Claudia A. Wieland

Für immer Rosa


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von der amerikanischen Jazz-Sängerin Melody Gardot geschrieben worden war, kurz vor der Premiere in einem Nachdreh entstanden und von Tom Savage persönlich der verstorbenen Autorin Rosa Mansier gewidmet worden war.

      Dann hatte sie den Tom Savage von heute in einem Interview im Fernsehen gesehen. Klar war er jetzt etwas älter. So Ende Dreißig musste er sein. Aber er war viel, viel jünger als ihr Vater. Und er sah immer noch richtig jungenhaft aus, trotz der Falten auf seiner Stirn und den vereinzelten grauen Haaren in seinem ansonsten haselnussbraunen Haar. Dagegen sah ihr Papa, der alte Rock 'n' Roller, richtig verlebt aus mit seinen eisgrauen Haaren und dem faltigen Gesicht, das an altes Leder erinnerte. Sie lächelte beim Gedanken an ihren Vater, der jetzt irgendwo auf einer Baustelle mit Kunden unterwegs war, die langen Haare züchtig zu einem Zopf gebunden und die löchrigen Jeans gegen eine dezente Stoffhose eingetauscht.

      In dem Fernsehinterview ging es um Toms Comeback, das offensichtlich ziemlich erfolgreich lief. Sein lebhaftes Minenspiel kam ihr seltsam vertraut vor. Mal riss er die Augen auf und seine Stirn legte sich in Falten, dann wieder kniff er die Augen zusammen und seine dichten Brauen überschatteten seine nachdenklichen Augen. Mal lächelte er verlegen, mal grinste er frech.

      Irgendwann konnte sie sich nicht mehr auf das konzentrieren, was er sagte oder was der Reporter fragte. Sie starrte nur noch auf seine Augen: blau, kristallklar, aber dennoch verträumt, mit einem unendlich wehmütigen Ausdruck. Wieder schossen ihr die Tränen in die Augen. Sie fühlte etwas, was sie nicht einordnen konnte. Eine schreckliche Trauer, so ähnlich wie damals, als ihre über alles geliebte Omi gestorben war. Aber es war doch noch anders, verzweifelter, bedrohlicher. Es krampfte ihre Kehle zusammen und würgte ihr die Luft ab. So einen Schmerz kannte sie nicht. Das war nicht IHR Schmerz. Es dauerte lange, bis sie sich wieder beruhigt hatte.

      Das Mädchen schreckt aus seinen Erinnerungen hoch, als seine Mutter das Zimmer betritt. Schnell zieht es die Stöpsel des MP3-Players aus den Ohren. »Du hast mich wahrscheinlich nicht klopfen hören, mein Schatz«, sagt die Mutter und kommt näher. Dann sieht sie den Artikel auf dem Bett neben ihrer Tochter. Sie nimmt ihn hoch und wirft einen Blick darauf. »Wo hast du DAS denn gefunden?«, fragt sie erstaunt. Vermutlich hat sie den alten Karton auf dem verstaubten Dachboden längst vergessen. »Das ist doch aus meiner alten STARKISTE. Ich wusste gar nicht, dass es die noch gibt.«

      Die Tochter gesteht den Fund auf dem Dachboden. Ihre Mutter lacht fröhlich. »Ich habe früher über die Leute, die ich besonders toll fand, alle Informationen gesammelt, die ich finden konnte.«

      Sie setzt sich jetzt neben ihre Kleine, den Rücken ans Kopfende des Bettes gelehnt, sodass die beiden wie zwei Schwestern wirken. Mutter und Tochter legen die gefalteten Hände in den Schoß.

      »Tom Savage war zu der Zeit, aus der dieser Artikel stammt, so etwa Mitte Zwanzig, ich weiß nicht mehr genau, jedenfalls ein bisschen jünger als ich. Er hatte einige supererfolgreiche Filme gemacht, die von allen Mädels zwischen zwölf und achtzig angeschaut wurden. Das war vielleicht ein Hype. Wo auch immer er auftauchte, versammelten sich seine Fans, vor allem die weiblichen, und kreischten, was das Zeug hielt. Und die Paparazzi belagerten ihn, verfolgten ihn, manche belästigten ihn sogar ziemlich heftig. Er aber blieb immer ganz ruhig, nett und freundlich. Manchmal lächelte er ganz verlegen, als verstehe er diesen Rummel um seine Person überhaupt nicht. Er war ein Supermegastar, allgegenwärtig, in der Presse, im Fernsehen, im Kino, überall. Aber er war ja auch wirklich ein toller Schauspieler. Er konnte mit seiner Mimik Gefühle zum Ausdruck bringen, dass es einen ganz fertigmachte, wenn man ihn nur ansah. Und in Interviews wirkte er immer älter, als er eigentlich war, irgendwie nachdenklicher und reifer als seine Altersgenossen. Auch deshalb fand ich ihn so toll, denn im Allgemeinen stand ich ja nicht auf jüngere Männer.« Sie schubst ihre Tochter kichernd in die Seite.

      Die weiß natürlich, was ihre Mutter damit andeuten will. Ihr Vater ist ganze fünfzehn Jahre älter als ihre Mutter. Ihre Großeltern waren damals wohl ziemlich entsetzt gewesen, als sie sich in diesen Musiker verliebt hatte. Sie würde die schönsten Jahre ihres Lebens verschenken, hatten sie gewarnt. Und eines Tages würde er sie einfach sitzenlassen. Man kannte ja diese Leute. Dann hatte sie Papa einfach mit nach Hause gebracht und er hatte ihre Großeltern mit seinem Charme platt gemacht. Und dann hatten sie geheiratet und schienen bis heute ziemlich glücklich zu sein. Wie am ersten Tag, sagte Papa jedenfalls.

      »Nur bezweifle ich, dass Toms schauspielerische Fähigkeiten seine weiblichen Fans wirklich ernsthaft interessierten«, fährt ihre Mutter fort. »Er sah nämlich auch noch verdammt gut aus und das trieb sie in den Wahnsinn.

      Aber dann kam diese Geschichte mit der französischen Schriftstellerin. Es war bei Dreharbeiten in Frankreich. Sie hatte den Roman geschrieben, auf dem der Film VICTOR UND CLAIRE, den sie dort drehten, basierte. Die beiden, also Tom und Rosa Mansier, verbrachten wohl ziemlich viel Zeit miteinander. Zuviel Zeit, wie hauptsächlich die weiblichen Fans im Nachhinein fanden. Bis heute weiß niemand so richtig, was damals wirklich zwischen den beiden war. Tom Savage hielt sein Privatleben immer eisern unter Verschluss. Jedenfalls war sie um einiges älter als er. Die Gerüchte überschlugen sich. Die Boulevardpresse gab keine Ruhe und spekulierte, was das Zeug hielt.

      Ich hatte übrigens ihren Roman gelesen und er hatte mich zutiefst berührt. Dein Vater hat sich immer über mich lustig gemacht. Ich wollte doch so sehr, dass er das mit mir teilt, aber er meinte, das sei MÄDCHENKRAM. Dein Papa! Harte Schale, weicher Kern.« Sie streichelte ihrem Mädchen sanft über den Arm. »Und danach sah ich dieses Interview mit Rosa im Fernsehen. Ich sage dir, sie war so sympathisch, offen und ehrlich, dazu humorvoll. Sie war so lebendig, sprach enthusiastisch über den Film, der bald gedreht werden und ihre Geschichte zum Leben erwecken sollte und dass sie das alles richtig glücklich mache.

      Ich erinnere mich noch so gut an ihr Aussehen, ihre weichen, weiblichen Gesichtszüge, ihr rotblondes, elegant zurückgekämmtes Haar, vor allem aber ihre unergründlichen, grünen Augen. Sie waren genauso tief und wunderschön wie deine, mein Schatz! Und sie hatte ein bezauberndes Lächeln, das tiefe Grübchen in ihre Wangen zauberte. Sie strahlte eine unglaubliche Herzenswärme aus. Ich mochte sie sehr.

      Und dann kam diese schreckliche Sache. Sie erkrankte ganz plötzlich und unerwartet an Krebs. Die Krankheit befand sich wohl schon im Endstadium, als die Presse darüber berichtete. Rosa starb noch vor der Premiere des Films, heimlich, still und leise. Nur Tom Savage, so hieß es damals jedenfalls, war in den letzten Stunden bei ihr. Aber ob das den Tatsachen entspricht, weiß ich nicht.«

      Während die Mutter erzählt, sieht ihre kleine Tochter die ganze Zeit Tom vor sich. Sie fühlt eine Welle der Gefühle auf sich zukommen, erst nur vage, dann immer heftiger. Gefühle, die sie bisher nicht kannte. Sie kommen mit großer Deutlichkeit immer näher, bis sie sie überschwemmen. Da ist eine ganz unvorstellbar tiefe Liebe … dann eine große Sehnsucht … unbändige Freude … Angst, ganz viel Angst … und dann plötzlich … schreckliche, abgrundtiefe Verzweiflung, dröhnend und laut, wie wenn es bei einem Gewitter donnert oder wenn ihr Vater die Bässe aufdreht. Sie versteht sofort, dass es nicht ihre eigenen Gefühle sind. Nicht sein können. Und sie ist diesem Ansturm nicht gewachsen. Sie beginnt zu weinen und konzentriert sich auf die vertraute Stimme ihrer Mutter. Der Schwall der fremden Empfindungen reißt sofort ab, als habe jemand einen Hahn zugedreht.

      »Aber was hast du denn, mein Schatz?«, fragt ihre Mutter erschreckt. »Warum weinst du denn? Na komm, das ist jetzt schon so viele Jahre her!« Sie legt tröstend den Arm um ihre Kleine. »Spatz, du bist so empfindsam, aber du kannst doch nicht immer den Schmerz der ganzen Welt mitfühlen!«

      Das zierliche Mädchen schluchzt ein letztes Mal auf und atmet dann ganz tief durch. »Nein, Mama, ich fühle doch nicht den Schmerz der ganzen Welt«, versucht es seine Mutter zu beschwichtigen. »Die Geschichte ist nur so traurig. Aber erzähl’ doch zu Ende! Bitte Mama!«, ermutigt es seine Mutter.

      »Also gut. Es gab dann einen Riesenskandal. Nach der Premiere in New York, auf der Tom schon ziemlich übernächtigt und angeschlagen aussah, gingen er und seine Co-Darstellerin, sie hieß Charlotte, auf Tour durch Europa, um dort in den Hauptstädten an den Premieren ihres Films teilzunehmen. Und da hat Tom dann, ich glaube, es war in Paris, einem Reporter einen Schlag ins Gesicht versetzt, der ihm zu sehr auf die Pelle gerückt war. Es