Emil Horowitz

Gespräche auf einem absurden Planeten


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Herr Koyuncu, ich muss mich wirklich wundern. Einen derart unqualifizierten Einwurf hätte ich von Ihnen nicht erwartet. Lassen Sie mich eines fragen: Was fürchtet der wahre Deutsche am meisten?

      KOYUNCU wegwerfend Ach, was weiß ich!

      ÜZTÜR Herr Koyuncu! Sie sind zwar das erste Mal bei uns, aber immerhin ... Am meisten fürchtet der wahre Deutsche einen derart integrierten Ausländer, dass er ihn möglicherweise gar nicht mehr als solchen erkennen kann. Vor dieser Angst wollen wir ihn mit diesem Sprachkurs bewahren, um die Ressentiments nicht noch weiter anzuheizen.

      KOYUNCU Blödsinn.

      ÜZTÜR verärgert Herr Koyuncu, bitte! Wir sind hier nicht im Bierzelt! Haben Sie sich denn noch nie Gedanken darüber gemacht, warum unsere germanischen Mitmenschen bei Gesprächen mit Ausländern eben dieses "schwachsinnige Babygebrabble" anwenden, wie Sie sich auszudrücken belieben?

      KOYUNCU Warum wohl! Weil Sie glauben, wir würden sie sonst nicht verstehen.

      ÜZTÜR Falsch, Herr Koyuncu, ganz falsch! Wenn dem so wäre, wie ist es dann möglich, dass wir immer wieder mit Sätzen konfrontiert werden, wie sie unser geschätzter Herr Jamal beim letzten Mal vorgetragen hat? Einen Moment, ich lese vor ... Blättert in seinen Unterlagen Ah ja, hier: "Wenn du zwischenfinanzieren deine Überziehungs­kredit, dann wir außer Kraft setzen gerichtliche Mahnverfahren, bis wieder zurückführen Außenstände." Verhaltenes Lachen der Gruppe

      JAMAL Mein Freund hat erzählt, der Bank­angestellte hätte sogar versucht, mit türkischem Akzent zu sprechen. Lautes Lachen der Gruppe

      ÜZTÜR Sehen Sie, Herr Koyuncu? Glauben Sie wirklich, der Mann hat versucht, sich leichter verständlich auszudrücken?

      KOYUNCU Na ja ...

      ÜZTÜR Herr Koyuncu, es hat keinen Sinn, die Augen vor den Tatsachen zu verschließen. Das "Babygebrabble" ist eine hochkarätige Integrationsbarriere.

      KOYUNCU Blödsinn.

      ÜZTÜR Na gut, Herr Koyuncu, Sie haben natürlich ein Recht auf Ihre eigene Meinung. Lassen Sie uns fortfahren. Versuchen Sie sich einmal daran: "Könntest du morgen meine Schicht übernehmen? Ich habe eine familiäre Verpflichtung."

      JAMAL Darf ich?

      ÜZTÜR Sicher, Herr Jamal, nur zu.

      JAMAL "Du können nehmen morgen meine Schicht? Ich Verpflichtung für Familie."

      ÜZTÜR diplomatisch Ja, Herr Jamal, nicht übel. Ich denke, Sie haben den Kern der Sache noch nicht völlig erfasst, aber das wird schon, keine Sorge, das wird schon. Möchte es noch jemand versuchen?

      DEMIR "Du können nehmen" klingt irgendwie - ich weiß nicht - unecht.

      ÜZTÜR Gut erkannt, Herr Demir. Die Nutzung des Infinitiv statt der konjugierten Form ist ein plakatives Klischee aus der Frühzeit des Rassismus. Das glaubt Ihnen heute keiner mehr. Wie würden Sie das ausdrücken?

      DEMIR Vielleicht eher: "Du mach'"?

      ÜZTÜR Das kommt auf den Kontext an. Möchte jemand versuchen, den Satz unter Verwendung von "Du mach'" zu konstruieren?

      SEDEK "Du mach' morgen meine Schicht?"

      ÜZTÜR Hm, hm. Das klingt ein wenig aggressiv, finden Sie nicht?

      DEMIR Vielleicht eine andere Wortfolge, zum Beispiel: "Du morgen mach' meine Schicht?"

      SEDEK Ja, das ist gut! Man könnte das noch mit Höflichkeitsfloskeln aufpolstern: "Entschuldig', du morgen mach' meine Schicht, bitte?"

      ÜZTÜR erfreut Sehr gut, meine Herren. Und was machen wir mit dem zweiten Teil: "Ich habe eine familiäre Verpflichtung"?

      DEMIR Das würde ich stark komprimieren, etwa so: "Ich Familie."

      ÜZTÜR Gute Idee. Jetzt wieder im Zusammenhang.

      DEMIR "Entschuldig', du morgen mach' meine Schicht, bitte? Ich Familie."

      ÜZTÜR Ausgezeichnet. Dann wollen wir gleich eine weitere Übung wagen: "Ich möchte bitte diesen Flug auf Donnerstag nächste Woche umbuchen. Gibt es noch Flüge am Vormittag?" Wer möchte?

      JAMAL eifrig Jetzt hab' ich's begriffen! "Flug bitte umbuch' nächste Donnerstag. Geht Vormittag?"

      ÜZTÜR verblüfft Nicht schlecht, Herr Jamal, gar nicht schlecht! Kann man das noch verbessern?

      DEMIR "Umbuch'" ist vielleicht etwas zu kompetent. Wie wär's mit: "Mach' andere Flug"?

      ÜZTÜR Guter Vorschlag. Das erfordert dann aber eine andere Satzkonstruktion. Versuchen Sie es gleich noch einmal?

      DEMIR Uhm ... "Bitte mach' andere Flug nächste Donnerstag. Geht Vormittag?"

      ÜZTÜR Ja, das kann man durchaus so lassen.

      SEDEK Das "Geht Vormittag" klingt meiner Ansicht nach ein wenig künstlich. Wie wär's mit: "Vormittag gut?"

      ÜZTÜR erfreut Klasse, Herr Sedek! Und jetzt im Zusammenhang.

      SEDEK Bitte mach' andere Flug nächste Donnerstag. Vormittag gut?

      KOYUNCU Ich bleibe dabei. Das ist alles Blödsinn. Absolut paranoid.

      ÜZTÜR Oh nein, Herr Koyuncu! Können Sie sich an unser Seminar Richtig gekleidet - gut getarnt vom letzten Oktober erinnern?

      KOYUNCU Offen gestanden nicht.

      ÜZTÜR Darin ist dieses Thema ausführlich zur Sprache gekommen. Sie hätten daran teilnehmen sollen, es hätte Sie sicher interessiert. Mit nichts kann ein Ausländer einen aufrechten Deutschen mehr beunruhigen als mit fortschreitender Anpassung. Solange er gebrochen deutsch spricht, ist er als Fremdkörper auf beruhigende Weise sofort und mühelos erkennbar. Das ist doch evident, nicht wahr?

      KOYUNCU Der gelbe Davidstern im türkischen Gewand, wie?

      ÜZTÜR Da steckt leider mehr Wahres dahinter als Sie glauben.

      KOYUNCU gelangweilt Wenn Sie meinen ...

      ÜZTÜR Erst, wenn der Ausländer sich der Sprache seines Gastlandes bemächtigt, wenn er sie vielleicht fehlerfrei oder sogar ohne Akzent spricht, könnte er aus seiner Ghettosituation wegtauchen und für Migrantenparanoiker zu einer schleichenden Gefahr werden, ein- für allemal. Um das zu verhindern, wird der wahre Deutsche eben das nicht tun, was zum Lehren einer Sprache das einzig Richtige ist: korrektes Vorsprechen.

      KOYUNCU Dr. Üztür, wollen Sie damit andeuten, dass Deutsche absichtlich so daherstammeln, nur um uns davon abzuhalten, auch ... aber das ist ja absurd!

      ÜZTÜR Sie werden sich damit abfinden müssen. Und aus diesem Grund, um die Giftmischung aus Angst, Hass und Unwissenheit nicht durch die Zurschaustellung fortgeschrittener Integration noch mehr anzureichern, sollen Sie in diesem Seminar die richtige Rhetorik für den sprachlichen Umgang mit Ihren deutschen Mitbürgern erlernen. Also, Herr Koyuncu, wenn wir wieder aufs Thema zurückkommen dürften - bitte übersetzen Sie: "Ich hätte gerne einen Fotoband über die Schönheiten dieses Landes."

      KOYUNCU widerwillig "Bitte mir geben Buch mit Foto von diese Land."

      ÜZTÜR Und der Infinitiv?

      DEMIR "Bitte mir geb' Buch mit Foto von diese