Anton Theyn

Keine Anleitung zum Mord


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der Dunkelheit zunichte? Das wäre sehr gefährlich. Zum Glück bieten mir die Bäume und Büsche auf der Tierbrücke halbwegs Deckung.

      Wie an einer Perlenschnur aufgereiht folgt auf der rechten Spur ein LKW dem anderen. Das habe ich erwartet und ist auch gut so. Den wenigen PKWs, und damit auch Erwin mit seinem Ferrari, bleibt fast zwangsweise nur die Überholspur. Das macht es mir leichter. Ich beobachte mit meinem Fernglas den Verkehr. Viele PKWs sind nicht mehr unterwegs. Ich bin bereit. Der Blick durch das Fernglas lässt die Fahrzeuge scheinbar mit Schrittgeschwindigkeit fahren. Ich darf mich nicht täuschen lassen. Sobald ich den Ferrari ausmache, muss alles blitzschnell gehen.

      Hagel setzt ein, besser könnte es nicht sein. Eine weitere Unwägbarkeit ereilt mich - die Sicht wird schlechter. Dank meiner Regenkleidung bin ich wenigsten etwas gegen die Hagelkörner geschützt. Ein normaler Mensch verlässt bei dem Wetter und um diese Uhrzeit nicht freiwillig das Haus. Mehrmals höre ich laute Motorengeräusche und denke, das könnte der Ferrari sein.

      Der Hagel wird heftiger und meine Sicht ist erheblich beeinträchtigt. Mein Fernglas bringt nichts. Den Ferrari mit seinen charakteristischen Scheinwerfern und dem einmaligen Profil sollte ich unter den wenigen Fahrzeugen auch ohne Fernglas erkennen können. Meine Anspannung wächst ins schier Unerträgliche. Parallel zu den Blitzen schießen mir Fragen und Gedanken durch den Kopf. Was ist, wenn er heute nicht kommt, weil der Mistkerl z.B. auf Geschäftsreise ist? Vielleicht kommt er gerade heute später? Vielleicht ist er schon durchgefahren? Was ist, wenn ich ihn zu spät erkenne? Treffe ich mein Ziel mit dieser Anspannung, mit dieser Aufregung und unter diesen schwierigen Bedingungen? Ich habe immer nur unter Laborbedingungen getestet, nie real. Halte ich dem Druck stand? Stehe ich beim Scheitern nächsten Mittwoch wieder hier?

      Ich habe das Gefühl, mein Gehirn feuert nicht enden wollend Fragen und Zweifel ab. Ich habe keinen Schalter. Ich kann das Feuerwerk der Fragen so wenig unterbinden wie die Blitze am Himmel. Ich versuche, mich an einen Wanderurlaub in den Alpen zu erinnern, um damit dem gedanklichen Feuerwerk Einhalt zu gebieten. Mittlerweile zittere ich am ganzen Körper. Ich friere ohne Ende. Jeder Quadratzentimeter meiner Haut ist feucht, die Kleidung sowieso. Regenkleidung hin oder her, die Rinnsale fließen durch jede Ritze der Kleidung.

      Das charakteristische Röhren eines Ferraris. Jäh werde ich aus der leicht einsetzenden Lethargie gerissen. Adrenalin flutet meinen Körper. Das Blut pulst in meinen Schläfen. Mein Herz pocht. Ich nehme den Klotz in die Hand. Fast wäre er mir aufgrund der Feuchtigkeit aus der Hand geglitten. Selbstverständlich trage ich Handschuhe, Fahrradhandschuhe.

      Ein Blitz erhellt die Nacht. Nur eine Zehntelsekunde, und ich sehe den roten Ferrari, sogar den ersten Teil des Nummernschildes. Erwin? Richtig? Ich zucke und zögere für den einen Bruchteil einer Sekunde, halte den Klotz über das Geländer und überlasse meine Eiskonstruktion den Kräften der Physik. War es zu spät oder zu früh? Ich war nicht gut genug vorbereitet. Es war doch schwerer, als ich dachte. Nach etwas mehr als einer Sekunde, die mir wie Minuten vorkommen, ein erbarmungsloser Knall. War es der Donner aufgrund einer der vielen Blitze oder ein Treffer?

      Noch bevor ich mir selbst die Frage richtig stellen kann, höre ich das heftige Quietschen, das man nur im Straßenverkehr hören kann. Ein undefinierbarer Lärmmix aus LKW-Dröhnen, Bremsen, ein Aufprall, Gewitter und das erbarmungslose Niederprasseln von Hagelkörnern lassen keine Beurteilung der Lage zu. Es muss etwas passiert sein. Ich will schnell weg.

      Kurzer Kontrollblick - nichts zurück lassen. Die Kamera nebst Stativ hatte ich zuvor schon lange in meinem Rucksack verstaut. Regen und Hagel werden bei der Spurenbeseitigung meine besten Verbündeten sein. Weg, nichts wie weg. Ich trete kräftig in die Pedale und mein Rückweg durch den Wald bietet nur wenig Schutz vor dem nach wie vor heftigen Regen. Nur noch vereinzelte Hagelkörner mischen sich in den nicht nachlassen wollenden Regen. Das Fahren in dieser Situation und auf dem aufgeweichten Boden ist extrem beschwerlich. So hätte ich das nie und nimmer eingeschätzt.

      Nach wenigen Minuten mischen sich unter das Donnern Martinshörner und die Nacht wird noch gespenstiger. Ich vermute, Einsatzfahrzeuge auf dem Weg zum Unfallort. Vollgepumpt mit Adrenalin fahre ich, wie vom Teufel gejagt, durch den Wald und nehme so gut wie nichts von meiner Umgebung wahr. Aufgrund des nassen und aufgeweichten Bodens laufe ich Gefahr zu stürzen. Die Reifen graben sich in den matschigen Untergrund.

      Irgendwann, ich habe es nicht wirklich bemerkt, hat sich das Gewitter verzogen. Lediglich von den Blättern der Bäume fallen noch immer Wassertropfen, so dass ich nicht weiß, ob es noch regnet. Ich schwitze in die vom Regen völlig durchnässte Kleidung. Die Regennässe wird aufgrund der Anstrengung zu 100% durch Schweiß ersetzt. Ein kurzes Verschnaufen wäre unmöglich. Schon so jubeln sämtliche Stechmücken der Region über den reichlich gedeckten Tisch. Ich weiß nicht, ob ich an alles gedacht habe - ich hoffe schon. Irgendwann nach zwei Uhr in der Nacht nähere ich mich meinem Haus. Hoffentlich sieht keiner diesen verwirrten, vor Schmutz starrenden Radfahrer. Im schlimmsten Fall werde ich von einem Nachbarn erkannt.

      Zuhause angekommen, stelle ich das Fahrrad im Garten ab. Nur keine unnötigen Geräusche machen. Selbst das Öffnen der Garage könnte Aufmerksamkeit erregen. Ich bin schon fast im Haus, als ich merke, dass ich etwas vergessen habe. Die Fahrrad Gepäckbox ist noch montiert. Morgen, nein nachher zwischen 6:00 und 7:00 Uhr kommt die Müllabfuhr. Nur ein paar Stunden sind es bis dahin. Da sollte nichts passieren. Ich zerstöre durch kurzes Überdehnen des Scharniers die Box, damit sie unbrauchbar wird und lege sie möglichst geräuschlos in die Mülltonne. Den Transportbehälter aus Isolierschaum entsorge ich auf dem gleichen Weg. In ein paar Stunden wird nichts mehr davon zu finden sein.

      Nach einer ausgiebigen Dusche gönne ich mir einen Drink. Ich rede mir ein, dass ich nur so einschlafen könnte. Mit dieser Argumentation gönne ich mir gleich einen zweiten. Noch bevor ich den ersten Schluck des zweiten Drinks nehme, übermannt mich die Müdigkeit. Gerade noch schaffe ich es in mein Bett.

      Nach der Brücke

      Drückend gewinnt die Sommerhitze wieder die Oberhand und ich werde trotz der extrem kurzen Nacht gegen neun Uhr wach. Vielleicht war es auch das Telefonklingeln, das ich unbewusst im Schlaf wahrnehme. Oh – jetzt nur kein Anruf. Das kann ich gar nicht gebrauchen. Trotzdem nehme ich den Hörer ab und melde mich schroff nur mit meinem Namen. Dabei spreche ich meinen Namen mit ganzer Kraft, um den Eindruck zu erwecken, ich wäre schon lange wach. Ich will mir die Anstrengungen der Nacht nicht anmerken lassen.

      „Franz, stell dir vor was heute Nacht passiert ist, Schneider, Erwin Schneider ... ist tot.“ Noch bevor ich eine Frage stelle, geht´s weiter. „Schneider ist heute Nacht mit dem Auto verunglückt. Er war wohl, wie ja so oft, zu schnell unterwegs.“ Der Anrufer hat sich nicht namentlich gemeldet, aber selbstverständlich erkenne ich sofort die Stimme. Es ist Frank. „Das“, so erwidere ich mehr oder weniger scheinheilig, „das habe ich ihm nicht gegönnt.“ Ich weiß nicht, wie ich reagieren soll. „Ich habe ihm zwar nie verziehen und hätte ihm nie verziehen. Aber das hätte ich ihm nicht gewünscht.“ Klinge ich glaubhaft? „Halt mich auf dem Laufenden, falls es was Neues gibt. Wir sollten uns wieder mal sehen.“ „Hier ist der Teufel los, ich melde mich wieder. Alles ist in Aufruhr. Tschüss.“ Schon klickt es in der Leitung.

      Ich starre aus dem Fenster. Was war passiert? Ich wurde ungerecht behandelt und hatte Rachegefühle. Private oder berufliche Ablenkung konnten Phantasien, wie sie jeder wohl einmal hat, nicht vertreiben. Zu meinem Unglück bin ich in einen Teufelskreis geraten und habe die Phantasien realisiert.

      Bis gestern war ich unfreiwilliger Ruheständler. Seit heute bin ich ein Mörder, ein gemeiner, hinterhältiger Mörder. Die Worte klingen schal. Irgendwie kommt mein Gefühl nicht hinterher. Ich habe das schlimmste und niederträchtigste Verbrechen begangen - Mord. Vielleicht sitze ich schon ab morgen mit anderen Mördern und Schwerverbrechern im Gefängnis und teile das Gefühl von Reue, Wut und Ausweglosigkeit.

      Noch immer halte ich den Hörer in der Hand. Franz, was ist aus dir geworden? Soll ich mich stellen? Vielleicht wirkt sich ein Geständnis strafmindernd aus? Kann ich mit dieser Schuld leben? Was ist, wenn ich Erwins Frau Elke oder den Söhnen begegnen sollte? Ich wollte Erwin schädigen, ihn demütigen und mich rächen, aber keinesfalls