Eckhard Seipelt

Appalachian Trail


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Gastgeberin, ist stinksauer auf mich. Dann warte ich endlos vor dem Badezimmer. Die Minuten bis zum Abflug verrinnen. Alle möglichen Bekannten stehen noch vor mir in der Schlange zum Badezimmer. Als ich endlich an der Reihe bin, drängelt sich die Schwester meines Gastgebers vor und duscht ausgiebig. Dabei wollte ich mir doch nur kurz die Zähne putzen..... Endlich klingelt der Wecker und erlöst mich aus der Warteschlange. Wir fahren mit der S-Bahn zum Flughafen und treffen dort um 4 Uhr ein. Es ist zwei Stunden vor der Abflugszeit, so wie es die Fluggesellschaft verlangt. Die Schalter machen aber erst um 5 Uhr auf.

      Nachdem wir eingecheckt haben, geht es durch die Sicherheitskontrolle. Schnell ist auch das erledigt, nur Mareike wird vom Sicherheitsdienst festgehalten. Wir beobachten aufgeregte Sicherheitsmitarbeiter. Immer wieder wird Mareikes Handtasche untersucht. Sie wirft uns einen fragenden Blick zu. Dann zieht man ein Messer aus ihrer Tasche, mit dem man Wale harpunieren könnte. Sie hatte vor der Abreise versäumt, es aus der Handtasche zu entfernen. Zum Glück sind die Sicherheitsbediensteten verständnisvoll und konfiszieren lediglich das Messer. Mareike wird auf freien Fuß gesetzt. „Das kommt davon, wenn man unbedingt eine Handtasche auf den Appalachian Trail mitnehmen muss“ bemerkt ihr Freund. Auf Grund dieser kleinen Anekdote wird „Hidden knife“ später Mareikes Trailname.

      Neben mir im Wartebereich sitzt eine Nervensäge und trommelt unablässig mit seinen Fingern auf einer Mülltonne. Er kann froh sein, dass man Mareike das Messer abgenommen hat, ansonsten würde ich ihm jetzt seine Finger abschneiden. Im Flugzeug begrüßt uns eine weibliche Pilotin. Ich reise schon 40 Jahre um den Globus, aber das erlebe ich zum ersten Mal. Das wird auch höchste Zeit, genauso wie es seinerzeit höchste Zeit war, dass Stefan Raab von einer Frau im Boxring seine Nase gerichtet bekommen hat. Willkommen in einer Welt der Gleichberechtigung.

      Der Flug ist phasenweise recht unruhig. Mein Sitznachbar hält sich immer wieder eine Tüte vors Gesicht. Bei der Landung rinnt der Schweiß literweise sein Gesicht herunter, und er ist sichtlich erleichtert, als wir wieder festen Boden unter den Füssen haben. Nach einer Übernachtung in Newark reisen wir am nächsten Morgen mit Amtrak weiter nach Washington.

      In Washington besichtigen wir zu Fuß und mit Rucksack das Stadtzentrum. Da die Gepäckauf- bewahrung astronomische Gebühren verlangt, betrachten wir es als willkommene Gelegenheit, uns an das Gewicht auf dem Rücken zu gewöhnen. Schließfächer gibt es nicht am Hauptbahnhof der Hauptstadt der USA. Der mächtigste Staat der Welt lebt in einem chronischen Angstzustand. Wir wandern u. a. zum Capitol, zum Weißen Haus und zum Washington Memorial. Die Temperatur beträgt ungefähr 40 Grad Celsius. Die USA werden gerade von einer Hitzewelle heimgesucht. Es gibt kaum Schatten, und so sind wir froh, als wir den Bahnhof wieder erreichen. Vor unserer Weiterfahrt nach Charlottesville wollen wir uns hier mit Lebensmitteln eindecken.Wir müssen jedoch feststellen, dass es im Bereich des Bahnhofs und auch im näheren Umfeld des Bahnhofs keinen einzigen Supermarkt gibt, ein Umstand, den wir am Ende des Tages noch sehr schätzen werden. Zigaretten, Alkohol und Handies gibt es hier dagegen im Überfluss. Das ist wichtiger als Grundnahrungsmittel.

      Wir decken uns im Liquer Shop mit überteuertem Wasser ein, und eine kleine Flasche Whisky findet auch noch ihren Weg in meinen Rucksack. Außerdem finden wir immerhin einen Brot- und einen Obststand vor dem Bahnhof. Für heute ist das Überleben erst einmal sichergestellt. In Charlottesville wird Debbie auf uns warten. Ich habe sie über die Homepage des Appalachian Trails kennengelernt. Sie wird uns von Charlottesville zum Trail bringen. Vielleicht hat sie eine Idee, wo wir Proviant für die ersten Tage unserer Wanderung beschaffen können. Im Zug gibt es eine WLan-Verbindung. Pascal nimmt Kontakt zu seinem Schulfreund Öko auf, der sich zurzeit bei Verwandten in Kalifornien aufhält. Wir hatten ihm eine Übersicht über unsere Reiseroute zugesandt. Öko möchte gerne ein paar Tage mit uns durch die Wildnis ziehen. Er wird versuchen, irgendwo an einem der geplanten Übernachtungsplätze zu uns zu stoßen. Wir beabsichtigen daher, uns in den ersten Tagen exakt an den geplanten Reiseablauf zu halten.

      Etwa eine Stunde vor unserer Ankunft bleibt der Zug lange Zeit stehen. Anschließend geht es nur noch im Schritttempo weiter. Auch das werden wir später noch zu schätzen wissen. Ich rufe Debbie an, um ihr mitzuteilen, dass wir mindestens eine Stunde Verspätung haben werden. Sie ist jedoch schon auf dem Weg nach Charlottesville und weit weg von zu Hause. Sie wohnt in der Nähe des Appalachian Trails und benötigt gut zwei Stunden bis Charlottesville. Schließlich erreichen wir Charlottesville mit einer Verspätung von weit über einer Stunde und werden dennoch von einer gut gelaunten Debbie abgeholt. Da sie schon so lange auf uns gewartet hat, trauen wir uns nicht, sie zu fragen, ob sie uns in Charlottesville zu einem Supermarkt fahren könnte. Im Shenandoah Nationalpark soll es vereinzelt Campingplätze mit kleinen Stores geben. Wir werden schon nicht verhungern. Bereits nach wenigen Minuten Fahrzeit erkundigt sich Debbie, ob wir noch irgendwelche Einkäufe machen müssten. Sie würde uns dann zu einem Supermarkt fahren. Freudestrahlend nicken wir und gestehen, dass wir ihr das eigentlich nach der langen Warterei nicht mehr zumuten wollten. Lachend entgegnet Debbie, dass ihr das absolut nichts ausmachen würde. So befinden wir uns kurz darauf in einem riesigen Supermarkt und decken uns für die ersten beiden Tage unserer Wanderung mit Lebensmitteln ein. Für einen längeren Zeitraum wollen wir nicht vorsorgen, da wir bei den derzeitigen Temperaturen von ca. 40 Grad Angst haben, dass die Lebensmittel verderben könnten.

      Während wir shoppen erhält Debbie einen Anruf. Sie wird von ihrem Vater gewarnt, weil gerade ein Tornado über ihr Wohngebiet in der Nähe des Shenandoah Nationalparks zieht. Wir sind heilfroh, dass unser Zug Verspätung hatte, und dass wir den zeitaufwendigen Umweg über den Supermarkt gemacht haben. Ansonsten wären wir zum jetzigen Zeitpunkt schon einige Zeit im Shenandoah Nationalpark und dem Unwetter ausgesetzt. Wir beraten uns kurz mit Debbie und beschließen, weiter in Richtung Shenandoah Nationalpark zu fahren. Es ist gut möglich, dass sich der Sturm bis zu unserer Ankunft weitestgehend gelegt haben wird. Wir haben noch gut eine Stunde Fahrzeit vor uns. Es beginnt bereits zu dämmern.

      Je näher wir unserem Ziel kommen, umso stürmischer wird das Wetter. Von weitem beobachten wir, wie sich ein Blitz nach dem anderen in Richtung Erdoberfläche entlädt. Es donnert unentwegt. Debbie hat Mühe, gegen die Windböen anzukämpfen. Es wird immer schwieriger, den Wagen geradeaus zu lenken, aber Debbie beweist starke Nerven und fährt ungerührt weiter. Wir sind das einzige Fahrzeug weit und breit. Schließlich erreichen wir dichten Wald. Zwischen den Bäumen ist es etwas geschützter und nicht mehr ganz so stürmisch. Stattdessen liegen dicke Äste überall auf der Fahrbahn. Umgestürzte Bäume säumen den Straßenrand. Gut, dass der Hauptsturm bereits weiter- gezogen ist. Debbie muss den PKW nun im Schritttempo um die zahllosen Hindernisse herum navigieren. Mt scherzhaftem Unterton fragt sie uns, ob wir immer noch im Wald ausgesetzt werden möchten, oder ob sie versuchen soll, uns irgendwo in ihrem Heimatort unterzubringen. Das kommt natürlich überhaupt nicht in Frage, selbst Mareike lehnt das Angebot nach kurzem Grübeln tapfer ab. Zu unserer Beruhigung bemerkt Debbie, dass das Schlimmste wohl überstanden sei, und dass wir es ruhig riskieren können, im Zelt zu schlafen.

      Sie fährt uns über kleine Wege noch einige Kilometer weiter als ursprünglich vereinbart, damit wir möglichst tief im Wald Schutz vor dem immer noch recht heftigen Unwetter finden. Als wir schließlich mit einem flauen Gefühl im Magen ihr Fahrzeug verlassen, werden wir zum Abschied sehr lange gedrückt. Debbie wünscht uns aufrichtig „good luck“ und bittet uns, dass wir uns bei nächster Gelegenheit kurz bei ihr melden, damit sie erfährt, ob alles gut gegangen ist.

      Mit sehr viel Respekt und einem demütigen Gefühl gegenüber der Natur begeben wir uns weiter in den Wald hinein, bis wir eine geeignete Stelle finden, an der wir vor herabstürzenden Ästen sicher sein dürften. Hier im Wald hat es gar nicht so große Verwüstungen gegeben wie an der Straße. Die Natur ist offensichtlich nur dort leicht verwundbar, wo sie bereits von Menschenhand geschwächt worden ist. Es ist mittlerweile stockdunkel. Unsere Taschenlampen spenden nur spärliches Licht. In der Ferne blitzt und donnert es immer noch beängstigend. Es regnet ohne Unterlass. Es ist fast unmöglich, die Zelte in der Dunkelheit bei Regen und immer noch starkem Wind aufzubauen. Nur dank Pascals Geschicklichkeit haben wir nach vielen langen Minuten ein Zeltdach über dem Kopf. Da wir nicht allzu lange in der Dunkelheit nach einem geeigneten Zeltplatz suchen wollten, was wohl ohnehin aussichtslos gewesen wäre, liegen wir nun auf