Anton Theyn

Keine Anleitung zum Mord


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Australien ist der Kontinent der Gifte schlechthin. Hier gibt es Gifte, von denen wir uns in Europa keine Vorstellungen machen - und die man in einem europäischen Labor kaum nachzuweisen vermag. Ein unbekanntes Tier würde ich in Australien nie und nimmer berühren. Es könnte eine tödliche Berührung sein.

      Crocodile Hunter, bekannt durch seine spektakulären Dokumentationen und Aktionen, dürfte das populärste australische Opfer in Europa sein. Ende der 90-er Jahre bis Anfang 2003 kam er zu weltweitem Ruhm. Mit spektakulären Tieraufnahmen brachte er einem weltweiten Fernsehpublikum die australische Tierwelt nah. Er war lange Zeit der weltweit bekannteste Australier und der Inbegriff von Natur- und Artenschutz. Vor ein paar Jahren verstarb Steve Irwin unerwartet. Trotz bester Kenntnisse der Unterwasserwelt kam er im September 2006 bei Unterwasseraufnahmen durch den Stich eines Stachelrochens ums Leben. So viel zu den Gefahren in Australien.

      Selbstverständlich interessiere ich mich nicht nur für Flora und Fauna unter Wasser. Flora und Fauna über Wasser sind gleichsam spannend. Am liebsten würde ich mir von vielen Dingen Proben mitnehmen...

      In der Medikamentenforschung werden Gifte schon immer als Grundstoff verwendet. Die südamerikanischen Urwälder sind voll mit Stoffen, die wir noch nicht kennen. Die rücksichtslose Abholzung der Urwälder wird unwiederbringlich Tiere und Pflanzen vernichten, die wir eines Tages schmerzlich vermissen werden. Man spricht auch vom grünen Gold, das wir leider rücksichtslos vernichten. Die Menschheit bedient sich von jeher tierischer und pflanzlicher Produkte neben der Nahrungsaufnahme zum eigenen Nutzen. Man denke an Pfeilgifte, die aus dem Sekret des Pfeilfrosches hergestellt werden, dem Moschusparfüm, gewonnen aus den Drüsen des Moschushirsches, dem Herzmittel Digitalis, das aus dem hochgiftigen Fingerhut gewonnen werden kann. Die Reihe ließe sich endlos fortsetzen.

      Das Weihnachtsfest verbringen wir überwiegend am Strand. Wir Mitteleuropäer verbinden Weihnachten, jahreszeitlich bedingt, mit Schnee und kerzenerfüllten, kalten Abenden. Hier werden die Schneemänner am Strand aus Sand gebaut, die Weihnachtsmänner laufen in Badehose oder in Bermuda-Shorts bei bis zu 40 Grad im Schatten umher oder spannen Kängurus vor den Schlitten. Grillen am Strand kann man sich aus der Perspektive unserer Dezembertemperaturen nur schwer vorstellen.

      Weihnachten alleine zu Hause in Deutschland wäre wenig erbaulich. Hier am Strand habe ich zwar keine wirkliche Weihnachtsstimmung, aber die vermisse ich auch nicht. Vielmehr genieße ich Sonne, Meer und Strand. In Deutschland sollten wir Weihnachten auf den Sommer verschieben – ist einfach besser. Depressive Stimmung kann nicht aufkommen. Man sollte es einmal vorschlagen. Bei aller Geselligkeit, und allemal besser als alleine im kalten Deutschland, steigt bei mir so etwas wie Wehmut auf. Selbstverständlich verbringe ich Heiligabend und Weihnachten nicht nur mit meinen beiden Söhnen, sondern auch mit ihren Freundinnen. Und zwischen diesen beiden Paaren komme ich mir bei aller Geselligkeit ein wenig deplatziert und einsam vor.

      Manchmal sitze ich stundenlang am Meer und lasse den Gedanken freien Lauf. Mit jeder Welle, die sich auf die endlosen Sandstrände zubewegt, bekomme ich einen neuen Impuls, einen neuen Gedanken für meine zukünftige Selbständigkeit. Ich überlege mir viele kleine Details. Zwischendurch recherchiere ich im Internet oder leihe mir Fachbücher aus der Bibliothek. Meine Pläne werden zunehmend konkreter und ich weiß genau, welche Schritte ich nach Australien unternehmen muss. Mein Plan steht – die Umsetzung wird folgen.

      Zwischendurch denke ich an die Ereignis an der Brücke und Erwins Unfall. Eine emotionale Belastung, ein schlechtes Gewissen oder gar Schuldbewusstsein will sich bei mir einfach nicht einstellen. Ich habe eine erhebliche Distanz zu den Ereignissen. Ohnehin weiß ich bis heute nicht, ob der Eisklotz der Auslöser war oder der gesamte Unfall eine Verkettung unglücklicher Ereignisse mit meiner eher zufälligen Anwesenheit.

      Die Wochen verfliegen und ich habe das Gefühl, es ist die schönste Zeit meines Lebens. Nach gut drei Monaten Australien bin ich der Meinung, dass es genug sei. Die Versuche meiner Söhne, mich zum längeren Bleiben oder gar unbefristeten Bleiben zu überreden, wehre ich standhaft ab. Ich muss wieder erwerbstätig werden. Der Abschied fällt uns dreien schwer, aber es muss sein. Vielleicht gibt es bald ein Wiedersehen.

      Einkaufstour

      Hongkong – die ehemals britische Kron-Kolonie. Sehnsuchtsort. Häuserschluchten, der Blick gleitet nach oben an Hunderten von Stockwerken verspiegelter Hochhausfassaden entlang in einen sternlosen Himmel. Verkehrschaos, entfesselter Kapitalismus und Opiumkrieg. Das alles ist mir egal, als mich meine nächste Station nach Hongkong führt.

      Ein wenig wundern sich meine Söhne, dass ich noch ein Zwischenziel habe. Hongkong wollte ich schon lange einen Besuch abstatten. Und wenn ich in der gefühlten Nähe bin, dann nutze ich die Gelegenheit. In Australien habe ich mich bereits auf diesen Besuch vorbereitet. Touristisch bin ich an der Stadt wenig interessiert. Ich will shoppen. Jahrelang galt Hongkong als das Einkaufsparadies für Elektronikartikel. Mindestens zwanzig, aber oft auch mehr als fünfzig Prozent billiger konnte man hier früher elektronische Erzeugnisse kaufen. Mir geht es nicht um billig. Mir geht es um das Besondere. Ich habe konkrete Vorstellungen, zugleich bin ich offen für Inspirationen.

      Neben meiner beruflichen Leidenschaft als Biochemiker habe ich mich seit meiner Kindheit für Elektronik interessiert. Und es gab bei mir nach dem Abitur durchaus die Überlegung, Elektrotechnik zu studieren. Ich habe nur ein paar elementare Grundkenntnisse und bin immer wieder fasziniert, welche rasante Entwicklung die Elektrotechnik in der Zwischenzeit genommen hat.

      Als Kind habe ich noch in Telefonzellen mit Wählscheibe telefoniert. Und heute hat jeder das Telefon in der Hosentasche, das gleichzeitig Fotoapparat, Videokamera, Taschenrechner, weltweites Navigationsgerät und vieles andere mehr ist. Weltweiter Datenabruf per Internet ist ohnehin Standard. Noch vor zwanzig Jahren hatte Frau Merkel ein Handy, das aufgrund seines gelungen Designs Knochen genannt wurde. Die Beschreibung der oben genannten Funktionalitäten hätten zu der Zeit jeder in die fiktionale Welt eines Agententhrillers verbannt, aber niemals als Realität des beginnenden 21. Jahrhunderts.

      Die Intensität dieser Stadt erschlägt mich. Wer Hongkong einmal erlebt, weiß wovon ich spreche. Dieser Mix aus chinesischer Tradition, dem jahrzehntelangem Einfluss der Engländer, das gigantische Wachstum und die für uns doch sehr fremde Kultur. Mir ist das zu viel. Alleine in dieser Großstadt – ich fühle mich völlig verloren. Zu allem Überfluss auch noch die Klimaumstellung. Gestern noch hochsommerliche Temperaturen. Heute nasskaltes Wetter. Für ein längeres Verweilen im Außenbereich eher ungeeignet. Der Verkehr stockt in allen Straßen. Smog steigt als grauer Nebel empor. Ich bin kein Großstadtmensch und Hongkong ist mir definitiv zu laut, zu hektisch. Dank der günstigen Taxipreise und einer gewissen Hartnäckigkeit nähere ich mich langsam meinem Ziel: Spezialläden für Elektronik.

      Ich glaube, das ist der richtige Laden. Schon in den Standardläden bekommt man hier Geräte wie aus einer anderen Welt. Die angebotenen Elektronikartikel sind in Europa zum Teil verboten und für unsere Verhältnisse zu einem Spottpreis erhältlich. Abhörwanzen, Abhörwanzenortungsgeräte, Minikameras von der Größe eines Hemdknopfes, Nachtsichtbrillen, die als solche nicht erkennbar sind, Sonnenbrillen mit eingebauter Videokamera und vieles andere mehr. Software zum kinderleichten Ausspionieren fremder Rechner und was mich wahrlich fasziniert, Software mit der Möglichkeit das Mikrophon oder die Kamera fremder Rechner anzusteuern . Dass es das gibt, weiß ich. Dass es so einfach geht, konnte ich mir nicht vorstellen. Ich weiß nicht, ob unsere Geheimdienste so gut ausgerüstet sind. Ich komme mir vor, als sei ich in einem Science Fiction–Film gelandet.

      Ich vergleiche es mit Waffen, die man in den USA in jedem besseren Supermarkt kaufen kann, die in Deutschland nur von Schwerkriminellen genutzt werden. Nach kurzer Zeit merkt der Verkäufer und Eigentümer des Ladens, er stellte sich mir als Mr. Yang vor, dass ich für extravagante Elektronik ein besonderes Interesse hege und geht mit mir in sein Büro. Zu meinem Glück gehört es in Hongkong zu den positiven Hinterlassenschaften der Kolonialzeit, dass die meisten Menschen ein halbwegs passables Englisch sprechen. Hinter einer Regalwand mit Ordnern, aber nur zum Schein und nicht wirklich getarnt, sind die richtigen Spielsachen. Meinem Gesicht sieht der Verkäufer an, dass er ins Schwarze getroffen hat. Er nimmt sich viel Zeit und bietet mir an, gegen Hinterlegung einer kleinen