Rubinius Rabenrot

... und dann für immer!


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Er möchte mit mir über die Frühjahrskollektion im nächsten Jahr reden. Er hat gesagt, dass mein Stil bei den Kunden in Tokio sehr gut ankommt.“ Aus der Art, wie sie sprach, konnte er ihre Zuversicht heraushören.

      „Das ist ja großartig. Gratuliere! Hättest dir auch nicht gedacht, dass du in so einem Tempo erfolgreich sein wirst.“ Er konnte durch das Telefon hindurch spüren, wie sich ihr schlanker Körper vor lauter Stolz reckte und sie nochmals ein wenig größer wurde, als sie so wieso schon war.

      „Ja, fantastisch is des! Wir reden am Freitag darüber. Ralf, mach’s gut. Ich drück dir die Daumen für deine Besprechung morgen und den eventuellen Abschluss. Bis dann, beim Italiener. Ciao.“

      „Servus Lisa und danke dir.“

      „Bussi und bye, bye!“ hörte er Lisa sagen, dann war die Leitung unterbrochen.

      „Eine Annonce“, wisperte er vor sich hin. „Nicht schlecht.“ Ralf ließ sich mit dem Whisky in der Hand in den Ledersessel fallen. Er schloss die Augen und dachte an die Frau, die er nicht kannte. Die er bis zum heutigen Tag noch nie bemerkt und in die er sich, so plötzlich, auf den ersten Blick verliebt hatte.

      Sie war die Schönste, die er je gesehen hatte. Sie war für ihn unbeschreiblich. So viel Leichtigkeit umgab sie, so viel Klarheit. Sie war wie ein Feenwesen für ihn.

      Donnerstag, 13.06., um 20:20 Uhr in der Wohnung von Jana

       Zu Hause angekommen zog Jana die Sandalen aus und entledigte sich des olivgrünen Kleides aus Wildseide. Sie zog sich ihre Lieblingsshorts von Sisley an und streifte sich ein T-Shirt über. Die Kühle der Terrakottafliesen tat ihren Füßen gut. Erleichtert atmete sie ein. Endlich wieder zu Hause.

      In der Küche schenkte sie sich ein Glas sizilianischen Rotwein des Weinguts Corvo ein. Ralf Rössler - was für ein fescher Mensch, dachte sie und nahm das Glas Wein. Im Gehen nippte sie genüsslich am Rotwein. Auf dem Balkon hielt sie einen Moment inne und schaute hinüber in den Englischen Garten. Diese Augen von Ralf Rössler. Jana war in seinen weichen und doch so starken Blick eingetaucht.

      Sie stellte das Weinglas auf das Tischchen ab und leichtfüßig, fast tänzelnd ging sie ins Wohnzimmer. Konzentriert sah sie die Post durch. Eine Postkarte aus Australien von Tante Elli freute Jana und sie musste schmunzeln. Tantchen Elli machte das Beste, was sie nur machen konnte: Sie genoss ihr Leben und bereiste die Welt. Ansonsten war in keiner Weise was Gescheites in der Post. Wie immer: nur lästige Rechnungen und überflüssige Reklame.

      Sie nahm die Tageszeitung, schaute auf die Titelseite. Nichts Neues, immer dasselbe. Sie ging in die Küche und nahm sich aus dem Kühlschrank ein Stück Käse.

      Am Balkon setzte sie sich und genoss den Blick, über die Baumkuppen hinweg, hin zum Englischen Garten. Jetzt, im Juni, war es mild an den Abenden, oder gar heiß so wie heute. Nachdem die Sonne den gesamten Tag lang ihre sommerlichen Strahlen über die Stadt ergossen und die Hitze sich in das Mauerwerk abgespeichert hatte, war es schon beinahe zu heiß, um zu atmen.

      Mit Genuss aß sie den Käse und trank dazu den fruchtigen Rotwein. Müde war sie. Der Tag neigte sich dem Ende zu. München, blauer Himmel und der Geruch nach Sommer. Etwas Reizvolleres war nicht denkbar. Von der Straße her drangen die Geräusche der ausgelassenen Menschen bis zu ihr in den dritten Stock hoch. Aus der nahegelegenen Eisdiele konnte sie das Lied „Azzurro“ hören, mit der unverkennbaren Stimme von Adriano Celentano.

      Jana nippte am Rotwein. Die Zeitung überflog sie nur, denn immer wenn sie versuchte, sich auf einen Artikel zu konzentrieren, flitzten ihre Gedanken vom Inhalt weg, hin zu Ralf Rössler.

      Nicht mehr lang, dann würden das letzte Licht des Tages erlöschen und die Nacht über die immer ruhiger werdende Stadt hereinbrechen. Ralf Rössler. Sein starker Blick hatte sie wie ein Pfeil getroffen und alles um sie herum verändert. Sie schaute in den Himmel und entdeckte die ersten Sterne im Osten der Stadt.

      ‚Ob er schon in London ist?’, überlegte Jana. ‚Aber was machst‘n dir für Hoffnungen. Ein Mann mit dem Aussehen hat hundertprozentig eine Freundin. Womöglich ist er gar verheiratet’, ermahnte sie sich. Obwohl, einen Ring hatte sie nicht an seinem Finger gesehen.

      Plötzlich stand Jana auf, lief ins Wohnzimmer und holte den Laptop. Das Gerät brauchte eine Ewigkeit um hochzufahren. Wieder ging sie auf die Webseite der Henning Manufaktur und abermals klickte sie sich durch, bis das Foto von Ralf Rössler erschien. Beim Anblick des Bildes stockte ihr erneut der Atem.

      Sie stellte den Laptop auf den Tisch vor ihr, nahm das Glas Rotwein und trank einen Schluck. Lange schaute Jana das Foto des attraktiven Mannes an. Das Herz raste in der Brust. Ein Kribbeln breitete sich in Janas Bauch aus, als würden tausende von Schmetterlingen flatternd den Frühsommer genießen. Das Lächeln von Ralf Rössler, sein Blick hatten heute Morgen in ihr einen Funken gelegt, der im Laufe des Tages aufgeglommen war und bald schon lichterloh zu brennen begann. Liebestrunken war sie und WIE sie sich verliebt hatte! Von einem Moment zum anderen und sie kannte diesen Ralf Rössler doch gar nicht!

      Das Klingeln des Telefons riss sie aus den Träumen. Jana ließ das Telefon läuten, bis der Anrufbeantworter ansprang.

      „Servus Jana, ich bin’s, die Kathy. Hast Lust, dich am Samstag mit mir zu treffen? Schreib mir eine Mail. Ich könnt so um zwölf bei dir sein.“

      Ein Pieps und das Gerät schaltete sich ab. Was blieb, war das Blinken des roten Lichtleins in der Dunkelheit des Wohnzimmers.

      Wenn Kathy am Samstag vorbeischaute, dann würde sie mit ihr über den Ralf Rössler reden. Der Gedanke löste ein euphorisches Gefühl in ihr aus. Sie fühlte innerlich die Wucht einer Welle, die, aus Hitze bestehend, langsam wie eine unheimliche Feuerwalze durch ihren Körper strömte.

      Donnerstag, 13.06., um 20:29 Uhr. In Cindy Hennings Haus.

      Cynthia Henning, die konsequent von allen verlangte mit Cindy angesprochen zu werden, weil sie den altbackenen Namen Cynthia hasste, den sie ihrer Mutter, diesem verblödeten Lennon-Fan zu verdanken hatte, trank gelangweilt einen Schluck Cola.

      Cindy war den ganzen Tag am Flaucher an der Isar gewesen, dem Nacktbadestrand der Münchner Müßiggänger. Wieder mal umgeben von Leuten, mit denen sie eigentlich gar nicht zusammen sein wollte, aber die ihr eben die Langeweile vertrieben. Sie konnte nichts und wollte auch nichts mit ihrem Leben anfangen. Das Einzige, das sie tat, war, auf das Ableben ihres Vaters zu warten, um endlich die väterliche Firma übernehmen zu können. Das, nur das war ihr Lebensziel. Ziel und Aufgabe genug, wie sie fand.

      Nur war der alte Sack anscheinend nicht bereit, ihr in nächster Zeit diesen Gefallen zu tun. Strotzend vor Gesundheit lenkte er sein kleines Imperium und das gefährlich am Rand des Ruins entlang. Völlig ineffizient agierte der Alte. Sie musste es schaffen, dass er abdankte und sich zurückzog. Er musste ihr dieses wunderbare Juwel einer Firma übergeben, so dass sie endlich so herrschen konnte, wie sie es mühsam an der Universität gelernt hatte. Er musste den Chefsessel endlich abgeben und wenn alles nicht half, dann – in Gottes Namen - musste sie eben nachhelfen. Waldemar Hintzinger, ihr Anwalt und Freund, hatte schon Recht: Überall gab es Mittel und Wege, um die Macht an sich zu reißen und sich zum neuen Herrscher auszurufen – oder besser: zur neuen Herrscherin.

      Warum zum Teufel hatte ihr Vater überhaupt darauf bestanden, dass sie das stupide Studium im langweiligen Hannover durchzog, wenn er sie dann in der Firma nicht etablierte und mitentscheiden ließ?

      Obwohl es draußen noch hell war und sicherlich noch einige Zeit hell bleiben würde, zog Cindy die Vorhänge zu und zündete die Kerzen auf dem Wohnzimmertisch an. Das Flackern des Kerzenlichts beruhigte sie. Im Badezimmer zog sie sich die Hotpants aus, streifte sich das trägerlose Top und den Slip ab und zog sich den seidenen Bademantel mit dem kunstvoll aufgestickten Drachen über.

      Solange der Alte noch lebte, konnte sie nur warten und sich ihre Zeit mit Partys vertreiben - So wie sie es seit Wochen und Monaten tat und so wie heute. Mittags hatte