Till Angersbrecht

Ego - oder das Unglück, ein Mann auf dem Mars zu sein


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alle auf dieses Zeichen gewartet. Ein Tornado aus tosendem Beifall, eine Sturmbö aus Tausenden klatschender Hände fegte über den Platz.

      Die Erste Holde wartete das Ende des Beifalls ab, dann setzte sie ihre Ansprache fort.

      Liebe Schwestern, teure Geliebte, Gaia, dieser von Männern beherrschte, von Männern verpestete Planet, hat sich vor einem Jahrzehnt endgültig ausgelöscht. Eine Oligarchie bösartiger alter Männer in einem Land namens China hat einen nuklearen Schlag gegen ein anderes Land und die männlichen Cowboys in seiner Regierung geführt. Der düstere Männerrat in einem dritten Land, das von der Beringstraße bis an die Ostsee reicht, hatte auf dieses Signal nur gewartet. Im gleichen Augenblick ließ er einen Hagel Atomraketen auf beide Mächte zugleich niederregnen. Seitdem ist der Globus im nuklearen Höllenfeuer verglüht. Große Bevölkerungsteile verbrannten oder gingen an Hunger und Strahlen zugrunde. Es scheint, dass von tausend Menschen nur ein einziger überlebte. Dieser klägliche Rest haust in Erdhöhlen und auf den eiskalten Spitzen der Berge. Die großen Städte sind sämtlich zu Geisterruinen verödet, wo nur noch Ratten und Schlangen hausen. Für Hunderte, wenn nicht Tausende von Jahren wird die menschliche Zivilisation auf Gaia darniederliegen. Wir Frauen sind es, die hier auf dem Mars das Geschlecht weiterführen.

      Vergesst das nie: Ihr seid jetzt der Vorposten menschlicher Zivilisation. Die Holde hob die fünf Finger, und es herrschte augenblicklich vollkommene Stille, denn dies war der Moment, in dem alle gemeinsam das Mutterunser sprachen.

      Mutter unser, groß bist Du und heilig. unsichtbar weilst Du in unserer Mitte. Du bist Eana, die Göttliche im Himmel und die Holde auf Erden. Führe uns nicht zum Mann, sondern wehre das Böse ab und die Machos. Denn Dein ist die Kraft und die Weiblichkeit. Amen.

      Alle schwiegen in tiefer Betroffenheit. Ego aber wurde ganz schwindelig nach dem soeben Gehörten.

      Das also ist aus der ehemaligen Heimat des Menschen geworden, ging es ihm durch den Kopf: verbrannte, verstrahlte, verödete Erde. Unsere Schwestern und Brüder hausen in schmutzigen Erdhöhlen. Die Städte, deren Namen und einstiger Ruhm selbst hier auf dem Mars noch in den Köpfen nachhallte: Rom, Prag, Dresden, New York, Neu Delhi, Marrakesch, Paris, München und wie sie sonst heißen mochten, sie alle waren im Strahlenfeuer verbrannt oder zumindest unbewohnbar geworden. Und die wenigen übrig gebliebenen Menschen haben sich in die Rocky Mountains, die Alpen, die Pyrenäen oder in die Schluchten des Himalaya geflüchtet, wo sie wie Tiere ums Überleben kämpfen. Während wir hier unsere Tage feiernd verbringen, sorglos auf unserem friedlichen Himmelskörper, herrschen dort unten Geheul und Verzweiflung. Wie grauenhaft die Vorstellung, dass der Leichengeruch der ermordeten Milliarden wie ein Pesthauch über dem toten Planeten liegt!

      So schoss es Ego durch den Kopf. Ich glaube aber, dass alle das Grauen so stark empfanden wie er, denn eine ganze Zeit herrschte noch Totenstille, obwohl die übliche Minute des Schweigens nach der Rede der Ersten Mutter bereits vergangen war. Inzwischen waren auch die Kaskaden von grün-blauem Licht zu einem schwächlichen Rinnsal ermattet. In einer Stunde würde hier vollkommenes Dunkel herrschen, dann hätte der Fels alles gespeicherte Licht aus seinen Porten verströmt.

      Die Stimme aus dem Nichts

      Es war üblich, dass die Erste Holde – wie die anderen vier wird sie auch die Liebreizende genannt - am Ende den Segen für unsere Stadt und den Kosmos spricht: Urbi et Orbi. Erst dann treten die Besucher, innerlich gestärkt und für das kommende Jahr spirituell neugeboren, den Rückweg nach Marsopolis an. Diesmal jedoch kam alles anders, so anders, dass ich kurz danach dieses Tagebuch und Zeugnis zu schreiben begann, denn vom diesem Augenblick an war mir bewusst, dass sich etwas Unerhörtes, nie Dagewesenes in unserer Stadt ereignet hatte.

      Es war nämlich auf einmal ein merkwürdiges Atmen und leises Keuchen zu hören, dann ein Knacken aus sämtlichen Lautsprecherboxen und schließlich war da eine Stimme, die aus weiter Ferne zu kommen schien: eine schreckliche Stimme, nämlich die eines Mannes, rau und metallisch scharf wie das Rasseln von Zimbeln vermischt mit Trompetengeächze. Was sie sagte, ließ die Anwesenden augenblicklich erstarren. Obwohl ein mit unseren Sitten nicht hinlänglich vertrauter Besucher über diese Wirkung vielleicht erstaunt sein würde. Es war ja nicht mehr als ein Name, den diese dumpfe Stimme sprach, der Name einer Frau, und er lautete “Martha”.

      Martha, rief die Stimme, dann eine Pause und wieder rief sie Martha. Aber diesmal kam sie nicht mehr aus der Ferne, sondern schien ganz nah zu sein, so als dröhnte sie aus dem beinahe völlig erloschenen Fels.

      Ella umklammerte meinen Arm, während ich voller Entsetzen auf die Bühne schaute und auf die Erste Holde, die ich mit beiden Armen hektisch gestikulieren sah. Frauen aus ihrem Gefolge waren auf die Plattform gesprungen und stürzten sich gegen die Boxen, um die Stimme zum Schweigen zu bringen. Doch immer noch hörte frau, wie sie wieder und wieder “Martha” rief. Die Helferinnen der Ersten Holden schlugen nun mit ihren Fäusten wild auf die Boxen ein, schließlich trampelten sie auf ihnen herum, aber die Stimme verstummte erst in dem Augenblick, als eine von ihnen die Stecker aus den Buchsen riss.

      Jetzt sitze ich vor diesem Heft, den Aufzeichnungen über Marsopolis, um es mit Sätzen über das Geschehene auszufüllen, und noch immer überläuft mich der Schauder, denke ich an das fürchterliche Ereignis zurück. Immerhin kann ich dem Leser von einem anderen fernen Planeten, der mit den Sitten und Gebräuchen auf dem Mars wenig oder gar nicht vertraut ist, mittlerweile mit der nötigen Ruhe das Ungeheuerliche erklären, wie es in diesem Jahr, dem Fünfundzwanzigsten nach der Revolution (25 n. MM), unser Fest grausam zerstörte. Zwar wusste jeder Bewohner unserer Stadt, dass Martha der Name der Ersten Holden vor ihrer Weihung durch Eana war. Doch nach dieser Weihe war sie Tochter der Göttin und bei Strafe des eigenen Lebens durfte danach niemand mehr wagen, ihren profanen Namen im Mund zu führen.

      Jede, die diese klirrende, schartige Stimme hörte, wusste daher sofort, dass dies ein Anschlag auf die Würde der Frauen war, ein Aufruhr angezettelt von einem Mann entweder von einem anderen Stern oder von den Köchen in unserer Unterwelt.

      Wer und wo war dieser Mann, wie konnte seine Stimme in die Boxen vor dem Felsen des Himmlischen Lichts geraten?

      Das sollte lange Zeit ein Geheimnis bleiben, an dessen Aufklärung das Männchen Ego, der traurige Held dieser Geschichte, besonders beteiligt war. Von diesem Tag an nahm das Schicksal der Stadt auf dem Mars einen anderen Verlauf – auch Egos ganz persönliches Schicksal. Der vorliegende Bericht wäre nie geschrieben worden, wäre Ego nicht zu einer “Ehrenfrau” aufgerückt, was wiederum niemals geschehen wäre ohne die furchtbare Stimme aus dem Dunkel und alles, was danach sich noch ereignen sollte.

      In jenem Augenblick machte das Fest und alle davon bewirkte Freude einer grellen Verzweiflung Platz. Zwar waren die Gesichter der Besucher hinter Visieren verborgen, im Halbdunkel war der Ausdruck der Panik nur zu erahnen, doch die eben noch festlich bewegte Gemeinde stob auseinander, als wäre ein Sturm oder die Sintflut hereingebrochen. Rechts und links flammten die Taschenlampen, die den Rückkehrern mit schwachem Licht den Weg durch die Hügel wiesen. Ella und Ego eilten zu dem abseits abgestellten Wagen zurück.

      Moozaars Requiem

      Als sie, in Ellas Wabe zurückgekehrt, die Helme abgelegt hatten, die Zimmertür hinter sich schlossen und Ella wie üblich das Gewissen verhängte, sprachen sie nicht mehr über die Stimme. Ego wusste, dass seine launische Gefährtin auf keinen Fall darüber sprechen würde. Sie hasste Probleme, so wie sie Zahnweh oder Bauchschmerzen hasste. Es war nicht ihre Art, über Probleme zu sprechen, aber natürlich gingen sie trotzdem in ihrem Kopf herum, nur dass sie sich von dort aus eben einen Ausweg nach außen suchten. Dieser Ausweg – das war wieder einmal er selbst: Ego.

      Ihr Männer, sagte sie, habt Gaia vernichtet, ausgelöscht, einen alles verzehrenden Holocaust angezettelt. Weißt du, ich hasse alle Männer.

      Dabei versetzte sie ihm einen Schlag, denn Ego gegenüber hatte sie ihre Schüchternheit inzwischen nahezu ganz eingebüßt. Natürlich war dieser Schlag nur eines der zwischen ihnen üblichen Spielchen – mit solchen Züchtigungen musste er jederzeit rechnen.

      Um