Gerhard Wolff

Die Sümpfe


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wäre es, ich würde abhauen!“

      „Gute Idee!“, meinte Freddy. „Und stell dir vor, da hab ich was für dich!“

      Tom horchte auf.

      Freddy hielt ihm einen Zeitungsausschnitt hin. „Die suchen Arbeiter in der Stadt. Die Bezahlung ist gar nicht so übel. Ich hab selbst schon darüber nachgedacht, ob ich`s mache. Aber du weißt ja, ich muss mich um meine Mutter kümmern!“

      Tom nahm hilflos den Zeitungsausschnitt und las ihn. „Danke, Freddy!“, meinte er dann. „Ich denke drüber nach!“

      Dann verabschiedeten sie sich, Freddy fuhr davon und Tom blieb noch eine Weile ratlos stehen.

      13

      Alwina und Sofia stiegen aus dem Bus aus und sahen sich um. Alwina zog den Zettel mit der Adresse aus der Tasche und las. „Wir müssen dahin!“, meinte sie dann und zeigte in die Richtung. „Nach ungefähr hundert Metern geht es dann rechts hinein. Da ist das Reisebüro und da muss unser Bus losfahren. Mal sehen, was da auf uns zukommt!“, grinste sie Sofia an.

      „Sicher nichts Gutes!“, meinte Sofia ängstlich.

      Alwina lachte. „Natürlich befürchtest du wieder das Schlimmste, du alte Pessimistin!“

      „Ich bin keine Pessimistin!“, empörte sich Sofia.

      Alwina sah sie nachdenklich an. „Nein, wahrscheinlich nicht!“, nickte sie. „Aber, man muss dich kennen, um dich zu verstehen.“

      „Das ist bei dir nicht anders!“, rief Sofia ärgerlich.

      „Wahrscheinlich!“, lachte da Alwina laut los. „Los, machen wir, dass wir unseren Bus kriegen!“ Damit lief sie in Richtung des Reisebüros und Sofia folgte ihr.

      Gleich darauf waren sie an der Ecke und bogen in einen Hof. Dort blieben sie mit offenem Mund stehen. „Was, was ist denn das?“, entfuhr es Alwina.

      Vor ihnen lag ein schmutziger, enger Hinterhof, umgeben von grauen, zerfallenden Häusern. Bei einigen waren die Fensterscheiben eingeschlagen. In der Mitte des Hofs stand ein Tanklastwagen, davor warteten einige Personen in einer Schlange, die von einem Mann in Richtung des Wagens dirigiert wurden.

      „Wollt ihr auch mit?“, fragte die beiden Mädchen ein Mann, der am Eingang des Hofes an einem kleinen Tischchen saß, auf dem eine geöffnete Geldkassette stand.

      „Was, was ist denn das?“, fragte nun Sofia halblaut.

      Alwina sah sie grinsend an und deutete auf den Mann. „Das ist wohl unser Reisebüro.“ Dann zeigte sie auf den Tanklastwagen. „Und das ist wohl unser Bus.“

      „Wie bitte?“ Sofia war sprachlos.

      „Wollt ihr nun mit oder nicht?“, knurrte der Mann sie an.

      „Wir wollen mit!“, entschied Alwina schnell, bevor es sich Sofia anders überlegen konnte und trat an das Tischchen.

      Der Mann nannte den Preis und Alwina bezahlte.

      Danach kam Sofia dran.

      Der Mann machte den beiden einen Stempel auf die Hand. „Stellt euch jetzt in der Schlange an.“

      Die beiden Mädchen stellten sich an und waren schließlich an der Reihe.

      „In der Annonce war von einem Bus die Rede, nicht von einem Tanklastwagen“, beschwerte sie sich vorsichtig.

      „Keine Angst!“, meinte der Mann, der sie durch eine kleine Öffnung im Tanklastwagen hineinschleuste. „Der Wagen ist innen ganz komfortabel ausgebaut. Bisher haben alle überlebt!“, lachte er. „Glaub ich jedenfalls.“

      „In der Annonce war von einer Busreise die Rede!“, ließ Sofia nicht locker.

      „Bist du so naiv oder tust du nur so?“, fragte der Mann ehrlich überrascht. „Du machst hier nicht Urlaub, sondern du reist illegal nach Deutschland ein und willst dort illegal bleiben, um dir eine goldene Nase zu verdienen. Meinst du, wir können das in die Annonce schreiben. Aber das muss dir doch Alex am Telefon alles erklärt haben?“

      „Na ja, wenn man zwischen den Zeilen lesen oder besser zwischen den Worten hören kann, dann konnte man das verstehen, das ist wahr“, gab Alwina zu.

      „Illegal?“, fragte Sofia entsetzt. „Ich will nichts Illegales machen. Warum ist denn das illegal?“

      „Das ist illegal, weil du als Nicht-EU-Bürger nicht in Deutschland arbeiten darfst. So einfach ist das!“

      „Aber, aber ich dachte, die Deutschen brauchen uns!“, rief sie empört aus.

      „Das tun sie auch!“, wusste der Mann. „Sie brauchen billige und leistungswillige Arbeitskräfte, weil sie selbst zu hohe Löhne haben und nur noch feiern und nicht arbeiten wollen. Und sie haben auch viel zu wenig eigenen Nachwuchs und der will auch nichts arbeiten. Klar, die brauchen dich schon. Aber offiziell wollen sie dich nicht haben, denn dann kostest du genauso viel wie die Deutschen und dann rentiert sich die Sache nicht mehr!“

      „Das ist ja kriminell!“, rief Sofia empört aus.

      Bei dem Wort „kriminell“ zuckte der Mann zusammen. „Wollt ihr jetzt mit oder nicht?“, brummte er plötzlich böse.

      „Ja, natürlich!“, meinte Alwina schnell und schob Sofia durch eine kleine Öffnung in das Innere des Tanklastwagens. Gleich darauf befanden sie sich in einem von einer Glühbirne schwach beleuchteten, stinkenden und völlig überfüllten Raum und setzten sich auf eine der Holzbankreihen, die den ganzen Tanklastwagen ausfüllten. Wenige Minuten später ging die Fahrt los.

      In der Fremde

      14

      Es erschien Sofia wie eine Unendlichkeit, so lange dauerte ihr Aufenthalt in dem Tankwagen. Es stank nach den Exkrementen der Passagiere, die ihre Geschäfte in aufgestellte Eimer, die hinter einem Vorhang verborgen waren, erledigt hatten. Sofia und die anderen kauerten eng zusammengepfercht auf ihren Bänken, sie konnten nur einmal kurz aufstehen, herumlaufen war unmöglich, so dicht waren die Bänke angebracht und so weckte man eine ganze Reihe von Leuten auf, wenn man zur Toilette musste, was diese stets mit wilden Flüchen quittierten. Aber es konnte eh niemand schlafen, alle dämmerten nur in einer Art Halbschlaf vor sich hin. Der Geruch nach Körperschweiß wurde vom Gestank ihrer Fäkalien überdeckt.

      „Wie lange denn noch?“, fragte Alwina manchmal, wohl wissend, dass es niemand wusste und dass ihr Martyrium nicht schneller vorüberging, wenn sie nach dessen Dauer fragte.

      Sofia antwortete ihr deshalb auch nicht.

      „Hoffentlich kommen wir überhaupt lebend an!“, bemerkte jemand plötzlich aus dem Halbdunkel. „Hoffentlich haben sie eine gute Lüftung eingebaut, damit wir nicht ersticken!“

      Sofia und Alwina erwachten schlagartig aus ihrer Lethargie und lauschten und spähten in die Dunkelheit.

      „Manchmal bringen sie Arbeiter gar nicht nach Deutschland!“, wusste noch jemand. „Sie lassen die Wagen einfach stehen und die Leute sterben, wenn sie nicht gefunden und von irgendjemandem befreit werden!“

      Sofia und Alwina wurde es immer mulmiger zumute und von da an war es ihnen nicht einmal mehr möglich, vor sich im Halbschlaf hinzudämmern. Sie lauschten gespannt auf alle Geräusche, die sie hörten. Dann übermannte sie die Müdigkeit und sie schliefen ein.

      Sie wurden aus ihrem Erschöpfungsschlaf gerissen, als der Tankwagen plötzlich anhielt und der Motor abgestellt wurde.

      „Wir sind da!“, kommentierte jemand im Wagen und da waren alle hellwach.

      Wirklich hörte man nun die Stimmen von mehreren Männern und gleich darauf wurde die Türe geöffnet. Es war Nacht draußen, aber grelles Scheinwerferlicht beleuchtete einen asphaltierten Platz, auf dem der Tankwagen