Manfred Lafrentz

Blutschwertzeit


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den Krieg ziehen?”, fragte einer der jüngeren Männer. „Wer weiß schon, was Aelfen denken? Wenn sie nach Süden ziehen und unser Land verwüsten, ist es zu spät. Vielleicht ist es besser, der Fürst zieht ihnen entgegen, bevor es dazu kommt.”

      „Wir haben sowieso keine Wahl”, sagte Farli. „Ich bleibe dabei, es ist nicht unser Krieg, aber wir werden am Teuersten dafür bezahlen müssen.”

      Die Männer schauten düster zum Vogt hinüber, der auf der anderen Seite des Platzes mit den Schmieden sprach. Folke spürte ihren Hass, ihr Verlangen danach, den Vogt fortzujagen, die Träume, die sie nahezu erstickten.

      Schon am nächsten Tag führte der Vogt die Männer des Dorfes, von denen viele nur alte und halb verrostete Waffen besaßen, nach Norden. Die Schmiede würden für Nachschub sorgen, wie überall im Land, und die neuen Schwerter würden den Männern folgen.

      Folke sah zu, wie sein Vater mit den anderen über die Waldstraße davonzog. Der Abschied war kurz gewesen. Farli hatte ihm aufgetragen, den Hof so gewissenhaft wie möglich zu versorgen. Die alten Männer würden helfen. Folke hatte die Sorge in seinen Augen gesehen und war wild entschlossen, ihm zu beweisen, dass er sich auf ihn verlassen konnte.

      Farli hatte fremd ausgesehen. Hart. Wie ein Krieger. Er hatte schon früher gekämpft, wenn der Fürst von seinen Nachbarn angegriffen wurde. Es waren kurze Kriege gewesen, meist nur eine einzige Schlacht, die schnell entschieden war und nicht viele Leben kostete. Farli hatte eine Narbe unter dem linken Auge davongetragen, eine Kerbe, die immer weiß in seinem braunen Gesicht leuchtete und die Haut von den Rändern faltig nach innen zog. Als kleiner Junge hatte Folke sich immer vorgestellt, dass ein winziger Kobold an dieser Stelle saß und von innen an der Haut zog. Einmal, dachte Folke lange Zeit, einmal, musste der Kobold sie loslassen, wenn sein Arm erlahmte, und er schaute jeden Tag ins Gesicht seines Vaters, um festzustellen, ob der Augenblick gekommen war. Irgendwann erzählte ihm Farli von dem Schwertstreich, der ihn getroffen hatte, von dem Splitterstückchen, das stecken geblieben und nie wieder herausgekommen war. Der Kobold verwandelte sich in ein hartes, kaltes Körnchen Stahl, das Folke noch unheimlicher war. Wie ein wildes, giftiges Tier hatte ein Schwert es in seinen Vater hineingespuckt, und es würde dort bleiben bis er starb. Vielleicht würde es zum Vorschein kommen, wenn man seinen Leichnam verbrannte. Das einzige, was übrig blieb. Folke verscheuchte den Gedanken. Er war wie ein schlechtes Vorzeichen.

      Farlis Besorgnis hatte sich deutlich in seiner verschlossenen Miene abgezeichnet, als er loszog. Er war kein großer Mann, aber er hatte breite Schultern und sein untersetzter Körper strotzte vor Kraft und vermittelte den Eindruck einer überwältigenden Masse. Folke dachte immer, er selbst sei ein unvollkommenes, abgestoßenes Teilstück seines Vater, das dieser verschmerzen konnte, weil noch so viel von ihm da war.

      „Ein Fels und ein Steinchen”, sagte seine Mutter oft über Vater und Sohn, lachte und strich Folke über das immer wirre Haar. „Ein Steinchen mit einer Nase und Moos oben drauf. Mehr ist von dir nicht zu sehen.”

      Ständig fuhr sich Folke mit den Fingern durch die Haare, versuchte sie zu glätten. Die Geste war ihm kaum noch bewusst. Nur manchmal, wenn sie ihm auffiel, war es ihm, als versuchte er verzweifelt, sein Gesicht aus dem Verborgenen zu holen, kein Steinchen mit einer Nase zu sein, kein Splitter seines Vaters. Nicht unsichtbar.

      Farli war ein ernster Mann, der nur selten lachte, manchmal, wenn er mit anderen Männern zusammensaß und Bier trank. Er sprach wenig mit Folke. Meistens waren es Anweisungen, so wie gestern, als er ihm aufgetragen hatte, auf den Hof zu achten. Es hätte des Befehls nicht bedurft. Folke liebte den Hof und das Dorf. Es war sein Zuhause, und er hatte immer gern seine Arbeit getan, auf dem Feld, beim Hüten der Schafe, bei der Ernte. Er und die anderen Jungen würden nun die Männer des Dorfes sein und es beschützen und die Höfe führen, wie ihre Väter es getan hatten. Das hatte er stolz zu Farli gesagt, und dieser hatte genickt, auf eine zerstreute, beunruhigte Art, mit zusammengekniffenem Mund, den Blick in eine unbestimmte Ferne gerichtet, als wartete er auf etwas.

      Verletzt spürte Folke, dass sein Vater Angst hatte um das, was er besaß. In der Angst war wenig Platz für Vertrauen. Was konnte ein Steinchen schon ausrichten, ein Splitter?, fragte diese Angst. Folke sehnte sich danach, ein Fels zu sein, ein Fels wie sein Vater, in dessen Schutz sich jeder drängen würde.

      Aber vielleicht fragte sich Farli auch nur, welcher Art die Narben sein würden, die ihm Schatten beibringen konnten. Folkes Mutter hatte geweint, auf die zähe, harte Art, in der die Frauen dieses Landes weinten, und sich an Folke geklammert, als Farli mit knappem Gruß das Haus verließ. Ihr Griff war schmerzhaft gewesen, aber nicht so schmerzhaft wie der abgewandte Blick und das Schweigen des Vaters, der in den Krieg zog, um gegen Geister zu kämpfen.

      Gegen Aelfen.

      Es gab immer Gerüchte über sie. In letzter Zeit hieß es oft, sie zögen aus den Wäldern und Bergen des Nordens nach Süden, um sich die Länder zurückzuholen, die sie einst bevölkert hatten. Es war der Grund für den Krieg, so hatte es der Vogt behauptet. Aber niemand im Dorf hatte jemals einen Aelfen gesehen.

      Außer Atli vielleicht. Der alte Mann erzählte gern Geschichten von grausamen Geisterkriegern und aelfschönen Nixen. Niemand wusste, ob er jemals so weit im Norden gewesen war. Trotzdem hörten die Jungen des Dorfes ihm zu, wenn er erzählte.

      „Wylde Aelfen!”, rief er jedes Mal in seiner altertümlichen Art, die Worte auszusprechen, die so grau war wie seine dünnen Haare, wenn die Jungen ihn um Geschichten baten. „Ihr wollt Geschichten von wylden Aelfen hören? Ihr solltet euch hüten. Ihr Anblick bringt jeden um den Verstand.”

      „Hast du jemals welche gesehen?”, fragte immer einer, und alle lachten, auch Atli, und man konnte sehen, dass die wenigen Zähne, die er noch hatte, von den Steinsplittern im Brotmehl abgeschliffen waren, wie bei allen alten Leuten.

      „Ich war schlau genug, nicht hinzuschauen. Und das solltet ihr auch tun, falls euch einmal Aelfen über den Weg laufen.”

      „Wie sehen sie aus?”, war die nächste Frage des Rituals.

      „Manche sind wunderschön”, pflegte Atli verträumt zu sagen. Immer wenn er nachdenklich wurde, rieb er sich die linke Seite seiner großen Hakennase. Eine rote Stelle hatte sich dort gebildet, die nie mehr wegging. Ohne sie kannte Folke Atli gar nicht. „Sie tragen Kränze aus Zweigen von Eiche und Efeu und sie tanzen auf dem Wasser oder im Mondschein, nackt oder in Silber gekleidet. Sie singen bezaubernde Lieder, denen kein Sterblicher widerstehen kann. Sie singen und locken, aber es ist nicht ratsam, ihnen nachzugeben.” Er kicherte, und sein schütterer Bart zitterte. „Eure Schwänze werden abfaulen, wenn ihr es tut.”

      Die Jungen grinsten unbehaglich.

      „Manche Mondscheintänzerinnen verschwinden schon, wenn man sie küsst. Sie können die Wärme menschlicher Seelen nicht ertragen und zerfallen zu Staub. Denn das sind sie eigentlich, nur Staub, der vom kalten Mondlicht in eine Form gebacken wird.”

      So und ähnlich lauteten die Geschichten. Alle kannten sie. Sie waren unheimlich, aber Folke verstand nicht, wie man Krieg gegen diese Aelfen führen konnte. Mondlichttänzer. Wandelnder Staub, der im Wind verwehte. Es konnte nicht alles sein. Es konnten nur die wundersamen Reste von Geschichten sein, die, nachdem sie von Dorf zu Dorf, von Mensch zu Mensch gewandert und immer märchenhafter geworden waren, bei jemandem wie dem alten Atli landeten. Spukgeschichten für Kinder, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun hatten. Wenn die Aelfen nicht mehr waren als in diesen Geschichten, warum zogen dann die Fürsten gegen sie, ließen Waffen schmieden, die töten sollten? Wie konnten Sänger und Tänzer die Siedlungen der Menschen im Norden angreifen und Schrecken verbreiten? Warum hatten die Männer Angst vor ihnen? Warum hatte sein Vater Angst vor ihnen? Folke spürte, dass etwas anderes hinter den Geschichten steckte, dass grausige Schatten dahinter lauerten, die alles verschlangen, was ihnen zu nahe kam. Als er sah, wie Farli Frekissohn, ohne ein einziges Mal zurückzublicken, mit den anderen Männern über die Waldstraße nach Norden davonzog, jenen fremdartigen, grausamen Schatten und den vielleicht seltsamen Narben entgegen, die sie schlagen konnten, wusste Folke plötzlich, dass alle diese Kindergeschichten gelogen waren.

      Am Ende der Straße wartete der Tod