Jules van der Ley

Nachtschwärmer Online


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hinein.

      Da sitze ich am Boden, hab ne dicke Plane vorm Bauch, und er braust los. Das war vielleicht ein Erlebnis! Die Haare flogen mir, sie holten mich kaum mehr ein, und direkt unter meiner Nase hatte ich den flitzenden Asphalt. Und dann die Fliehkräfte. So ein Gespann fährt starr um die Kurven. Da hast du im Seitenwagen mindesten 2G.

      Jedenfalls hatte ich ordentlichen Hunger, als wir mit Nebenmanns Sohn im indonesischen Restaurant saßen. Ich habe, glaube ich, die „Fastenspeise der Buddhisten“ gegessen.

      Sie war gut.

      Gute Nacht, meine Liebe!

      Tunneldurchfahrt um drei Minuten verkürzt

      Einen Mond haben wir auch. Er steht hoch am Himmel, doch immer wieder bläst der Wind ihm Wolkenschleier ins Gesicht. Hoffentlich zieht es sich während der Fahrt nicht zu, damit wir unterwegs auch etwas sehen. Denn hinter der Stadtgrenze ist unsere Strecke ziemlich finster.

      Wir steigen zuerst die steile Böschung hinab.

      Man darf es eigentlich nicht. Es ist Bahngelände.

      Drüben auf der anderen Seite des Gleiskörpers böscht sich der Bahndamm ab. Tief unten liegt ein kleines Brachgelände. Früher, als ich noch studierte, war es deutlich größer.

      Eines Tages - pass auf, hier wird es steil! - kam einer zu mir, dem ich viel verdanke. Ein seltsamer Mann. Riesengroß, zwei Doktortitel und immer gut gelaunt. Ich hatte ihn beruflich kennen gelernt, und er ermunterte mich zu studieren. Er förderte mich auch, wo er konnte. Doch er war und blieb ein seltsamer Mann.

      Wir überqueren jetzt die Gleise. Hoffentlich kommt kein Zug. Es sind viele Gleise, und ganz hinten auf einem überwucherten Abstellgleis wartet die Draisine, die uns nach Belgien bringen wird.

      Der Mann also kam eines Tages zu mir und sagte: „Ich habe eine Idee für dich. Eröffne doch eine Dissertationsdruckerei. Da kannst du leichter dein Geld fürs Studium verdienen.“

      Er ging mit mir auf einen Parkplatz, und von dort schlug er sich vor mir in die Büsche. Auf einer Lichtung fanden wir eine verfallene Nissenhütte. Nein, das hat nichts mit Nissen zu tun, obwohl man denken könnte, wer in so einer Bude haust, schläft auch bestimmt in seinen verlausten Kleidern. Benannt sind diese Behelfswohnungen trotzdem nicht nach den Läuseeiern, sondern nach dem englischen Offizier Peter Nissen. Er hat sie erfunden. Nissenhütten haben oben ein gewölbtes Dach aus Wellblech. Nach dem 2. Weltkrieg hat man in Deutschland viele davon errichtet. Die Leute mussten ja irgendwo unterkriechen, nachdem alle Häuser zerbombt waren.

      Wir stehen also vor der Nissenhütte, und er sagt: „Hier machst du deine Druckerei auf!“

      „Was? In dieser verrotteten Bude? Da kriege ich ja die Krätze!“

      In der Küchenecke stand ein alter Kohlenherd. Auf der Kochplatte ein verbeulter Aluminiumtopf. Und darin stak ein dicker Stapel alter Schwarzweißfotos. Ich hab’ bis heute keine Idee warum. Wozu sollte man Schwarzweißfotos kochen? Schwitzen sie dann vielleicht ihr Silber aus? Keine Ahnung. Jedenfalls, als ich die Fotos herauszog, störte ich Kakerlaken auf. Sie wischten wie irr über die Herdplatte und schossen hin und her, bis sie eine Gelegenheit gefunden hatten zu verschwinden. Da hab’ ich die Fotos unbesehen wieder in den Topf gesteckt.

      In der Ecke eine Matratze mit einer Decke und Sachen in Plastiktüten, ein Berberlager. Wir wieder raus. Man will doch einem armen Mann die Wohnung nicht streitig machen.

      Hinter der Nissenhütte ragte der Bahndamm auf. Der Vovorbewohner war ein Freund meines Förderers gewesen. Er hatte aus dem Bahndamm ein großes Stück ausgeschachtet, um seinen Hinterhof zu vergrößern.

      Man darf es natürlich nicht. Du weißt schon, es ist Bahngelände. Das warf in meinen Augen kein gutes Licht auf den Freund meines Förderers.

      Komm, wir machen es uns auf der Plattform der Draisine bequem. Bist du warm genug angezogen? Nicht dass du nachher meine Jacke haben willst, und ich friere mir unterwegs den Arsch ab.

      Willst du wissen, wie die Geschichte weitergeht? Kannst dich ja inzwischen warm einpacken.

      Der Typ hatte nur kurz in der Nissenhütte gewohnt. Dann war er als Austauschstudent nach Bolivien gegangen. Dort verliebte er sich in eine Frau. Oder es war umgekehrt. Jedenfalls, nach einem Jahr und etwas mehr, er ist zurück in Deutschland und gut mit einer Frau aus der besseren Gesellschaft verlobt, steht eines Tages die Bolivianerin mit zwei Koffern vor seiner Tür. Die ganze Familie Esmeralda oder wie sie hieß hatte zusammengelegt für das Flugticket, weil man der Ansicht war, der Deutsche hätte der Frau die Ehe versprochen.

      Und dieser Kerl nicht faul, muss sie ja zuerst mal aufs Eis legen. Darum hat er sie für eine Weile in dieser Nissenhütte einquartiert. Da wird sie ordentlich gefroren haben.

      Jetzt aber los, wir sitzen gut, die Draisine kann endlich anrollen. Den Anstieg hinauf, in die gemauerte Brücke hinein, durch die Torbögen sehen wir im Licht der Stadt einige Nachtschwärmer links und rechts. Jetzt geht es schnell, denn wir müssen durch den kleinen Park, dann taucht die Brücke auf, mein Haus, - ich winke nicht, denn ich treibe die Draisine an.

      Eine ganze Weile rollen wir geradeaus. Das sieht bei Schienensträngen einfach gut aus, vor allem, weil wir so dicht über dem Schotter entlang flitzen. Nein, unsere Räder haben keine Macke. Das Tocktock entsteht, wenn sie über Schweißnähte der Schienen rollen. Es ist ein angenehmes Geräusch, findest du nicht? Irgendwie beruhigend. Pass auf, dass du mir nicht einschläfst.

      Wir rollen unter einer Brücke hindurch. Guck mal dort rechts, die Häuser erinnern mich an Pueblos, wie sie terrassenförmig am Königshügel kleben. Die Besitzer klagen schon seit Jahren gegen die Bahn. Der Lärm der Dieselloks nervt ja nicht nur, sondern mindert auch den Wert der Häuser. Die Bahn sagt: Wir waren zuerst da. Wer an einer Bahnlinie baut, darf sich nachher nicht beschweren.

      Gleich nähern wir uns dem Westfriedhof. Dann wird es ein wenig unheimlich.

      Wir halten mal eben an und werfen einen letzten Blick zurück auf die Stadt. Der Blick über den Aachener Kessel und hoch oben der Mond, das ist schon ein Innehalten wert. Na ja, die Wolken. Wenn sie so tief hängen wie heute, bescheint sie das Licht der Stadt von unten. Dieser milchigorange Himmel sieht ja ganz artig aus, er ist aber eigentlich kein gutes Zeichen. Der Farbe hat etwas mit den Schadstoffen in der Luft zu tun, was meinst du?

      Der Turm, der alles überragt, den kennst du von gestern schon. Das ist die Jakobskirche.

      Warum mein Förderer ein seltsamer Mann war? Da könnte ich dir vieles erzählen. Ein Beispiel: Am 20. Juli 1964, etwa zehn Jahre, bevor ich ihn kennen lernte, hat er mit anderen die Bühne des Aachener Audimax gestürmt und Joseph Beuys ins Gesicht geschlagen. Das geschah beim legendären Fluxus-Festival der Neuen Kunst, das, wie die Aachener Nachrichten damals freundlich vermeldeten, „einen physisch ausgetragenen Konflikt zwischen Akteuren und studentischem Publikum sowie eine Strafanzeige zur Folge hatte. Das Foto des blutenden Joseph Beuys, der mit einem Kruzifix in der Hand gegen die Menge der Studenten tritt, gehört zu den berühmtesten Dokumenten dieser Zeit.“

      Als ich den Mann kennen lernte, wusste ich nichts davon. Er war längst kein Student mehr, sondern hatte bereits zwei Doktortitel, ein Diplom der Ingenieurswissenschaften und besaß eine Hochschulzeitschrift, die ihm über Anzeigen gutes Geld einbrachte. Für diese Zeitschrift zeichnete ich bald Cartoons. Ich bekam dafür kein Geld, sondern Bücher, das heißt, ich durfte mir Neuerscheinungen aussuchen, die er bestellen ließ. Die Verlage legen den Büchern „Waschzettel“ bei und erwarten, dass als Entgelt für das kostenlos zugesandte Buch eine Rezension in der jeweiligen Zeitung oder Zeitschrift erscheint.

      Zu dieser Zeit begann ich mein Studium, das ich durch allerlei Arbeiten finanzierte. Da hatte ich keine Zeit, die Bücher sorgsam zu rezensieren, auch nicht die Qualifikation, denn wie gesagt, ich war noch jung. Also nahm ich die Texte der Waschzettel, strich sie zusammen, und so wurde die Rezension dann in der Zeitschrift abgedruckt. Der Mann sagte mir, dass es alle so machen. Doch koscher war es nicht.

      Ich weiß nicht, warum er mich