Rubinius Rabenrot

... und dann für immer!


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sich dick mit Sonnencreme eingecremt und sich wieder voll in die Sonne, ans Ufer der Isar gelegt. Im Rauschen des Flusses dämmerte sie dahin. Der Alkohol begann leicht zu wirken. Wattig fühlte es sich an.

      Seit Tagen verfolgte sie diese Unruhe. Wie ein Flattern fühlte es sich im Bauch an. Nur mit Alkohol war es möglich, dieses grässlichen Flatterns Herr zu werden. Waldemar, ihr Kumpel aus der gemeinsamen Schulzeit und ihr Scheidungsanwalt, war schuld daran. Eines Abends, oder vielmehr in der Nacht vor einigen Tagen, hatte sie ihm im Vollsuff von ihrem Kummer berichtet.

      „Scheiße“, sagte sie laut, „und der Waldi hat doch recht.“

      Am Schrank mit all den CDs suchte sie nach einer Musik, die ihre Laune jetzt verbessern sollte und entschied sich für „The Best of R.E.M.“ Unruhig ging ihr Atem. Sie legte die CD in den CD-Player. Zu den Klängen von „All the Way to Reno“ bewegte sie sich tänzelnd im Wohnzimmer ihres Bungalows. Sie schloss die Augen und dachte über den vergangenen Tag nach.

      Der Junge mit den schulterlangen Haaren fiel ihr wieder ein. Als sie nach ihrem mittäglichen Nickerchen aufgewacht war, hatte er plötzlich vor ihr gestanden und sie angelächelte. Dreist hatte er sie angegrinst und in ihr hatte sich das Leben zu regen begonnen. Der Junge hätte ihr wirklich gut gefallen. Breitschultrig war er und mit einem Lächeln gesegnet, mit dem er die Polkappen zum Schmelzen hätte bringen könnte. Oberarme wie ein Boxer und am Bauch kein Gramm Fett. So durchtrainiert hätte der Kerl sie wahrscheinlich den ganzen Nachmittag bis spät in die Nacht hinein durchvögeln können, bis sie bewusstlos in seine starken Arme gesunken wäre.

      Siebzehn war er, und sie dagegen eine alte Frau, deren Haut von Tag zu Tag immer mehr schrumpelte. Im Mai, vor einem Monat, war sie einunddreißig Jahre alt geworden und das Leben rann täglich immer mehr durch ihre schlanken und tadellos manikürten Finger hindurch. Aber was sollte es! Ihre Figur war immer noch top und wenn das nicht reichen sollte, dann angelte sie die Jungs mit ihrem Geld. Sie liebte diese unbeherrschten, vor Geilheit strotzenden jungen Burschen, bei denen sie das Sagen hatte. Die an ihr leckten und alles machten, was sie sich von ihnen wünschte.

      Als sie sich dem Jungen im Gespräch näherte, sich vor ihm nackt, wie sie war, aufreizend aufrichtete und dem Jungen ihre nackten Brüste ein wenig entgegenreckte, sah sie das Feuer, das sie in seinem Blick entfachte. Diese unbändige Gier des Jungen erregte sie. Mit den Fingern strich sie über seine unbehaarte, muskulöse Brust und beobachtete dabei, wie sich zwischen seinen Lenden die Lust zu regen begann.

      Just in dem Moment als sie ihn fragen wollte, ob er mit zu ihr kommen wolle, rief eine noch pubertierende kleine Schlampe seinen Namen. René hieß der Bengel. Erschrocken hatte er sich umgesehen und der kleinen, halbwüchsigen Tussi zugewinkt.

      „Ich muss los“, stammelte er nervös und sie erkannte in seinem Blick, wie sehr er es bedauerte, einfach so, unverrichteter Dinge, gehen zu müssen.

      „Musst du wohl“, hatte sie verächtlich erwidert, sich ohne einen weiteren Gruß umgedreht und sich wütend zurück in die Sonne gelegt.

      Wieder hatte man sie allein gelassen. Sie lebte seit einem Jahr in Scheidung und war froh, dass dieser Lebensabschnitt bald zu Ende ging. Langweilig war ihre Ehe gewesen und wenn sie ihren Ehegatten einen Langweiler nannte, dann war in dem Wort immer noch zu viel Temperament enthalten, um das auszudrücken, was er tatsächlich war. Ein Schauer voller Wollust durchströmte ihren Unterleib, wenn sie daran dachte, dass sie bald frei war.

      Aber manchmal, wenn sie allein war so wie jetzt, und ihr Denken von einem Thema zum nächsten huschte, empfand sie beim Gedanken an ihre Ehe ein entsetzliches Versagen.

      Aber das Leben musste weitergehen - und wie es weiter zu gehen hatte, bestimmte sie. Waldemar hatte sie auf die Spur gebracht. Sie musste nur noch einen guten Zeitpunkt finden, um ihren Plan ins Rollen zu bringen. Waldemar und sie mussten akribisch genau vorgehen, um nichts dem Zufall zu überlassen.

      Ihr Vater, der alte Henning, hatte genügend Leute um sich herum, mit denen er sich beratschlagen konnte. Kluge Leute. Ausgebuffte Leute. Der Übelste von allen war der Rössler, diese Kreatur, die aus der Gosse hochgekrabbelt war. Ein Individuum, das sich ganz oben in der Firmenstruktur festzusetzen drohte. Sie, blöde wie sie war, hatte den Ralf Rössler in der väterlichen Firma untergebracht. Jetzt war er auf dem Posten, der eigentlich ihr von ihren Fähigkeiten her zugestanden hätte.

      Dieser Ralf Rössler durfte auf keinen Fall mehr Macht erlangen als er schon erlangt hatte. So schnell wie möglich musste sie diesen Schmarotzer zu Fall bringen. Am besten wie ein lästiges Insekt zerquetschen.

      Donnerstag, 13.06., um 23:40 Uhr. Hotelzimmer in London

      In London saß zur selben Zeit Ralf Rössler auf dem Bett, den Laptop auf dem Schoß, und schrieb an einer Annonce für die Abendzeitung.

      Suche das Mädchen mit grünem Kleid und smaragdgrünen Augen. Umgeben von Schokoladenduft habe ich dich am 13. Juni im Aufzug gesehen. Bitte melde dich.

      Nein, so konnte er das keinesfalls schreiben. Das kam dem Gefühl, das er empfand, in keinerlei Weise, nicht einmal ansatzweise nahe.

       Umgeben von Schokoladenduft habe ich dich im Aufzug gesehen. Deine smaragdgrünen Augen gehen mir nicht mehr aus dem Sinn. Bitte melde dich.

      Schon besser, aber keineswegs gut genug.

      Wieder tippte Ralf einen Text in den Computer. Aber alles, was er schrieb, vermochte kein bisschen das auszudrücken, was er schreiben wollte.

       Du, mit den grünen Augen und dem grünen Kleid. Seit ich dich im Aufzug sah, umgeben von Schokoladenduft, gehst du mir nicht mehr aus dem Sinn. Bitte melde dich.

      Ach, egal! Er war kein Schreiber. Er war ganz der Zahlen- und Faktenmensch. Und außerdem: Wie hoch war schon die Wahrscheinlichkeit, dass dieses feenhafte Wesen überhaupt die Anzeige las? Las sie überhaupt Zeitung in Zeiten des Internets? Und wenn, las sie wirklich genau die „Abendzeitung“? Die Chance, sie über die Annonce wieder zu treffen, lag bei eins zu einer Million.

      Auf der Internetseite der Münchner Abendzeitung fand Ralf die Annoncenseite „Treffpunkt“. Er füllte das vorgegebene Formular aus, überlegte eine Weile und entschied sich für den zweiten Text, den er geschrieben hatte:

       Umgeben von Schokoladenduft habe ich dich im Aufzug gesehen. Deine smaragdgrünen Augen gehen mir nicht mehr aus dem Sinn. Bitte melde dich.

      ‚Na ja, ganz schön verschlüsselt, der Text’, überlegte er.

      Ralf zahlte mit Visa und schickte den Auftrag für das Inserat mit klopfendem Herzen los.

      Dann grinste er. Ein erster Schritt war getan. Die Annonce erschien am Freitag. Freitagabend am Flughafen würde er sich die Zeitung kaufen und sie Lisa zeigen. Die würde Augen machen, wenn sie den Text las.

      Er schaltete den Laptop aus und ging ins Badezimmer, um sich für die Nacht fertigzumachen. Morgen war ein bedeutender Tag und er musste ausgeschlafen und vollauf fit sein.

      Ralf knipste die Zimmerbeleuchtung aus und das Nachttischlämpchen ein. Irgendwie war er müde und legte sich ins Bett, obwohl er sicher war, keinen Schlaf finden würde. Aber wenn der Schlaf partout nicht kommen wollte, gab es immer noch Tricks, sich in den Schlaf zu mogeln. Sein Lieblingstrick war der, sich gedanklich nochmals mit dem Termin am nächsten Tag zu beschäftigen. Sich den Ansatz für das Gespräch klar zu machen und die genauen Schritte zu überlegen, wie er zum Erfolg kommen konnte. Diese Strategie half fast immer.

      Bei geschlossenen Augen, völlig entspannt auf seinem Bett liegend, visualisierte er das Firmengebäude von „Lizzy & Sweets“. Er versuchte sich Gerald Owen vorzustellen, den er nur von einigen Fotos her kannte. Aber zwischen dem Firmengebäude und Owens Fotos tauchten wieder und wieder das wunderschöne Gesicht und die smaragdgrünen Augen der Frau im Aufzug auf. Wie eine Fee sah sie ihn an. Mit ihrem Lächeln schien sie all seine Wünsche erfüllen zu können. Er versuchte nicht allzu lange an sie zu denken und doch kam er mit seinem Einschlaftrick keinen Deut weiter.