Claus Beese

Jan Kiekut


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Holzbottichs abgestreift wurde.

      Jan Kiekut war mit Feuereifer bei der Sache. Mit weit aufgekrempelten Hosenbeinen stand er hinter einem Schilfbüschel im flachen Wasser und lauerte auf die Aale, die da kommen sollten. Und sie kamen! Der Fischreichtum von Weser und Lesum war enorm und Jan Kiekut wusste gar nicht, wohin er die Gabel zuerst stechen sollte. Schon purzelten die ersten blanken und schlangengleichen Fischleiber in den hölzernen Trog. Da, ein dicker Raubaal, und da kam schon der nächste - zustoßen, und ab in den Bottich! Und noch einer, und noch einer – es nahm einfach kein Ende. Jan merkte nicht, wie die Zeit verging. Er merkte auch nicht, dass er schon längst seine Deckung verlassen hatte und nun im offenen, seichten Wasser umherwatete. Er sah nur noch Aale und – oh, Mann! Da war ein ganz dicker, da vorn, am Schilfbüschel!

      Jan stieß mit aller Kraft zu. Meine Güte, war das ein Brocken! Es riss dem Bengel die Aalgabel aus der Hand, und mit lauten Schmerzensschreien tanzte der vermeintliche Aal durch das flache Wasser zum Ufer hin, um sich dort stöhnend ins Gras fallen zu lassen. Hein Petermann zog mit einem Ruck die Zinken von seinem geschundenen großen Zeh und wickelte fluchend einen Lappen um seinen blutenden großen Onkel. Die fürchterlichsten Drohungen ausstoßend wankte er nach Hause, wo wenig später der Wundarzt mit zwei sauberen Nähten die klaffende Wunde schloss.

      Wie um alles in der Welt konnte ein Mensch einen Aal mit einem großen Zeh verwechseln, an dem auch noch weithin sichtbar sein Besitzer hing?

      „Bäcker!“, brummelte Hein Petermann. „Vielleicht sollte der Bengel Bäcker werden. Beim Teigkneten und Brote backen kann man doch eigentlich nichts verkehrt machen, oder?“

      Was’n ekligen Kram

      „Voll!“, stellte Emil fest. „Da geht nix mehr rein!“ Er schloss die Tür des Räucherschrankes, den er eben bis auf den letzten freien Platz mit Würsten und Schinken bestückt hatte.

      „Was mach ich jetzt damit?“, murmelte er und deutete auf den Rest, den er mit aller Mühe nicht mehr im Schrank hatte unterbringen können. Das war bestimmt noch mal eine halbe Füllung, und morgen in aller Frühe wollte sein Vater mit der frischgeräucherten Ware auf den Markt nach Bremen.

      „Auhauahaua, nee, das gibt Ärger, wenn das nicht fertig ist!“, befürchtete Emil.

      Doch Jan Kiekut winkte ab. „Kein Problem!“, vermeldete er gutmütig. „Vater hat gerade die Aale aus dem Rauch genommen. Unser Räucherofen ist frei und da ist Platz genug für die paar Würste.“

      Mit vereinten Kräften trugen sie die Wanne mit den frischen Würsten zu Fischer Petermanns Haus. Der Räucherschrank von Jans Vater erwies sich tatsächlich als recht geräumig, und die Würste waren schnell hineingehängt. Jan schürte das Feuer wieder an und schüttete reichlich Späne drauf. Klappe zu, und nun, Rauch, tue dein Werk.

      „Seid ihr verrückt geworden?“, brüllte Stunden später der alte Lebensmittelhändler aus der Hafenstraße. „Welcher Teufel hat euch geritten, die schönen Würste in den stinkenden Fischräucherkasten zu hängen? Die ganze Ware ist verdorben, das Zeug kauft kein Mensch mehr. So ein ekliger Kram, den werden nicht mal mehr die Schweine fressen!“

      Emils Vater schnappte nach Luft wie ein Karpfen auf dem Trockenen. Die Jungs hatten ihm schon manchen Schabernack gespielt, aber das hier war denn doch zu viel. Hier musste man Grenzen aufzeigen. Der Kaufmann besann sich auf seine erzieherischen Pflichten und begann, die Ärmel aufzukrempeln, während er gleichzeitig nach der Rute aus Haselnuss angelte, um den beiden Jungen das Fell zu gerben.

      Noch bevor er sie allerdings zu fassen bekam, klingelte das Glöckchen an der Ladentür. Schnüffelnd betrat Kapitän Harmssen den Laden, und gleich hinter ihm schwebte die Gattin vom Segelmacher Stührken mit forschendem Blick durch die Tür. Auch sie hatte die Nase in der Luft und schnupperte wie ein Karnickel.

      „Heinerich, was riecht hier so?“, forschte der Kaptein.

      „Ja, was um alles in der Welt verbreitet so einen Duft?“, wollte nun auch die Frau des Handwerkers wissen.

      Der Kaufmann hob bedauernd die Arme.

      „Tja, Leute! Ihr müsst schon den Gestank entschuldigen. Aber beim Räuchern ist uns was danebengegangen.“

      „Danebengegangen, danebengegangen“, äffte der Kapitän den Kaufmann nach. Er setzte einen listigen Blick auf und drohte mit dem erhobenen Zeigefinger. „Du Schlingel! Du Schelm! Du hast doch ’nen neuen Leckerbissen in deinem Laden und willst uns nicht probieren lassen? Heinerich, Heinerich, das hätte ich nicht von dir gedacht!“

      Auch Frau Stührken zog ein beleidigtes Gesicht.

      „Pfui, Heinerich, so behandelt man seine alten Stammkunden nicht!“

      „Haha! Schau her, Frieda, ich hab’s gefunden!“ Harmssens Stimme drückte äußerste Befriedigung aus, als er schnüffelnder Weise auf die Wanne mit der nach Aalrauch riechenden Wurst stieß. Ohne lange zu zögern, angelte er sein Segelmesser aus der Hosentasche und schnitt eine der Würste an. Er verdrehte die Augen und grunzte voller Behagen, als er ein gehöriges Stück Wurst in den Mund schob und zu kauen anfing. Auch Frieda Stührken bedachte er mit einer dicken Scheibe, und auch sie kaute voller Wonne.

      „Heinerich, davon muss ich meinem Hans mitbringen!“ Ihre Stimme duldete keinen Widerspruch. Der Kapitän angelte sich drei große Würste aus dem Bottich. „Da, pack ein!“

      Und nun ging es Schlag auf Schlag. Die Ladenglocke kam nicht mehr zur Ruhe. Überall in Vegesack sah man die Menschen schnuppernd und schnüffelnd durch die Gegend laufen, und irgendwann landeten alle im Lebensmittelgeschäft. Die im Aalschrank geräucherten Würste waren im Nu ausverkauft und der Händler hatte auf seiner Ladentheke eine lange Liste mit Vorbestellungen liegen.

      Nur eines hatte Kaufmann Heinrich versäumt: „Verdammt! Eine ganze Wanne voll von dem Zeugs habe ich verkauft. Aber probiert hab ich nicht! Wenn ich doch nur wüsste, wie die Würste schmecken! Emil! Jan!! Verdammt, wo sind die Bengels? Ich brauch sofort Nachschub von dieser ... Aalrauchmettwurst!“

      Nachrichtensalat

      Die „Pfeffersäcke“, also die reichen Kaufleute in Bremen, hatten mal wieder ihren Willen durchgesetzt. Als „viiiiel zu langsam“ hatten sie den Austausch von Nachrichten per Meldereiter zwischen dem Havenhaus in Vegesack und der Kaufmannschaft im mehr als zwanzig Kilometer entfernten Bremen bezeichnet. „Viiiiel zu spät“ erreichten sie die Meldungen über die heimkehrenden Schiffe und ihre Ladungen. Das mussten die Ratsherren in Bremen ändern!

      Nach vielem Grübeln und Sinnieren fand man die Lösung. Alle paar Kilometer wurde am Weserufer eine Signalstation gebaut, mit der nun alle Meldungen innerhalb kürzester Zeit übermittelt werden konnten.

      „Wenn du an diesem Hebel ziehst, dann geht der linke Signalarm hoch. Und dann stellst du mit dem anderen Hebel den rechten Signalarm waagerecht, und das ist dann der Buchstabe A!“

      Vetter Karl erklärte Jan Kiekut mit wahrer Engelsgeduld den neuen Apparat. Vetter Karl konnte Lesen und Schreiben, und darum musste er nun immer in dem kleinen Häuschen an der neuen Signalstation sitzen und Nachrichten empfangen oder nach Bremen hin durchgeben. Dafür bekam Vetter Jan auch noch Geld, ganz ohne zu arbeiten – pah! Wie ungerecht!

      „Kiek an“, sagte Vetter Karl. „Da kommt eine Nachricht!“ Scharf beobachtete er die etwas weiter flussauf liegende Signalstation. Die Gänsefeder kratzte über das Papier, als er Buchstabe für Buchstabe die Meldung niederschrieb.

      Jan beugte sich weit aus dem Fenster und schaute weseraufwärts. Blödsinn, da war weit und breit nichts zu sehen. Nichts kam da! Vetter Karl wollte ihn wohl wieder mal verkohlen.

      „Die Meldung ist für den Hafenkapitän“, stellte der Signalmaat fest. „Ich werd sie ihm schnell ins Havenhaus bringen. Fass du mir hier nichts an, Jan!“ Und schon sauste Vetter Karl aus der Tür und verschwand.

      Hm, merkwürdige Sache. Jan konnte sich gar