Jo Thun

Club Suizid


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langsam! Was willst du? Du willst doch jetzt nicht ernsthaft einen Rat von mir? Da müssen wir einen Termin machen, das dauert.“

      „Nein, bloß nicht. Bitte keinen Termin. Ich meinte nur so ganz allgemein. Ich kann doch die GmbH verkaufen und dann mit dem Geld machen, was ich will, oder?“

      „Ja, schon. Hast du denn einen Interessenten? Ich kann gerne mal die Bilanzen durchsehen und dir sagen, was du verlangen kannst. Aber du weißt ja, Steuerberater können nicht Kopfrechnen – da müsste ich mich mit meinem Rechner hinsetzen. Das dauert ein paar Tage.“ Diesen Witz machte Uwe fast jedes Mal, wenn ich ihn sah, und jedes Mal lachte er wieder darüber.

      „Das kostet dann wie viel?“

      „Du kennst ja meinen Stundensatz!“

      „Ja, lass mal. Ich überschlafe das noch. Ach übrigens, hast du schon mal gehört, dass es in der Karibik eine Klinik gibt, die Sterbehilfe gibt?“

      „Dafür muss man doch nicht in die Karibik fahren. Wieso, brauchst du jetzt Sterbehilfe?“

      Uwe grinste. Wieso grinste er? Was war denn bitteschön an Sterbehilfe lustig?

      „Ist das nicht illegal?“

      „Das kommt auf das jeweilige Land an, was die Gesetze dazu sagen. Es gibt Länder, da dürfen Ärzte das.“

      Uwe grinste nicht mehr. „Sag mal, wieso fragst du denn das. Und warum in aller Welt willst du eigentlich deinen Laden verkaufen? Ist was mit dir?“

      „Ach quatsch. Ich muss los, du hast ja auch noch zu tun. Also bis demnächst mal wieder.“

      Als ich mich noch einmal nach ihm umdrehte, saß Uwe bereits wieder an seinem Schreibtisch und hatte den Telefonhörer in der Hand.

      Um Viertel nach 6 klingelte ich bei Moni. John, der 14-Jährige, machte auf.

      „Ach du. Mama hat schon gesagt, dass du kommst.“

      Damit ließ er mich am Eingang stehen. Tommy, der 12-Jährige, rief aus seinem Zimmer: „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Onkel Mattes!“ Ich heiße gar nicht Mattes, ich heiße Joachim. Aber den Namen mag ich nicht, und eigentlich nennen mich alle Mattes, schon seit Schulzeiten.

      Moni hatte eine Schürze über ihr rotes Lieblingskleid gebunden, ihre blonden Haare zum Pferdeschwanz gebunden und stand am Herd, mit zwei großen Schnitzeln in der Pfanne beschäftigt. Der Salat war schon fertig, und es gab Bratkartoffeln dazu. Es roch gut und ich bekam einen Riesenappetit.

      „Tommy, deck doch schon mal den Tisch!“ rief sie in Richtung Kinderzimmer.

      „Wieso immer ich?“

      „Weil ich sonst dein Schnitzel Onkel Mattes gebe, der guckt schon so gierig.“

      Tommy kam aus seinem Zimmer und suchte mürrisch Teller und Besteck zusammen. Inzwischen goss Moni uns zwei Gläser Wein ein.

      „Geh doch mal zu John, der hat da ein Problem mit seinem Computer und ich kann ihm nicht helfen.“

      „Ja, meinst du, ich kann ihm helfen? Wenn’s nicht am rausgefallenen Stecker liegt, dann weiß ich auch nicht weiter.“

      Trotz meiner Proteste schob Moni mich in Richtung Kinderzimmer. Ich weiß nicht, warum sie glaubt, ich könnte auch nur im Entferntesten als Rollenmodell für ihre Jungs herhalten.

      „Was ist denn das Problem?“ fragte ich lässig. John ist ungefähr so groß wie ich, allerdings deutlich schlanker. Und natürlich jünger.

      „Ich habe eine neue Soundkarte eingebaut, und seitdem funktioniert er nicht mehr.“

      „Hast du schon mal runtergefahren und neu gestartet?“

      John schickte mir einen mitleidigen Blick zu. Was war jetzt wieder falsch? Das war immer das erste, was die Leute vom Support-Center sagten, wenn ich mal mit einem Problem anrief. Manchmal half es auch tatsächlich.

      „Hier, halt mal!“ John hielt mir einen Schraubenzieher hin. Was sollte das jetzt werden? Aber ich nahm ihn doch, weil John anscheinend nur seine Hände frei haben wollte, um etwas aus seinem Computer raus zu ziehen. Prompt fiel mir das Ding aus den Händen.

      „Was machst du denn da?“ fragte John, als er mich auf allen vieren unter dem Tisch rumkriechen sah.

      „Hier, dir ist eine Schraube runtergefallen, vielleicht brauchst du die?“

      „Mensch ja, die hab ich überall gesucht!“ John strahlte glücklich, was mich merkwürdigerweise mit Stolz erfüllte.

      Kapitel 4

      Gegen 20 Uhr saßen wir an einem Zweiertisch in Monis Lieblingsitaliener mit Blick auf den Ludwig-Kirchplatz. Wie immer bestellten wir eine gemeinsame Vorspeisenplatte, einen Amarone Corte Brà 2006, als Hauptgang wählte sie Pasta mit Riesengarnelen, und ich nahm Merluzzo Fritto su puré di patate a tartufo piemontese.

      Das Gespräch umkreiste noch immer die Essgewohnheiten und Eigenheiten ihrer Söhne, wobei meistens sie redete und ich lediglich von Zeit zu Zeit dazwischen warf: „Ach, ich war auch nicht anders in dem Alter.“ Aber ich merkte schon, dass sie eigentlich von etwas anderem reden wollte. Mehrmals hatte sie bereits einen Satz begonnen und dann wieder abgebrochen. Als sie jetzt zum dritten Mal begann: „Mattes, sag mal“, und dann wieder nur eine Gabel von meinem Kartoffelbrei klaute, hakte ich nach: „Jaaa?“

      „Wie geht’s dir eigentlich?“

      „Wieso, wie soll’s mir denn gehen? Na gut, wenn ich hier mit dir sitze.“ Ich versuchte, charmant zu grinsen, obwohl ich weiß, dass das nicht der Eindruck war, der rüberkam.

      „Also, alles gesund? Keine Sorgen, oder Probleme?“

      „Doch, wenn du es wirklich wissen willst!“ Ich senkte die Stimme und warf schnell einen Blick nach links und nach rechts. „Mein Friseur ist im Urlaub und ich traue mich nicht zu seiner Vertretung. Was meinst du, kann ich die Haare drei Wochen lang wachsen lassen, oder sieht das dann lächerlich aus?“

      „Mensch, Mattes, kannst du nicht mal ernst sein. Uwe sagt, du hättest so komische Sachen gesagt, als ob du krank seist.“

      „Uwe? UWE? Redest du von meinem Steuerberater?“

      „Von wem denn sonst? Er hat mich heute angerufen, hast du was dagegen?“

      Ich antwortete nicht. Was für Abgründe taten sich denn da auf?

      „Also, wenn du es genau wissen willst: Wir beide sind zusammen.“

      Donnerschlag! „Uwe Steuerberater und du, ihr seid ZUSAMMEN?“

      Die Nachbarn vom Nebentisch guckten neugierig zu uns rüber und Moni rollte die Augen.

      „Mann, ich glaub’s einfach nicht! Uwe? Der ist doch total alt. Der ist schon über vierzig!“

      „Mattes, ich bin 37! Das Alter spielt doch keine Rolle. Was ist denn nun, freust du dich für mich?“

      „Ob ich mich für dich freue? Worüber genau soll ich mich denn freuen?“

      Wieder rollte Moni die Augen. „Mein Gott, seit vier Jahren heule ich dir jetzt was vor, wie schwer es ist als alleinerziehende Mutter, wie einsam ich mich fühle, und so weiter und so weiter, und jetzt bin ich wieder glücklich. Merkst du das nicht? Selbst John sagt, ich strahle irgendwie.“

      Hatte sie gestrahlt? Jetzt tat sie es jedenfalls nicht.

      „Ja, also, wenn du glücklich bist, dann freue ich mich natürlich. Für dich.“ Für Uwe weniger. Warum hatte das Schwein mir vorhin nichts davon erzählt?

      Als ob sie meine Gedanken erraten hätte, fuhr Moni fort: „Er hat vorhin angerufen, um mir zu sagen, dass du bei ihm warst, und dass er sich schlecht fühlte, weil er mich nicht erwähnen konnte. Er wollte, dass du es erst von mir erfährst.“

      Jetzt strahlte