Eckhard Seipelt

Appalachian Trail


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zwitscherten lustig vor sich hin,

      betrachteten mich fröhlich und verspielt.

      Aber dann schickte man mich fort und brachte mir bei,

      vernünftig, logisch, verantwortungsbewusst und praktisch zu sein.

      Und man zeigte mir eine Welt, in der ich mich berechenbar, sachlich, verstandesorientiert und zynisch verhalten sollte.

      Manchmal, wenn alles schläft, werden die Fragen zu drängend für ein schlichtes Gemüt wie mich.

      Kann mir bitte jemand sagen, was wir da gelernt haben?

      Ich weiß, es klingt blöd - aber sagt mir, wer ich eigentlich bin.

      Pass gut auf, was du sagst, sonst nennen sie dich einen Radikalen, einen Linken, einen Fanatiker, einen Kriminellen.

      Werde Mitglied in unserem Club, wir hätten dich lieber

      brauchbar, achtbar, vorzeigbar – wie eine Nutzpflanze sozusagen...

      Nachts, wenn alles schläft, kommen die bohrenden Fragen.

      Ich weiß, es klingt blöd - aber sagt mir doch bitte, wer ich eigentlich bin.

       (Supertramp, The Logical Song, deutsche Übersetzung)

      Der Appalachian Trail ist mit fast 3500 Kilometern Länge einer der längsten Fernwanderwege der Welt. Der Trail beginnt am Springer Mountain in Georgia und führt dann durch die Staaten North Carolina, Tennessee, Virginia, West Virginia, Maryland, Pennsylvania, New Jersey, New York, Connecticut, Massachusetts, Vermont und New Hampshire zum Katahdin in Maine.

      Jährlich begeben sich im langjährigen Durchschnitt ca. 1800 bis 2000 Wanderer vom Springer Mountain aus auf den Weg, um den „Thru Hike“ zu schaffen, also den Trail in seiner ganzen Länge zu erwandern. Um das zeitlich zu bewältigen, muss man bereits im Frühjahr, meistens noch im Schnee, starten. Spätestens Mitte Oktober ist der Endpunkt, der 1606 Meter hohe Katahdin, auf Grund der dann einsetzenden Schneefälle nicht mehr begehbar und daher gesperrt. Eingefleischte Appalachian-Trail-Hiker legen Wert darauf „Katahdin“ und nicht „Mount Katahdin“ zu sagen, denn der Name Katahdin beinhaltet bereits das Wort „Berg“.Es ist die Bezeichnung der Penobscot Indianer und bedeutet „der größte Berg". Er ist das Ziel, auf das sich alle Hiker (Wanderer) konzentrieren. In seinem Namen klingt etwas Magisches, alle Hiker sprechen mit Ehrfurcht über ihn.

      Das in etwa auf halber Strecke gelegene Harpers Ferry erreicht nur durchschnittlich die Hälfte aller Hiker, und ans Ziel gelangt in der Regel lediglich ein gutes Viertel der ein halbes Jahr zuvor Gestarteten. Die Hiker, die von Süden in Richtung Norden wandern, werden Northbounder genannt. Southbounder, also Wanderer die nach Süden marschieren, gibt es so gut wie gar nicht, da die Wetterverhältnisse am Katahdin einen Start vor Juni oder Juli nicht erlauben.

      Wir haben unterwegs lediglich zwei Southbounder getroffen, und das waren Wanderer, die die Strecke über zwei Jahre verteilt hatten.

      Häufig schon zu Beginn der Wanderung legt man sich einen Trail-Namen zu. Wer keinen hat, bekommt recht schnell einen verpasst. Etliche Wanderer erhalten so im Laufe ihrer Wanderung sogar zwei oder gar drei Trail-Namen. Ich habe mich von Beginn an Neandertal Man (Neandertaler) genannt, da ich in der Nähe des Neandertals lebe. Mein Sohn Pascal hatte sich nach ein paar Tagen den Namen Junior zugelegt, da er während unserer Wanderung der deutlich Jüngste aller Wanderer war.

      Diejenigen, die diese enorme körperlichen Anstrengungen auf sich nehmen, sind sich einig, dass eine extreme Willenskraft noch wichtiger ist als physische Fitness.

      Oftmals sind es Studenten, die gerade mit ihrem Studium fertig geworden sind, und sich vor ihrem Start ins Berufsleben auf dieses einmalige Abenteuer einlassen. Ihnen ist bewusst, dass sie für den Rest des Lebens wohl kaum wieder die Möglichkeit dazu haben werden. Denn in unserer westlichen Zivilisation wird man häufig in erster Linie über seine berufliche Leistung definiert. Familie, Freizeit und all die Dinge, die das Leben erst schön machen, haben sich in der Regel unterzuordnen. Zumindest wird es uns so erzählt, so wie es in dem eingangs abgedruckten Lied von Supertramp schön interpretiert worden ist.

      Erwähnen möchte ich vorab noch die sogenannten Trail Angels. Das sind menschenfreundliche Einheimische, die sich einiges einfallen lassen, um den Wanderern die harten Etappen ein wenig zu versüßen. So findet man gelegentlich eine Kühlbox mit eiskalten Getränken am Wegesrand, an der man sich bedienen darf. Oder jemand steht mitten im Wald an einem Grill und spendiert Steaks und Würstchen. Einer unserer zeitweiligen Mitwanderer wurde spontan in einem PKW mitgenommen, damit er im Haus des Fahrers einmal ausgiebig duschen konnte. Anschließend hat man ihn an die Stelle zurückgefahren, an der er ins Auto eingestiegen war. Gelegentlich wird man gezielt von „Engeln“ abgefangen, um zu einem Supermarkt gefahren zu werden. Die Beschaffung von Lebensmitteln ist immer ein Problem. Selbst wenn man alle paar Tage in die Nähe eines kleinen Ortes kommt, so sind die Supermärkte für gewöhnlich weit außerhalb.

      Wir haben auf unserer Wanderung sehr viel Herzlichkeit und Gastfreundschaft erfahren. Wenn alle Menschen so miteinander umgehen würden, bräuchten wir kein Militär, keine Polizei, keine Gerichte, wir hätten den Himmel auf Erden. Aber leider stehen die Menschen noch immer in Konkurrenz zueinander, aus Angst, das nicht genug für alle da ist. Dies ist in meinen Augen ein gewaltiger Irrtum. Laut einer Studie der britischen Institution of Mechanical Engineers (ImechE) werden weltweit jährlich bis zu zwei Milliarden Tonnen Lebensmittel vernichtet. Bis zu 50 % der produzierten Nahrung landet nicht auf den Tellern der Weltbevökerung, sondern wird weggeschmissen oder gar nicht erst geerntet, weil sie nicht den Handelsnormen entspricht. Meine Freundin Valentina hat bei einer Karibikkreuzfahrt erfahren, dass tonnenweise Lebensmittel von den üppigen Buffets vernichtet werden müssen. Sie dürfen nicht an die einheimische Bevölkerung verteilt werden, da es entgegenstehende Lebensmittelvorschriften gibt. Immerhin ist es beruhigend, dass die Lebensmittelbestimmungen eingehalten worden sind, wenn Menschen auf Haiti verhungern.Ein Viertel der jährlich vernichteten Lebensmittel würde ausreichen, um den Hunger auf der Welt zu bekämpfen. Das ist aber vermutlich nicht im Interesse eines kontinuierlichen Wirtschaftswachstums. Also werden wir von der Werbeindustrie zur Verschwendung erzogen, damit immer mehr produziert werden kann.

      Der Appalachian Trail lehrt seine Gäste Bescheidenheit und Ehrfurcht vor der Natur. Um das Gepäck auf ein absolutes Minimum zu reduzieren, muss man auf fast alle Annehmlichkeiten des Alltags verzichten. Und das ist gut so. Sehr schnell bekommt man ein Gespür für die wirklich wichtigen Dinge des Lebens. Das sind (genau in der Reihenfolge) Wasser, Nahrung und nach Möglichkeit abends ein Dach über dem Kopf. Wenn die Grundbedürfnisse befriedigt sind, kommen dazu noch körperliche Unversehrtheit und soziale Kontakte. Das reicht, um glücklich zu sein. Wir haben es erlebt. Zeit ist mit das kostbarste Gut auf Erden.

      Freiheit und ein selbstbestimmtes Leben, dafür steht der Appalachian Trail.

      Kapitel 2 : Was schenkt man zum 18. Geburtstag?

      Das war die Frage, die sich mir stellte als mein Sohn volljährig wurde. Was schenkt man seinem Kind an der Schwelle zum Erwachsenwerden? Da es in unserer Kultur keine Initionsriten mehr gibt, musste ich mir selbst etwas zum rituellen Eintritt in Pascals neues Lebensstadium ausdenken. Es sollte etwas sein, dass meinen Sohn physisch und psychisch ein wenig an seine Grenzen bringt. Da Pascal in jeder Hinsicht sehr belastbar ist, konnte ich ihm das ohne weiteres zumuten.

      Pascals 18. Geburtstag kam nicht allzu überraschend für mich, somit hatte ich einige Wochen und Monate Zeit zum Überlegen. Heraus kam ein All-Inclusive-Gutschein für einen Monat Abenteuer-urlaub mit vier Vorschlägen:

      1. Wanderung durch die Slowakei von den Kleinen