Rubinius Rabenrot

... und dann für immer!


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Hamburger Hafen auf seine bedachte Art. Mit den Fragen, die er stellte, schaffte er es, seinem Gesprächspartner das Gefühl zu geben, mit ihm gemeinsam eine Lösung zu suchen - ihm schließlich dankend seinen Arbeitsauftrag zu erteilen, der für den Anderen kein Auftrag war, sondern die Umsetzung der eigenen Idee. Dabei vergaß Henning niemals, geduldig zu zuhören, seinen Humor spielen zu lassen und immer ein Lächeln auf den Lippen zu haben, auch wenn er telefonierte. Dieses Geschick und dieses Können bewunderte Ralf an Paul Henning, dem „alten Hasen“.

      Auf der Granitplatte des Konferenztisches stand Ralfs offener Aktenkoffer. Die Unterlagen säuberlich vor sich ausgebreitet, ging er die Planung für die Reise nach London noch einmal Punkt für Punkt durch. Vor allem die Zahlen, die bei der Verhandlung eine bedeutende Rolle spielen würden, wollte er noch einmal mit seinem Chef abstimmen. Denn jetzt konnte er Paul Henning noch fragen, eventuell Details noch korrigieren, gegebenenfalls besprechen, wie er den nächsten Schritt planen konnte.

      An diesem Morgen fiel es ihm allerdings nicht leicht, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Immer wieder tauchte zwischen den Zahlen die Frau mit der erotisch-bronzenen Haut in seinen Gedanken auf. Ihr Lächeln, ihr strahlender Blick. Er war in dieses Grün der Augen eingetaucht, bis in die Tiefe ihrer Seele. Wie konnte er die Frau wieder treffen? Wer war diese Schönheit, die im dritten Stock ausstiegen war und die er vorher noch nie gesehen hatte? War er in den letzten Jahren so blind durch dieses Gebäude gegangen?

      Donnerstag, 13.06., um 8:30 Uhr. Im Büro der Firma Henning Manufaktur & Co. KG

      Jana legte ihre Handtasche ab, setzte sich an den Schreibtisch, schaltete den Computer ein. Während der Rechner hochfuhr, ging sie in den Flur hinaus, um sich aus dem Pausenraum ein Mineralwasser zu hohlen.

      Seltsam war es. Immer wieder tauchte in ihren Gedanken das Gesicht des Mannes im Aufzug auf. Sie schloss einen Augenblick die Augen und sah, wie er sie anlächelte. Jana spürte, wie der Blick des Fremden schmeichelnd über ihre Haut streifte.

      Eine Ewigkeit war es her, dass sie dieses Gefühl zuletzt verspürt hatte. Seit drei Jahren war sie allein. Seit jener schrecklichen Nacht, als es passiert war. Von da an hatte sie sich kein Leben in einer Partnerschaft mehr vorstellen können.

      Aber dieser Mann, den sie eben im Fahrstuhl gesehen hatte, vermochte es, sie zu beeindrucken. Sie zu reizen. Sein Lächeln entfachte einen Funkenregen. Die braunen Augen weckten in Jana ein tiefes Vertrauen. Geschehe was wolle! Sie musste diesem Mann wieder begegnen! Wie sie ihn finden konnte, wusste sie nicht. Sie wusste nichts über den Mann, der ihr den Kopf verdrehte.

      Mit der Flasche Mineralwasser und einem Glas ging sie zurück in ihr Büro. Als Erstes sah sie die Post durch und sortierte sie nach Dringlichkeit. Viele Mails waren über Nacht in ihrem Postfach aufgelaufen. Heute würde es spät werden, denn sie musste mit Geschäftspartnern in Amerika telefonieren und einige Bestellungen in Übersee bestätigen.

      Sie liebte ihre Arbeit als Fremdsprachenkorrespondentin. Seit zwei Jahren war Jana in der Schokoladenfabrik von Paul Henning angestellt. Jeden Tag, wenn sie die Firma Henning Manufaktur betrat, wusste sie, dass alles Bisherige, trotz der Mühsal, im Beruf ideal verlaufen war.

      Den Vormittag über führte Jana Telefonate mit Hamburg, wegen des Containers, der eiligst nach Philadelphia verschifft werden sollte. Aber aus irgendeinem Grunde hakte es in Hamburg und der Container konnte nicht verladen werden - bis sie einen Herrn am anderen Ende der Leitung hatte, der ihr erklärte, dass Henning mit ihm persönlich gesprochen habe und der Container jetzt an Bord sei.

      Sie schrieb Mails an die amerikanischen und asiatischen Geschäftspartner. An Gerald Owen, den Impresario von „Lizzy & Sweets“, musste sie einen Brief schreiben. Sie schmunzelte, als sie den Namen las.

      Mit den Schleckereinen von „Lizzy“ verband sie die Zeit ihrer Ausbildung in London. Die Pralinés von „Lizzy & Sweets“ waren häufig die stillen Tröster, wenn sie vor lauter Heimweh, fernab der schönen Stadt München, in ihrem tristen Untermietzimmer zu vergehen glaubte. Oder sie beschenkte sich mit den köstlichen Pralinen, wenn sie Tests oder Prüfungen gut bestanden hatte. „Lizzys“ halfen immer und Jana musste damals achtgeben, dass sie nicht zu viel von den kleinen, aber hintertückischen Köstlichkeiten in sich hineinschaufelte. Denn die Delikatessen von Mister Owen hingen alles andere als federleicht an den Hüften und dem Bauch.

      Seltsam. Seit sie in der Schokoladenfabrik beschäftigt war, hatte sie mit Mister Owen, dem Besitzer von „Lizzy & Sweets“ bereits des Öfteren telefoniert. Ein sehr sympathischer Mensch. Im besten Oxfordenglisch schrieb sie an Gerald Owen, dass Herr Rössler, Vertriebsmanager der Firma Henning Manufaktur, auf dem Weg zu ihm sei.

      Noch schnell vor dem Mittagessen vergewisserte sich Jana im Münchner Lager, dass die kurzfristige Bestellung der 60 Tonnen heller und weißer Kuvertüre, in Containern verfrachtet und mit den LKWs bereits unterwegs zum Einschiffen nach Antwerpen gebracht worden war. Pünktlich am 22.06. mussten sie in Kanada sein. Eine Karenzzeit von einem Tag wurde ihnen von den Kanadiern gewährt.

      Auf dem Weg in die Kantine hoffte Jana den Mann, den sie am Morgen getroffen hatte, wieder zu sehen. Sobald ihr diese Idee gekommen war, spürte sie, wie ihr Puls schneller wurde. Vielleicht würde sie ihm in der Kantine begegnen. Der Gedanken breitete in ihr fiebrige Hitze aus und ließ sie erröten. Dies Denken an den Fremden beschwingten sie eigenartig. Sie drückte auf den Knopf der Aufzugsanlage. Sie wartete - und umso näher der Fahrstuhl kam, desto heftiger pochte das Herz in ihrer Brust. Denn was wäre, wenn die Türen aufgingen und er drinnen stehen würde, mit seinen Lächeln und seinen Augen? Die Schiebetüren öffneten sich und der Aufzug war leer. Enttäuschung breitete sich in ihr aus.

      ‚Ach, wie kindisch’, dachte sie, fuhr in das Kellergeschoss und ging durch die Kellerflure hin zur Kantine. Lächelnd ging sie, von einem seltsamen Glück getragen, an den Menschen vorbei, die ihr entgegen kamen.

      Donnerstag, 13.06., um 13:15 Uhr. Auf dem Weg zum Flughafen München.

      Nachdem er alles mit Paul besprochen und geklärt hatte, verabschiedete sich Ralf und machte sich mit besten Wünschen seines Chefs auf den Weg.

      Ab jetzt konnte er seine Gedanken den gesamten übrigen Tag lang der Frau im Fahrstuhl widmen. An sie denken und von ihr träumen.

      Ralf sah auf die Armbanduhr. Fast halb zwei. Zeit blieb ihm genug. Sein Flieger würde erst am frühen Abend Richtung London abheben.

      Das Einzige, was er noch am Nachmittag zu tun hatte, bevor er am Abend zum Flughafen fuhr, war nach Hause zu fahren und das Nötigste für die nächsten zwei Tage zu packen. Bis dahin konnte er seinen Gedanken nachhängen und den Tag gennießen.

      Morgen war es endlich soweit. Ralf hatte den langersehnten Termin in London, um sich mit dem größten Pralinenfabrikanten Großbritanniens über eine Kooperation zu unterhalten. Mister Gerald Owen hatte ihm signalisiert, dass er sich gegebenenfalls, wenn das Angebot stimmte, für die Henningsche Kuvertüre entscheiden würde. Die Chancen standen verdammt gut, endlich mit Mister Owen von „Lizzy & Sweets“ ins Geschäft zu kommen.

      Ein Bombengeschäft wäre es für Ralf Rössler, wenn er diesen Deal zum Abschluss bringen würde. Er war überzeugt, dass er den Engländer von einer Zusammenarbeit und der hohen Qualität des Produktes überzeugen konnte. Ralf war absolut sicher, mit der Kuvertüre aus München Mister Owen den besten Überzug für seine Pralinen zu liefern. Trotzdem war es prickelnd, ein solch großes Geschäft anzubahnen, und er war nervös.

      Am Fahrstuhl meinte er, den Duft der Frau im olivgrünen Kleid zu riechen. Was, wenn die Aufzugtüren aufgingen und sie im Aufzug stünde? Er würde mit der schönsten aller Frauen von der dritten Etage bis ins Erdgeschoss fahren dürfen. Noch einmal ihr nahestehen, den zitronigen Duft mit diesem Hauch von Muskat einatmen, der ihn so sehr betörte! Das wäre die Krönung an diesem ausgezeichneten Sommertag.

      Ein sonderbares Gefühl beschlich ihn. Eine Ahnung drängte ihn geradezu, die Frau im olivgrünen Kleid zu suchen und sie nochmals zu treffen. Er musste unbedingt