Michael Stuhr

DIE GABE


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sterben musste, und dieses Treffen in der Kapuzinergruft von Palermo diente dazu, den Vertrag auszuhandeln.

      Die Bodyguards trennten sich und brachten sich an den entgegengesetzten Enden des Hauptgangs in Stellung. Einer von ihnen sprach mit gedämpfter Stimme in sein Sprechfunkgerät. Sekunden später flutete Tageslicht die Treppe hinab und Schritte wurden laut.

      Ein hoch gewachsener Mann kam in das Gewölbe. Ohne die Mumien und Gebeine zu beachten kam er mit schnellen Schritten den Gang entlang.

      Im Sonnenlicht, das durch die weit oben eingelassenen Buntglasfenster in den Raum fiel, konnte Thakur erkennen, dass der Mann dunkle Haare hatte, die von weißen Strähnen durchzogen waren. Sein Gesicht und die Hautfarbe ließen auf eine Herkunft aus dem Mittelmeerraum schließen.

      Vielleicht ein Araber? Thakur wusste es nicht und es war ihm auch egal. Es unterstrich nur wieder einmal, dass sich in dem Hass auf die Darksider offenbar alle namhaften Religionen einig waren. Seinen letzten Auftrag hatte Thakur mitten im Aokigahara-Wald von einem uralten Japaner in einer braunen Kutte bekommen. Einziger Zeuge war ein schon seit Wochen toter Selbstmörder gewesen, der sich in seiner letzen Minute sitzend an einen Baum gelehnt hatte.

      Davor war es ein Russe gewesen, der den Auftrag erteilt hatte. Das war an einem der Türme des Schweigens nahe Bursa geschehen. Man musste schon zugeben, dass der Heilige Pakt ein Gespür für Dramaturgie und unheimliche Orte hatte.

      Der Abgesandte kam bis auf zwei Schritte an Thakur heran und blieb stehen. „Ich soll Ihnen Gruß und Segen des Heiligen Pakts überbringen, Thakur“, begann er.

      „Danke!“ Thakur verneigte sich leicht. „Stets zu Diensten.“

      „Wo sind Ihre Bluthunde?“

      Thakur lachte leise auf. „Sie werden da sein, wenn ich sie brauche.“

      „Ist die gute Christin noch dabei – diese van Vliet?“

      „Sicher!“

      „Und Isaak, der alte Haudegen?“

      „Izzy Silverman? Sie kennen ihn?“

      „Wir hatten mal miteinander zu tun“, wich der Fremde aus. „Ist er noch dabei?“

      „Natürlich!“

      „Fein! Sie werden gute Leute brauchen.“ Der Abgesandte schaute Thakur in die Augen. „Diesmal geht es ums Ganze. Wir wollen, dass Sie der Schlange den Kopf abschlagen.“

      „Sie wollen einen König?“

      „Nein, wir wollen beide! Caetan beim Fest des Wassers, Sochon bei der nächsten Jahrwerdung. Ist das für sie machbar?“

      Thakur zeigte sich unbeeindruckt. „Ich bin der beste Jäger und ich habe die beste Meute. Wenn ich es nicht schaffe, dann schafft es niemand!“

      „Hochmut ist Sünde.“

      Thakur winkte ab. „In Ihrer Religion vielleicht. In meiner nicht! Zu den üblichen Bedingungen?“

      „Die üblichen Bedingungen. Machen Sie es so spektakulär wie es nur geht. Die Bande soll wissen, dass sie nirgends sicher ist. Aber denken Sie daran: Wenn ein Mensch bei der Sache zu Schaden kommt, ist der Vertrag erloschen, und Sie stehen selbst auf der Todesliste.“

      „Es gibt Sympathisanten“, gab Thakur zu bedenken. „Sind die nicht genauso schlimm wie die, die sie beschützen? Sind das nicht Verräter an der menschlichen Rasse? Warum sollen die geschont werden?“

      „Ich bin ganz Ihrer Meinung.“ Der Abgesandte seufzte tief auf. „Aber der Heilige Pakt lässt nicht mit sich reden. Nur Darksider und keine Menschen! Die üblichen Bedingungen also, damit das klar ist.“

      „Das Fest des Wassers ist in fünf Monaten, Jahrwerdung erst im übernächsten Frühjahr. Ein Vorschuss wäre nicht schlecht“, forderte Thakur. „Zweihundertfünfzigtausend Dollar pro Job.“

      „Genehmigt!“

      „Wie? Einfach so genehmigt?“ Jetzt war Thakur doch etwas irritiert. Er hatte mit mehr Schwierigkeiten gerechnet.

      „Der Heilige Pakt wusste, dass Sie das fordern würden.“

      „Dann will ich ihn nicht nur heilig sondern auch weise nennen.“

      „Darf ich das so weitergeben?“, lachte der Abgesandte auf.

      Thakur lächelte höflich, aber das Gespräch glitt für seinen Geschmack ein wenig zu sehr ins Persönliche ab. „Lassen Sie uns weiter über Geld reden.“

      „Gut“, stimmte der Abgesandte zu. „Reden wir über sehr viel Geld.“

      Ein paar Augenblicke lang blieb Thakur in der Deckung des Eingangs zur Gruft stehen und sah sich gründlich um, bevor er auf die sonnenüberflutete Piazza de la Cappucine hinaustrat. Izzy stand an der Tankstelle etwas abseits der Zapfsäulen bei einem älteren Fiat Croma. Der Schatten einer kümmerlichen Palme fiel auf das Fahrzeug. Izzy hatte die Motorhaube geöffnet und hantierte etwas linkisch an der Maschine herum. Es musste jedem Beobachter so vorkommen, als habe er Schwierigkeiten mit dem Wagen, aber Thakur wusste, dass er im Notfall in Sekundenschnelle fahrbereit sein würde. Niemand konnte jemals auf die Idee kommen, dass dieser verloren aussehende, schon etwas ältere Mann einen sportgestählten Körper hatte und die 100 Meter mit Leichtigkeit unter zwölf Sekunden schaffte. Schon gar nicht hätte man vermutet, dass er unter seinem Hawaiihemd zwei großkalibrige Schnellfeuerpistolen verbarg, mit denen er hervorragend umzugehen verstand.

      Während Thakur mit langsamen Schritten die Piazza überquerte, nahm er aus den Augenwinkeln wahr, dass auch Greta van Vliet auf ihrem Posten war. Sie hatte sich unter die Touristen gemischt, die darauf warteten, dass die Katakomben wieder geöffnet wurden und beschäftigte sich mit einer kleinen Digitalkamera. Jetzt sah sie auf ihre Armbanduhr, schüttelte leicht den Kopf, verließ die Gruppe der bunt gekleideten Urlauber und ging ebenfalls auf die Tankstelle zu. Ihre Bewegungen waren ruhig und geschmeidig. – Nur eine schlanke, rothaarige Touristin, der das Warten zu langweilig geworden war.

      Der Angestellte, der vor dem Gemüseladen gegenüber die Kisten zurechtrückte, warf ihr einen bewundernden Blick zu, den sie aber nicht zu bemerken schien. Achselzuckend wandte der Mann sich wieder seiner Arbeit zu.

      Izzy sah seine beiden Kollegen herankommen und schloss mit einem letzten, prüfenden Blick die Motorhaube. Mit langsamen Schritten ging er vorne um den Croma herum und setzte sich genau in dem Moment hinter das Steuer, als Thakur und Greta den Wagen erreichten. Greta setzte sich auf den Beifahrersitz, während Thakur die bequeme Rückbank für sich beanspruchte.

      Silverman ließ den Croma an und fuhr los. Scheinbar willkürlich bog er in verschiedene Straßen ein und erst nach einigen Minuten, als feststand, dass sie nicht verfolgt wurden, eröffnete er das Gespräch: „Was hat denn mein alter Freund Maged mit der Sache zu tun?“

      „Alter Freund?“ Thakur zog die Augenbrauen hoch.

      „Nur so eine Redensart. Ich hatte mal dienstlich mit ihm zu tun.“

      „Beim Mossad?“

      „Allerdings! Er war bei der Hisbollah. Sag bloß, der arbeitet jetzt für den Heiligen Pakt?“

      „Scheint so.“ Thakur hob die Schultern. „Auf jeden Fall hat er mir den Auftrag erteilt.“

      „Wer ist es?“ Greta drehte sich auf ihrem Sitz halb zu Thakur um.

      Der beugte sich auf dem Rücksitz vor. „Es sind zwei.“

      „Wer ist der Erste?“

      „Caetan.“

      „Oh, der Herrscher des Pazifiks“, stellte Greta fest. „Ich hoffe, du hast gut verhandelt.“

      „Wenn die Jobs erledigt sind, brauchen wir nie wieder einen Handschlag zu tun.“ Thakur grinste Greta an.

      „Wer ist der Zweite?“, wollte Izzy wissen.

      Thakur beugte sich noch weiter vor, damit Greta und Isaak ihn besser verstehen