Claudia A. Wieland

Für immer Rosa


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auf das Leben, unternehmungslustig, voller Energie und für immer jung. Aber wie hätte er ihr zeigen sollen, dass es keine Rolle für ihn spielte, wie alt sie auf dem Papier war? Wie hätte er es ihr anders beweisen können, als durch seine Liebe in jener unaussprechlich sinnlichen Nacht, in der er zum ersten und einzigen Mal in seinem Leben mit einer Frau wirklich eins geworden war. Als seien ihre Seelen für einen Augenblick miteinander verschmolzen. Auch das würde er niemals vergessen können.

      Rosa, seine Rose! Manchmal war sie umwerfend charmant, dann wieder burschikos und fröhlich gewesen. Aber immer hatte sie diese unendliche Wärme ausgestrahlt. Er hatte den Namen der Göttin ROSMERTIA, nach der sie nach dem Wunsch ihrer Mutter hatte benannt werden sollen, gegoogelt. Göttin des Feuers und der Wärme stand da geschrieben, und weiter Blumengöttin. Er sah sie wieder vor sich, strahlend zwischen den Hortensien, die er niemals blühend gesehen hatte. Nur kraft ihrer lebendigen Beschreibung. Bald schon würden Rosas Blumen wieder in voller Blüte stehen! Er hatte Sommer für Sommer daran gedacht.

      Und ihr reizendes Faible für diese Mützen! Wo wohl die pinkfarbene Fischermütze geblieben war, die er ihr geschenkt hatte? Er lächelte wieder. Diese selbstbewusste Art, wie sie ihre rotblonden Haare im Nacken zu einem Chignon zusammengesteckt hatte! Und ihr dezenter Duft! Er hatte sie nicht fragen müssen, um zu wissen, dass sie Chanel benutzte. Aber vor allem sah er immer wieder ihre wunderschönen, tiefen, grünen Augen vor sich. Sie waren nicht wie klares Meerwasser, auf dessen Grund man schauen konnte. Nein, Rosas Augen waren unergründlich, geheimnisvoll. Wie ihr Leben. Er hatte in den wenigen Wochen mit ihr kaum etwas erfahren. Und doch hatte er das Gefühl gehabt, sie ganz genau zu kennen.

      Schon bei ihrem ersten gemeinsamen Besuch in der Abtei, als sie ihn herumführte, hatte er beschlossen, ein Haus am Pazifik zu kaufen. Ihre innige Liebe zum Meer, ihre Begeisterung hatte ihn mitgerissen und vielleicht hatte er schon an diesem Tag gehofft, sie käme eines Tages nach Kalifornien. Zu ihm. Für immer.

      An jenem Abend im Hortensiengarten, nach ihrer tagelangen Abwesenheit, hatte sie so blass und niedergeschlagen ausgesehen. Als er sie damals zum ersten Mal in den Armen gehalten hatte, war sein Wunsch, sie zu küssen, fast übermächtig gewesen. Aber sie fühlte sich so schrecklich zerbrechlich an. Auf einmal war sie wie ein hilfloses Mädchen, das er festhalten und trösten wollte. Von ihrer unsäglichen, bösartigen Krankheit hatte sie ihm zwar nichts erzählt, aber er hatte instinktiv gewusst, dass irgendetwas nicht stimmte. Hätte er nicht locker lassen, auf Antworten drängen sollen? Diese Frage hatte er sich jahrelang immer wieder gestellt.

      Sie hatte ihm zum Abschied den Plan von der Abtei zugesteckt, auf dem, wie er später sah, in ihrer Handschrift die bretonischen Worte DA GAROUT A RAN! geschrieben standen. Ziemlich schnell hatte er im Internet herausgefunden, was das bedeutete: ICH LIEBE DICH. Er nahm an, dass auch sie ihn schon damals, bei ihrem ersten Besuch in der Abtei, geliebt hatte, weil sie es ausgerechnet auf diesen Plan, an die Stelle, wo sich ihr Hortensiengarten befand, geschrieben hatte.

      Ein Wort von ihrer Krankheit, eine einzige Silbe hätten gereicht, um ihn zurückzuhalten. Aber sie wollte wohl nichts sagen, um ihm den Abschied nicht noch schwerer zu machen. So sehr hatte sie ihn geliebt! Aus der Presse hatte er von ihrer Krankheit erfahren müssen. Sie war nicht mehr ans Telefon gegangen, wenn er sie anrief. Konnte es wohl nicht mehr. Sofort hatte er alles stehen- und liegenlassen und war nach Europa geflogen. Die Angst hatte ihn fast aufgefressen und nur seiner Hartnäckigkeit hatte er es zu verdanken, dass er überhaupt zu ihr gelassen wurde. In letzter Minute. Fast wäre es zu spät gewesen. Er hatte sie noch einmal in den Armen halten dürfen.

      Und dann hatte sie sich ganz still aus seinem Leben geschlichen. Er hatte es nicht fassen können.

      Danach hatte er nicht mehr schlafen können, hatte die Nächte in den Hotels durchwacht, in denen er sich während seiner Premierentour gerade aufhielt, hatte das Fernsehgerät laufen lassen, ohne zu sehen oder zu hören, was in der Welt geschah. Es interessierte ihn nicht.

      Tagsüber war er durch die Stadt, in der er sich gerade befand, gelaufen und hatte in jedem weiblichen Gesicht die vertrauten Gesichtszüge gesucht. Vergebens. Sie war fort, würde nie wieder zurückkommen.

      VICTOR UND CLAIRE war ein großer Erfolg gewesen. An den Kinokassen auf der ganzen Welt spielte der Film über vierhundert Millionen Dollar ein. Rosa hatte das nicht mehr miterleben dürfen. Das war eine so perfide Ungerechtigkeit. SIE hatte die Vorlage geschrieben. SIE hatte ihn bei den Dreharbeiten motiviert, hatte ihm in langen Gesprächen die Drehorte und deren Atmosphäre nähergebracht. Allein IHRE Anwesenheit hatte ihn dazu angetrieben, zur Höchstform aufzulaufen.

      Zu all den Premieren war er gegangen. Das war er ihr schuldig gewesen. IN MEMORIAM. Aber dann sollte er allein die Früchte ihrer gemeinsamen Arbeit ernten. Er sollte Preise in Empfang nehmen. Das hatte er nicht gekonnt. Er hatte lieber Videonachrichten geschickt und sich in seiner Hotelsuite verbarrikadiert.

      Einmal hatte sich ihm beim Verlassen des Hotels in Paris nach einer endlos langen, schlaflosen Nacht ein Reporter in den Weg gestellt und ihm das Mikrophon fast gegen die Nase gehauen. Der Mann wollte wissen, ob er ein Faible für ältere Frauen habe. Da hatte er instinktiv zugeschlagen.

      Sie hatten sich in der Presse wieder einmal die Mäuler über ihn zerrissen. Über seinen angeblich krankhaften Alkoholkonsum, obwohl er damals, bis auf ein paar Bier, so gut wie gar nicht trank. Nun, dachte er sich seinerzeit, wenn sie es denn so wollten, dann konnten sie es so haben! Er ließ keine Party mehr aus und trank sehr viel, um seinen Kummer zu ertränken. Vergebens. Am nächsten Morgen wachte er immer wieder in diesem großen, grauen Nichts auf.

      Allmählich blieben die guten Drehbücher aus. Er bekam nur noch zweitklassige Rollenangebote, die er aber konsequent ablehnte. Geld hatte er ja mehr als genug verdient, denn auch der Film nach VICTOR UND CLAIRE, den er mitproduziert hatte, war ein ziemlich großer Erfolg geworden. Also verzichtete er lieber ganz.

      Natürlich hatte er in all den Jahren nicht im Zölibat gelebt, aber niemals war es auch nur annähernd so gewesen wie mit Rosa. Und so wurden aus seinen Frauenbekanntschaften, trotz seiner Versuche, eine dauerhafte Beziehung aufzubauen, nur belanglose Affären, die ihn mehr und mehr abstießen. Das hatte nicht an den Frauen gelegen. Es lag einzig und allein an ihm. Jede einzelne Zelle seines Körpers hatte die Erinnerung an Rosa, ihr Bild, sorgsam und eifersüchtig aufbewahrt. Keine Frau konnte dem Vergleich standhalten.

      Nach ein paar Jahren war er zum Film zurückgekehrt. Die Schauspielerei war seine Berufung und Gott sei Dank erinnerte sich der ein oder andere Regisseur, mit dem er einmal gearbeitet hatte, noch an seine Talente. Und der Erfolg kam wieder. Nicht so hysterisch, laut und vereinnahmend wie damals, sondern ruhiger, reifer, vielleicht auch beständiger.

      Die schreckliche Verzweiflung und der abgrundtiefe Schmerz waren von Jahr zu Jahr weniger geworden. Er wäre fast zu einem emotionalen Fossil geworden, gefühlsmäßig vollkommen versteinert, teilnahmslos, vielleicht sogar zynisch, wäre da nicht dieser allgegenwärtige, dumpfe Schmerz geblieben, diese Wehmut, weil er die große Liebe seines Lebens nicht hatte leben dürfen. Dieser Schmerz hielt seine Seele ironischerweise am Leben.

      Warum kamen gerade jetzt die Erinnerungen wieder? Nach so langer Zeit? Er hatte sich in all den Jahren so sehr davor gefürchtet, dass sie ihn wieder überfielen und dann quälten wie damals, Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat. Aber seltsamerweise konnte er sie heute Nacht aushalten, wurde er nicht durch ihre Wucht niedergedrückt. Hatte das seltsame Mädchen etwas damit zu tun? Das Mädchen, dessen Energie ihn nur für den Bruchteil einer Sekunde gestreift hatte? Das hatte ihn einerseits erschreckt, andererseits aber auch auf eine unerklärliche Art getröstet. Er hoffte jetzt sogar, die junge Frau noch einmal wiederzusehen.

      14. Kapitel

      Der alte Mann auf der Bühne hatte graues, schütteres Haar und ein aschfahles Gesicht. Die blauen Augen schauten mit einem leicht überraschten, aber außergewöhnlich wachen Ausdruck durch die Gläser einer dunklen Hornbrille. Die ausgebeulte Hose sowie die graue Strickweste über dem Hemd mit speckigem Kragen waren altmännermäßig derangiert. An den Füßen trug er karierte Filzpantoffel.

      Der