Holly B. Logan

Ein aufgeschobener Kuss


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oben drauf. Diese Kombination wirkte immer Wunder und löste fast jedes Problem.

      Lara stand auf, reckte und streckte sich, ihr ganzer Körper war vom vielen Sitzen schon völlig verspannt. Sie ging in die Küche, brühte sich einen Kaffee auf Eiswürfel, damit dieser sofort abkühlte. Lara liebte kalten Kaffee. Dann schmierte sie sich ihr Grandma Lucie Spezial-Sandwich und kratzte dafür den letzten Rest Erdnussbutter aus dem Glas. In den letzten Wochen war ihr Erdnussbutter-Konsum rapide in die Höhe gegangen. Sie brauchte das hochkalorische salzig-cremige Nuss-Zeug einfach als Nervennahrung. Dann gab sich Lara einen Ruck, seufzte laut und wählte Nancys Nummer.

      "Na, du Bücherwurm", begrüßte Nancy sie am anderen Ende der Leitung, "was gibt´s?" "Hey Süße, du wirst es kaum glauben, aber heute muss ich wirklich mal raus. Ich bekomme hier nichts mehr zustande. Und deshalb wollte ich dich fragen, ob wir zusammen zum Cori fahren?"

      "Ach Lara, nein, das ist nicht dein Ernst", jammerte Nancy ins Telefon, "genau heute kann ich nicht. Heute muss ich den ganzen Tag arbeiten, sie haben da bei Brandol so ein Wahnsinns-Meeting, da muss ich aushelfen und bin dort komplett eingespannt."

      Lara musste lachen. "Das ist wohl Murphys Law", sagte sie und es war wirklich schade, dass Nancy sie den ganzen Sommer über nervte, und just an dem Tag, wo Lara sich endlich mal Zeit nahm, nicht konnte. "Alles gut, Nancy, mach dir keinen Kopf. Ich denke, ich fahre dann einfach alleine."

      "Verdammter Mist aber auch", fluchte Nancy noch immer ins Telefon. "Das ist echt so schade. Aber wie dem auch sei, das ist die richtige Entscheidung, meine kleine fleißige Lern-Biene. Du musst echt mal raus! Kannst nicht jeden Tag Stoff in dein Hirn reinprügeln, du musst auch echt mal Pause machen. Dann lass es dir gut gehen, okay?"

      "Das werd ich. Und benimm dich bei dem Meeting", sagte Lara und lachte. Sie wusste um Nancys große Klappe.

      Bevor Lara es sich anders überlegen konnte, packte sie in Windes-Eile ihre Strandtasche, buchte sich mit ihrem Smartphone einen Car2Go-Smart, denn sie hatte und wollte keinen eigenen Wagen, und machte sich auf den Weg. Sie hatte ihr Appartement seit Tagen nicht mehr verlassen. Die Sonne und die Hitze auf der Straße erschlugen sie fast. Jetzt, da sie sich auf den Weg gemacht hatte, war sie wahnsinnig erleichtert. Sie schob das noch leicht vorhandene schlechte Gewissen, heute nicht zu lernen, zur Seite und freute sich auf ihren Ausflug zum Coronado Beach. Wenngleich sie auch etwas traurig war, dass Nancy und Polly nicht mitkommen konnten.

      All diese Gedanken gingen Lara durch den Kopf, als sie über die imposante San Diego Coronado Bay Bridge fuhr. Sie spürte schon jetzt, wie gut es ihr tat, die Bücher und den Schreibtisch verlassen zu haben. Am Strand angekommen, suchte sie sich eine ruhige schattige Stelle unter einem Sonnenschirm, breitete ihr Strandlaken aus und legte sich in den warmen Sand. Der Strand war außergewöhnlich voll, schließlich war es unter der Woche, mitten am Tag. Aber die Hitze lockte viele Leute ans Meer. Lara beobachtete das bunte Treiben am Strand, während sie ihr großes Lieblingsstrandtuch ausbreitete und ihren kleinen Sonnenschirm in den Sand schob. Die Familien, die spielenden und buddelnden Kinder, die Surfer im Wasser, die vielen Strandschönheiten. Sie sprühte sich mit dem nach Vanille duftenden Sonnenspray ein und machte sich lang. Von der typischen Strand-Geräusche-Kulisse - Meeresrauschen, Kindergeschrei, Menschengemurmel, Möwen-Gekreische und Wind - wurde Lara in einen tiefen Schlaf eingelullt.

      Als sie von ihrem Beach-Nickerchen wieder aufwachte, musste sie sich erst einmal orientieren. Sie hatte völlig vergessen, dass sie am Strand war, rieb sich die Augen und brauchte einige Minuten, um ihren Vormittag zu rekonstruieren. Sie war völlig durch den Wind, so tief und fest hatte sie geschlafen. "Puh!", seufzte sie und raffte sich auf, ging zum Wasser und sprang, ohne zu zögern in das kühle, erfrischende Nass. Sie tauchte in die Wellen und der Frischekick ließ sie sofort wieder klar im Kopf werden. Lara schwamm einige Züge und ließ sich auf dem Wasser treiben. Blinzelnd lächelte sie in die Sonne. Das war eine der besten Entscheidungen der letzten Wochen, dachte sie. "Ich sollte viel öfter an den Strand fahren", sagte sie zu sich selbst. Dann entstieg sie den weichen Wellen und hörte hinter sich ein anerkennendes Pfeifen. Lara drehte sich um, und sah zwei süße Surfer-Boys, die ihr zuwinkten. Sie lächelte verschmitzt und unterstrich ihr gespieltes Desinteresse, in dem sie einfach weiterlief und ein Stück am Strand spazieren ging. Die Sonne schien auf ihren vom Wasser gekühlten Körper und wärmte sie. Kein Wunder, dass die Surfer ihr hinterherpfiffen, die 29-Jährige sah einfach umwerfend aus in ihrem hellblauen Bikini, dem schlanken und trainierten Körper mit dem kleinen runden Knack-Po und den kleinen, festen Brüsten. Dazu ihre langen, haselnussbraunen Haare mit den hellen sonnengebleichten Strähnchen. Doch Lara machte sich nichts aus den Avancen der Surfer-Boys, wenngleich sie ihr auch sehr schmeichelten. Schließlich war sie schon seit zwei Jahren Single, was ihre Freundin Nancy nie verstehen konnte. Lara hatte viele Verehrer, aber niemand konnte sie so richtig faszinieren. Sie verliebte sich einfach nicht. Es war wie verhext! Nancy versuchte immer wieder, sie zu verkuppeln, was nie gelang. Die von Miss Conelly angeschleppten Herren verliebten sich zwar reihenweise in die junge Frau, aber bei Lara sprang nie der Funke über. Es war ihr aber auch recht, denn sie wollte sich sowieso auf ihr Studium konzentrieren.

      "Du kleine Streberin, du verpasst noch das Leben", sagte Nancy ständig zu ihr.

      Aber Lara machte das nichts aus. Sie genoss ihre Unabhängigkeit. Nichtsdestotrotz träumte sie natürlich von der großen Liebe und dem Familienglück. Gedankenverloren ging sie am Strand entlang, sie schaute auf das glitzernde Wasser und genoss es, ihren Gedanken freien Lauf zu lassen. Lara dachte an ihre bevorstehenden Prüfungen und sehnte den Tag der letzten Klausur herbei, wenn sie alles hinter sich gebracht haben würde. Was für eine Erleichterung das werden wird, dachte sie. Im gleichen Moment hatte sie aber auch Angst, denn noch war unklar, was sie nach dem Studium machen würde. Sie hatte schon lange ihre Fühler ausgestreckt, hatte Bewerbungen in verschiedene Einrichtungen und Kliniken geschickt, wusste aber, dass in Zeiten, wo als Erstes im Sozialwesen alle Budgets gekürzt werden, es schwer sein würde, einen Job zu finden.

      "Hey Mexi-Boy, los, rück die Kohle raus!", hörte Lara plötzlich jemanden laut von der Strandpromenade her rufen.

      Sie konnte nicht genau erkennen, woher das Geschrei kam, aber augenblicklich zerplatzte die Strand-Idylle und wich lautem Tumult. Pfiffe, lautes Grölen, laute Musik. Lara drehte sich um und lief ein paar Meter in die Richtung, aus der der Lärm kam. Immer wieder hörte sie Schreie: "Aufhören, verdammt, hört endlich auf!" Doch anscheinend war das laute Bitten nur eine Einladung zu noch mehr Ärger.

      Lara lief nun immer schneller und sah schon nach wenigen Metern eine Menschenansammlung, die sich vor einem kleinen Kaffee gebildet hatte. Überall waren Leute und gafften, Mütter mit ihren Kindern, ältere Paare, zwei Kellner standen auf einem Stuhl und schauten dem Spektakel, das sich ihnen gerade bot, aus der ersten Reihe zu. Je näher Lara der Menschentraube kam, desto lauter wurden die Pfiffe und das Klatschen. Immer wieder hörte sie, wie jemand schrie: "Mexi-Boy, hey, los, lasst uns dem kleinen Mexi-Boy eine Lektion erteilen!"

      Ohne nachzudenken, lief Lara nun direkt auf die Meute zu. Eine ältere Dame zog sie am Arm und hielt sie zurück: "Ich würde mich da an Ihrer Stelle nicht einmischen", sagte sie und sah Lara mit aufgerissenen Augen an.

      "Aber was geht denn da vor sich?", wollte Lara wissen und schaute neugierig herüber.

      "Die treiben schon seit geraumer Zeit hier ihr Unwesen, diese Halbstarken", sagte die alte Frau und schüttelte aufgebracht den Kopf, "erst vor einer Woche wurde einem von denen", sie streckte den Arm aus und zeigte zu dem Jungen, der etwas abseits stand und einen Kassettenrekorder auf den Schultern trug, "ein Platzverweis erteilt! Der beschallt mit seinem Gerät den ganzen Strand! Und wenn man ihn bittet, die Musik leiser zu machen, fühlt er sich animiert, sie nur lauter zu drehen! Und jetzt haben sie sich schon wieder einen vorgeknöpft!"

      "Einen vorgeknöpft? Was soll das bedeuten?" Lara wartete nicht, bis die ältere Dame antwortete, wandte sich ab und lief nun intuitiv und ohne nachzudenken, direkt auf die Menschentraube zu.

      Fünf Jungs, alle so um die vierzehn, höchstens fünfzehn Jahre alt, hatten einen Kreis gebildet und standen um einen etwa Gleichaltrigen herum. Wie einen Ball schubsten sie ihn sich gegenseitig zu und der Junge torkelte benommen hin und her. Ständig applaudierten sie, wenn