Sie es ein letztes Mal richtig krachen!“

      Kapitel 3

      Nachdem ich mich von dem verzweifelten Herrn Moosbacher verabschiedet hatte, und sein Vorzimmer durchschritten hatte, ohne Frau Büsing eines Blickes zu würdigen, setzte ich mich in mein Auto und rief erst einmal Moni an. Sie schien erfreut, von mir zu hören, und sagte, sie habe bereits für 20 Uhr einen Tisch reserviert. Natürlich müsste sie vorher erst die Kinder abfüttern.

      „Komm doch einfach um 6 vorbei, dann kannst du noch ein bisschen mit den Jungs spielen.“

      Moni würde nie begreifen, dass es mir absolut keinen Spaß machte, mit den Jungs zu spielen. Denen machte es übrigens auch keinen Spaß, mit mir zu spielen. Überhaupt „spielten“ die Jungs nicht mehr. Sie saßen am PC, oder beschäftigten sich mit ihren Handys. Aber da ich sonst nichts vorhatte, sagte ich zu.

      Blieben mir noch knapp vier Stunden. Zu wenig Zeit, um zu Hause abzusacken. Zu viel Zeit, um durch die Geschäfte zu ziehen. Ich steuerte das Auto auf die Drakestraße und fuhr langsam wieder Richtung Zehlendorf. Nicht weit von hier hatte Uwe, mein Steuerberater, sein Büro. Kurzentschlossen bog ich in die Ringstraße und parkte mein Auto in seiner Einfahrt. Seine Sekretärin war sehr viel netter als Frau Büsing und begrüßte mich herzlich. Sie klopfte an die offene Tür ihres Chefs und schob mich praktisch schon über die Schwelle.

      „Herr Mattheus ist hier.“

      „Ach, das ist ja eine nette Überraschung. Ich habe allerdings gleich einen Termin.