Gerhard Wolff

Die Sümpfe


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Toms Überraschung brachen die Arbeiter am Tisch in ein Lachen aus. „Das Scheißhaus putzt immer der, der als letzter hier ankommt. Das ist die Regel. Das war schon in der Armee so. Und der letzte, der hier angekommen ist, bist im Moment du. Also mach dich an deine Arbeit, du Klugscheißer!“, belehrte ihn Kolos, der seinem Namen alle Ehre machte und außer riesigen Muskeln auch noch über und über tätowiert war.

      „Was hast du gesagt, „Klugscheißer“, das passt ja wie die Faust aufs Auge!“, kommentierte ein hagerer, glotzäugiger Typ, der Georgi hieß.

      Die Männer hielten sich die Bäuche vor Lachen.

      „Dann gibt es eine neue Regel!“, fuhr Tom die Arbeiter an. „Jeder macht seinen Scheiß selbst weg. Das nennt man Verursacherprinzip.“

      Die Arbeiter verstummten sofort und sahen ihn böse an.

      „Warum lacht ihr nicht? Das mit dem Scheiß war doch auch ein passendes Wortspiel!“

      Eine Sekunde war es totenstill im Raum und die Leute starrten Tom mit grimmiger Miene an.

      „Es gibt keine neue Regel!“, brummte Nicolai dann in die Stille. „Die alte Regel gilt schon immer und sie bleibt. Also geh an deine Arbeit und mach das Loch sauber!“

      Tom ließ sich nicht beirren. „Wer von euch war der letzte auf dem Klo? Na los, ihr Feiglinge, ich will wissen, wer als Letzter auf dem Klo war!“

      Es wurde wieder totenstill im Raum.

      Dann stand Kolos auf. „Ich war der letzte vor dir, Junge. Und jetzt befehle ich dir, das Scheißhaus sauber zu machen, weil ich gleich nochmal muss und dann ein sauberes Klo haben will. Klar?“

      Die Anderen nickten zustimmend und sahen Tom schmunzelnd an.

      Tom ließ sich jedoch nicht einschüchtern. „Und ich erwarte, dass du jetzt sofort deinen Scheiß wegmachst, weil ich auch mal muss!“

      Den Arbeitern klappte die Kinnlade vor Sprachlosigkeit nach unten.

      „Und beeil dich, Junge!“, knurrte Tom. „Ich muss nämlich dringend!“

      Kolos Gesichtsausdruck verfinsterte sich. Er stülpte sich die Ärmel nach hinten. „Ich glaub, dir geht´s zu gut. Ich glaub, du brauchst mal ´ne Abreibung.“

      „Schade!“, meinte Tom ganz ruhig. „Und ich hoffte schon, du machst dich fertig für ´s Putzen.“

      Jetzt rastete Kolos aus, so wie es Tom erwartet hatte.

      „Dir zeig ich´s, du Hund!“, brüllte Kolos und stürzte nach vorn auf Tom zu.

      Der wich nur geschickt aus und stellte Kolos ein Bein, so dass dieser mit dem Körper gegen die Barackenwand krachte.

      Die Arbeiter raunten vor Überraschung, weil sie Kolos Kraft und Kampfesstärke schon erlebt hatten.

      Kolos lag im Eck und fluchte. Dann zog er sich langsam an der Garderobe hoch. „Na warte! Jetzt gibt´s Prügel!“

      „Spar dir deine Kraft für das Kloputzen!“, riet ihm Tom. „Das musst du auf jeden Fall putzen.“ Er wandte sich an die Arbeiter. „Und das gilt von jetzt ab auch für euch!“

      Nun sprangen auch die Arbeiter auf. „Spinnst du?“, schrie Nicolai ihn an. „Für wen hältst du dich?“

      „Ja, für wen?“, fragte ein anderer Arbeiter.

      „Los, der braucht ´ne Abreibung! Die kann er haben! Zeigen wir es ihm!“, befahl Nicolai und einige Männer stürzten sich auf ihn.

      Gleichzeitig griff ihn Kolos von hinten an.

      Aber Tom hatte mit all dem gerechnet, hatte solche Situationen oft genug geübt. Er trat einen Schritt zur Seite und Kolos und die Arbeiter stießen zusammen, fielen gegenseitig über ihre Füße und purzelten zu Boden, wo sie einen Moment hilflos und wütend fluchend herumzappelten.

      „Ich gebe euch eine letzte Chance!“, meinte Tom. „Kolos geht Kloputzen und ihr setzt euch wieder an den Tisch und gebt Frieden! Sonst geht es euch dreckig!“

      „Spinnt der?“, meinte Kolos ungläubig. „Los, schnappt ihn!“

      Damit rappelten sie sich auf und wollten sich wieder auf Tom stürzen.

      Doch der handelte entschlossen. Mit einem blitzschnellen Aufwärtskick brach er Kolos die Nase.

      Der fiel nach hinten und blieb mit blutiger Nase wimmernd im Eck liegen.

      Nicolai stürzte sich als Nächster auf Tom, aber ein Fußtritt auf das Knie genügte, um auch ihn außer Gefecht zu setzen. Er fiel zu Boden und blieb ebenfalls jammernd liegen.

      Der Andere hielt überrascht inne.

      „Setzt dich wieder hin und gib Frieden, sonst geht es dir wie denen!“

      Der Arbeiter setze sich wieder an den Tisch.

      „Die Regel hat sich geändert!“, begann Tom wieder. „Jeder macht seinen Scheiß selbst sauber, klar?“

      Die Arbeiter nickten.

      Da ging die Türe der Baracke auf.

      „Was ist denn hier los? Was macht ihr denn für einen Krach?“

      Wagner, der Schichtleiter der Firma, stand da und besah sich fassungslos die Szene.

      „Nichts, nichts!“, meinte Nicolai, zog sich mit schmerzverzerrtem Gesicht am Tisch hoch und setzte sich.

      „Das sehe ich!“

      Auch Kolos stand auf, hielt sich ein Taschentuch vor die blutige Nase und setzte sich an den Tisch. „Ja, alles in Ordnung!“, meinte er.

      „Das sehe ich!“, wiederholte Wagner. „Ihr wisst, dass ihr fliegt, wenn es Ärger gibt!“

      „Den Ärger gibt es erst, seit der da ist!“ Nicolai deutete auf Tom.

      Wagner sah ihn kritisch an. „Du schon wieder! Das habe ich mir gleich gedacht, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Für so was habe ich einen Riecher. Und bei dir riecht man den Ärger!“

      „Wenn Sie meinen?“

      „Ja, das meine ich!“, sagte Wagner böse. „Und ich meine, dass du jetzt schleunigst deinen Kram packst und verschwindest. Denn Typen, die einmal Ärger machen, die machen es immer wieder. Und wir wollen hier keinen Ärger!“

      „Ist OK!“, erwiderte Tom. „In den hier Schweinestall passe ich eh nicht!“

      Wagner sah ihn böse an. „Du kannst von Glück sagen, dass ich dich nicht wegen Körperverletzung anzeige, aber wir wollen hier keinen Ärger!“

      „Sie meinen, Sie wollen nicht, dass die Polizei mitbekommt, wie viele Arbeiter hier schwarz beschäftigt werden! Wahrscheinlich alle illegal ins Land geschleust und hier schwarz beschäftigt. Also Vorsicht mit Drohungen!“

      Wagner wusste, dass er Recht hatte. „Verschwinde, aber dalli!“ Wagner zischte ihn böse an und stürzte dann aus der Baracke.

      Tom ging schweigend zu seinem Spind und packte seine Sachen. Gleich darauf war er auf der Straße.

      20

      Tom schlich deprimiert durch die von grellen Schaufensterlichtern beleuchtete Stadt und überlegte, was er jetzt tun sollte.

      „Haste mal ´n Euro für mich?“

      Tom sah auf. Vor ihm saß einer von vielen Pennern, die noch die letzten Abendkunden abgreifen wollten. Er betrachtete den Mann genau. Lange, verzottelte, ungewaschene Haare, dicke Backen, überwuchert von einem Krausbart, verschwitzt, verdreckt, eklig, so wie auch die ganze löchrige, schmutzige, speckige Kleidung. Schmutz im Schmutz der Großstadt. Neben ihm saß ein ebenso dicker Mops, davor lag eine Mütze, die noch leer zu sein schien. „Oder er nimmt schnell alles wieder raus!“, wusste Tom.“

      „Hab selber nichts!“, meinte Tom und