Gerhard Wolff

Die Sümpfe


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aus dieser Gegend entscheiden sich nicht für Typen aus Säuferfamilien, sondern für anständige Menschen!“

      Tom fühlte einen Stich im Herzen, reagierte jedoch noch immer nicht auf die Provokationen des Mannes. Er wollte nur weg von hier, wollte irgendwohin, wo er allein sein und trauern konnte, torkelte an Piet vorbei in Richtung Eingang.

      Da stellte Piet ihm ein Bein und Tom fiel hin.

      Alle lachten.

      „Da muss wohl einer noch laufen lernen!“, kommentierte Piet wiehernd.

      Tom versuchte aufzustehen, aber da gab ihm Piet einen Tritt in den Hintern, so dass er wieder zu Boden ging.

      Schallendes Gelächter erfüllte den Raum.

      Da kam Tom zu sich. Er vergaß seinen Schmerz, begriff die Situation, atmete tief durch, versuchte den Alkohol zu bekämpfen und sich zu konzentrieren. Er fühlte, wie er seinen Körper und seinen Geist unter Kontrolle bekam. Plötzlich schnellte er hoch und stand mit eingeknickten Knien in der Pferdstellung vor Piet.

      Dieser schätzte die Situation völlig falsch ein. „Na, wohl noch etwas wacklig auf den Beinen!“; kommentierte er Toms Stellung, ohne zu ahnen, dass es sich dabei sowohl um eine sichere Verteidigungs- als auch eine gefährliche Angriffsposition handelte.

      „Soll ich dir unter die Arme greifen?“, fragte Piet scheinheilig und näherte sich Tom, um ihn nochmals umzustoßen. „Du siehst so aus, als ob du gestützt werden müsstest!“

      Wieder lachten die Anwesenden.

      Es war für Tom ein Leichtes, den Angriff des Mannes mit einem Olgul-makki mit einer Hand abzuwehren.

      Piet stutzte. „Willst wohl frech werden, du Null?“, fragte er ärgerlich. Er bemerkte nicht, dass es still im Raum geworden war, denn viele kannten Toms Taekwondo-Fähigkeiten. Piet dachte nicht daran und wollte Tom weiter provozieren. „Warte, ich zeig´s dir, du Lümmel!“, rief er wütend aus und wollte sich auf Tom stürzen.

      Dieser wich mit einem Sprung zur Seite aus und verpasste nun seinerseits Piet einen Tritt in den Hintern, so dass dieser gegen den Tresen flog.

      Es war totenstill in der Kneipe.

      Piet raffte sich außer sich vor Wut auf, wandte sich Tom zu und sah ihn böse an. „Na warte! Jetzt bekommst du´s von mir knüppeldick!“ Damit stürzte er nach vorne und wollte nach Tom schlagen.

      Ein leichter Mom-tong ap-chagi, ein Tritt in den Bauch, genügte, um Piet durch den Raum an die Wand zu schleudern.

      Piet begriff immer noch nicht, dass er besser aufhörte und mit Tom nicht fertig werden würde. Er zog sich wieder hoch und stürzte sich wie wild auf Tom.

      Dieser konterte mit einem Miro-chagi, einem geschobenen Tritt, auf Piets Nase.

      Piet flog wie ein gefällter Baum nach hinten und krachte hart auf den Boden. Er hielt sich die Nase, die schrecklich blutete. „Du, du hast mir die Nase gebrochen. Das wird ein Nachspiel haben. Ich zeige dich wegen Körperverletzung an!“, bellte er Tom an.

      „Ich denke, ihr Taekwondo-Kämpfer dürft eure Techniken nicht im Alltag einsetzen!“, fragte einer von Piets Freunden.

      „Das war ganz schön mies von dir!“, meinte ein Anderer. „Das war ganz schön hinterrücks!“

      „Ich, ich zeige dich an!“, schrie Piet wütend und versuchte, sich die Nase zu richten. „Ich zeige dich wegen Körperverletzung an!“

      „Und wir sind Zeugen!“, knurrte einer von Piets Freunden.

      Tom sagte nichts. Er sah in die von Wut verzerrten Gesichter der Männer. Da wandte er sich um und verließ die Kneipe.

      10

      „Ich muss mit dir reden, Vater!“, flehte Tom und tippte ihn am Oberarm, damit er ihn registrierte.

      Dieser saß wie meistens am Abend betrunken am Küchentisch und da er schon sehr betrunken war, hatte er seinen Kopf bereits auf seine Arme gelegt. Leere Bierflaschen lagen auf dem Tisch, einige waren schon auf den Boden gerollt. Manchmal schlief der Vater hier seinen Rausch aus und schleppte sich erst in den frühen Morgenstunden ins Bett. Manchmal saß er auch da und hatte sich Klein oder sogar Groß in die Hose gemacht.

      Tom hatte vorsichtig an ihm gerochen und festgestellt, dass es noch nicht so weit war. An der Anzahl der Flaschen wusste er, wie betrunken sein Vater war und entschied, dass er noch ansprechbar war. „Ich muss mit dir reden, Vater!“, versuchte er es nochmals, aber dieses Mal packte er den Kopf des Vaters und hob ihn hoch, so dass er ihm ins Gesicht sehen und mit ihm sprechen konnte.

      Tatsächlich öffnete der Vater die Augen und stierte Tom an. „Was´n, was´n los?“, lallte er langsam und leise. „Kannst du deinen Vater nicht schlafen lassen, du Saukerl!“

      „Vater, hör mir doch bitte mal zu!“, flehte Tom.

      Der wollte seinen Kopf wieder auf seine Arme sinken lassen, aber Tom ließ ihn nicht los. Der Vater versuchte kurz, sich aus Toms Griff zu befreien, drehte seinen Kopf hin und her, gab aber schnell auf, als er merkte, dass ihm Tom keine Chance ließ. „Was willst du von mir?“, lallte er wieder und versuchte, die Augen offen zu halten. „Saukerl!“

      Tom hielt sich nicht mit einer langen Vorrede auf, da er befürchtete, der Vater würde wieder einschlafen und könnte ihm dann nicht mehr zuhören. „Wir müssen die Sümpfe trocken legen, Vater! Wir müssen endlich die Sümpfe trocken legen!“, erklärte er.

      „Quatsch!“, rief der Vater. „Lass mich mit dem Scheiß in Ruhe! Gar nichts machen wir.“ Wieder versuchte er sich aus Toms Griff zu befreien, dann schlug er mit der einen Faust nach ihm, aber Tom kannte ihn und war von seinem Taekwondo-Training Angriffe gewöhnt, so dass es für ihn ein Leichtes war, ihm auszuweichen. Sein Vater begriff, dass er keine Chance gegen ihn hatte und gab auf. So saß er einfach nur da und wartete darauf, dass ihn Tom losließ und er wieder schlafen konnte.

      „Wir müssen endlich die Sümpfe trocken legen!“, schrie ihn Tom nun flehend an. „Wir müssen unsere Anbaufläche entscheidend erweitern, sonst sind wir nicht konkurrenzfähig und müssen aufgeben!“

      „Unsinn!“, erwiderte der Vater langsam. „Kostet doch alles zu viel!“

      „Wir müssen entscheidend expandieren, Vater!“, versicherte Tom weiter. „Du weißt, dass wir sonst nicht mehr existieren können.“ Er holte Luft, weil er seinem Vater nochmals alles erklären wollte, obwohl er wusste, dass es sinnlos war. „Wir befinden uns in einer weltweiten Konkurrenzsituation. Der Weltmarkt bestimmt die Preise. Die Verbraucher fragen nicht danach, woher die Ware kommt, sie wollen alles nur möglichst billig. Geiz ist geil. Und wir können nicht so günstig produzieren, wie die Großfarmen in anderen Ländern. In Südamerika, in Amerika, in Australien, überall auf der Welt gibt es Farmen, die hundert Mal so groß sind wie unsere. Da können wir vielleicht nicht mal mithalten, wenn wir vergrößern!“

      „Na also. Ist doch eh alles sinnlos. Was willst du dann?“, meinte der Vater.

      „Aber wenn wir es nicht versuchen, können wir aufgeben!“

      „Wenn schon!“

      „Aber es geht um meinen Arbeitsplatz. Und um mein Erbe!“

      „Du willst also, dass ich sterbe! Sieh an!“ Er öffnete die Augen und sah Tom böse an.

      „Quatsch!“, rief der laut auf, obwohl er sich schon oft den Tod des Vaters gewünscht hatte. „Ich möchte alles erhalten. Meine Arbeitsstelle, den Hof, das ist doch auch dein Lebenswerk und das deiner Vorfahren!“

      Der Vater sah ihn fragend an. „Ich glaub dir kein Wort!“, meinte er dann. „Lass mich jetzt schlafen!“

      Wieder versuchte er, seinen Kopf auf die Arme zu legen, aber Tom ließ nicht locker. „Wir müssen die Sümpfe trockenlegen, dann können wir unsere Anbaufläche entscheidend vergrößern. Zusätzlich bauen wir einen Stall für tausend Schweine, die wir