null H.Loof

Kleine Ewigkeit


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      Die nächsten Tage verbrachte Amber nur in dem kleinen Raum. Ab und an kam Berta vorbei, um ihr das Essen zu bringen.

      Bei den Unterhaltungen konnte Amber allerdings nicht viel erfahren. Immerhin wusste sie jetzt, dass ihr Raum, sowie die gesamte Taverne im inneren eines großen Baumes waren. Sie konnte sich das zwar nicht richtig vorstellen, aber wenn sie aus dem kleinen runden Fenster schaute, wusste sie dass dies die Wahrheit sein musste.

      Jedes Mal, wenn Berta den Raum verließ, wurde er verriegelt. Berta meinte dazu, dass es nur zu ihrer Sicherheit sei. Und auch bei den Besuchen vom Schneider oder vom Schuster war Berta die ganze Zeit anwesend. Mit jedem Tag der verging, fühlte sie sich ein Stückchen mehr als Gefangene.

      Wie so häufig, lag Amber auf ihrem Bett und starrte an die Decke. Sie dachte mal wieder an ihr Dorf und ihren Vater. Warum hatte ihr Vater sie gerade diesem seltsamen Mann mitgegeben und was hatte er vor?

      Ein leises Klacken verriet Amber, dass die Tür entriegelt wurde. Amber richtete sich auf und wollte gerade Berta sagen, dass sie noch keinen Hunger hatte, als sie bemerkte, dass Kerwin in der Tür stand. Langsam durchschritt er den kleinen Raum, nahm sich dabei den einzigen Stuhl und setzte sich ihr gegenüber.

      „Hallo Amber, ich hoffe Du hast Dich etwas erholt“, waren seine ersten Worte.

      Amber schaute ihm ins Gesicht. Es war etwas schmutzig und man konnte deutlich die Erschöpfung erkennen. Es ging von ihm auch eine Art von Traurigkeit aus, die Amber frösteln ließ.

      Als Kerwin keine Antwort bekam, setzte er nochmals an: „Bisher hatten wir noch nicht die Gelegenheit uns wirklich zu unterhalten. Das sollten wir nachholen. Du hast doch bestimmt ein paar Fragen.“

      „Gut, dann sag mir mal als erstes, warum ich hier eingesperrt bin!“, schnauzte Amber ihn an.

      Die Wut der letzten Tage kochte inzwischen bei ihr richtig hoch.

      „Berta ist wohl etwas zu vorsichtig gewesen.“, und etwas leiser fügte er noch hinzu: „Vielleicht weil ich gesagt habe, dass ich ihren fetten Wanst aufschlitze und ihr ihre eigenen Gedärme essen lasse, falls Dir etwas zustößt.“

      Ungläubig schaute Amber Kerwin an. Konnte der Mann das Gesagte gerade ernst gemeint haben? Sie konnte jedenfalls keine Anzeichen bemerken, die auf einen Scherz hindeuteten. Etwas verunsichert stellte Amber ihre nächsten Fragen: „Wer bist Du und warum hat mein Vater gerade Dich gebeten für mich zu sorgen?“

      „Wer ich bin? Oh, ich bin nur ein Reisender und Freund Deines Vaters. Nicht wirklich etwas Besonderes“, kam die ausweichende Antwort: „Und zu Deiner zweiten Frage. Du bist nun mein Mündel, weil ich der einzige Mensch bin, dem Dein Vater vertraut hat und dem er auch zutraute Dich zu beschützen und Dir alle wichtigen Fertigkeiten beizubringen.“

      „Und was sollst Du mir beibringen?“, wollte Amber wissen.

      „Zu überleben.“, war die knappe Antwort.

      Es entstand eine lange Pause. Schließlich erhob sich Kerwin.

      „Wenn Du jetzt keine Fragen mehr hast, gehe ich mich etwas ausruhen. Du kannst natürlich den Raum hier verlassen und Dich frei bewegen. Bitte gehe aber nicht aus der Waldstadt heraus und bleib auf den belebten Wegen. Es ist hier nicht ganz ungefährlich. Ach ja und hier habe ich noch eine Kleinigkeit für Dich. Trag ihn immer bei Dir.“, mit diesen Worten legte er einen Dolch auf den Tisch.

      Als Amber ihn fragend ansah, fügte er hinzu: „Ich weiß, Du bist nicht gewöhnt eine Waffe zu tragen und es ist auch nicht die Beste, aber zögere nicht den Dolch zu benutzen, falls es nötig wird.“

      Amber schaute zum Messer und dann wieder zu Kerwin: „Eine Frage habe ich noch. Warum hast Du mich hier allein gelassen, wenn Du mich doch beschützen sollst?“

      Es schien Amber, als ob ein Schatten über das Gesicht von Kerwin lief. Er setzte zu einer Antwort an, überlegte es sich aber noch mal.

      Dann schaute er Amber tief in die Augen und flüsterte: „Glaube mir, das willst Du nicht wissen.“

      Darauf wusste Amber keine Erwiderung und nach einer kurzen Zeit der Stille verließ Kerwin den Raum. Diesmal wurde die Tür nicht von außen verriegelt. Sie konnte sich das erste Mal frei bewegen.

      Amber blieb noch eine Weile auf dem Bett sitzen und dachte über die Worte von ihrem neuen Gefährten nach. Warum wollte er ihr nicht sagen wo er war? Und was hatte er noch über ihren Vater gesagt? Hatte er nicht in der Vergangenheit von ihm gesprochen? Langsam kam ihr ein grausiger Verdacht. Aber vielleicht irrte sie sich ja auch.

      Erste Schritte

      Die Tür aus ihrem Zimmer führte auf einen schmalen Gang. Unwillkürlich fragte Amber sich, wie Berta hier überhaupt durchpasste. Rechts endete er bei einer weiteren Tür. Nach etwa 20 Schritten auf der linken Seite öffnete sich der Gang zu einer Art Galerie und sie hatte einen Überblick über Bertas Gasthaus. Es war tatsächlich ein ausgehöhlter Baum und sie befand sich am oberen Ende. Auf halber Höhe konnte sie eine große Tür erkennen. Am Boden war die eigentliche Gaststube mit einer Bar und einigen Tischen. Sie konnte Berta unten deutlich erkennen. Ihre massige Gestalt war selbst aus dieser Höhe nicht zu übersehen. Die Beleuchtung wurde durch kleine, runde Fenster in regelmäßigen Abständen gewährleistet. Für die Abendstunden konnten auch noch Lampen entzündet werden. Die Treppe führte spiralförmig an der Außenseite des Raumes nach unten. Als Amber bei ihrem Abstieg an der großen Tür vorbei kam, bemerkte sie, dass dies wohl der Eingang war. Kurzer Hand entschloss sich Amber auf eigene Faust die Waldstadt zu erkunden.

      Der Anblick außerhalb Bertas Gasthauses war für sie überwältigend. Alle Gebäude der Stadt waren scheinbar auf oder in den Bäumen errichtet worden. Große Äste dienten als Gehwege und wo diese nicht weiter führten, wurden die Wege mit Hängebrücken verlängert. Langsam setzte sich Amber in Bewegung, um sich diese wunderbare Stadt anzusehen.

      Sie ging über die Wege, an den Unterkünften vorbei und genoss die warme Frühlingsluft. Es war ein sonniger Tag, der die trüben Gedanken vertreiben konnte.

      So etwas wie diese Waldstadt hatte Amber noch nie gesehen. Wenn sie so darüber nachdachte, war ihr Leben vor dem Treffen mit Kerwin ereignislos. Sie hatte bisher nur in ihrem kleinen Dorf gelebt und war auch nur ein einziges Mal zum nahe gelegenen Nachbarort gereist und dieser hat sich kaum von ihrem eigenen Dorf unterschieden.

      Staunend lief sie über die Äste und Brücken bis sie zu einer kleinen Plattform kam, die etwa 3 Meter über dem Boden an einem Baum befestigt war. Von hier aus hatte man einen guten Überblick über die nähere Umgebung. Fasziniert lehnte Amber sich auf die Brüstung und betrachtete verträumt die Landschaft.

      Nach einer Weile hörte sie eine Stimme neben sich: „Der Anblick ist immer wieder schön, man könnte stundenlang einfach nur hier stehen und die Natur betrachten.“

      Ein Blick zur Seite zeigte ihr, dass neben ihr ein junger Mann stand, der nicht viel älter sein konnte als sie selbst. Er hatte sich ebenfalls auf die Brüstung gelehnt und blickte auf die umstehenden Bäume.

      „Der Wald sieht heute so friedlich aus. In solchen Momenten kann man kaum glauben, dass von dort eine tödliche Gefahr ausgeht.“, mit diesen Worten drehte er sich zu Amber und lächelte sie an. „Ich habe Dich hier noch nie gesehen und ein so hübsches Mädchen wäre mir doch aufgefallen. Bist Du erst kürzlich angekommen?“

      Die Art von ihm gefiel Amber auf Anhieb.

      „Ich bin noch nicht lange hier. Es ist sogar das erste Mal, dass ich mich hier umschauen kann. Ich heiße übrigens Amber und wer bist Du?“

      „Oh wie unhöflich von mir, ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Gideon. Ich bin der Gehilfe von Meister Gerloff. Er hat hier einen kleinen Laden, in dem alles Mögliche verkauft wird. Und was machst Du so?“

      Amber überlegte eine Weile, was sie darauf antworten sollte. Was machte sie denn wirklich hier und was machte Kerwin?