Holly B. Logan

Ein aufgeschobener Kuss


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zu werden. Es war unglaublich mit anzusehen, wie sehr sie sich an dem ängstlichen Gesicht des Jungen labten.

      "Hey Mexi-Boy, flennst du jetzt? Bist du ein Mädchen? Hey, zeig doch mal, ob du ein Mann oder ein Mädchen bist!" Sie begannen an seiner Badehose zu ziehen und der ängstliche Junge, hatte große Mühe, sich gegen die vielen Hände an seinem Körper zur Wehr zu setzen. Er blutete aus der Nase, das Blut war bereits über seinen Oberkörper gelaufen, immer wieder nahm er seine Hand und versuchte, es von seinem Mund zu wischen. Lara schwoll bei dem Anblick, im wahrsten Sinne des Wortes, der Kamm. Sie konnte so eine Ungerechtigkeit nicht ertragen und noch mehr wütete der Zorn in ihr, als sie sah, wie die Menschen untätig um die Jungs herumstanden und niemand auch nur die geringsten Anstalten machte, ihm zur Hilfe zu eilen.

      Lara warf den beiden Kellnern auf den Stühlen, die jetzt nur noch etwa einen Meter von ihr entfernt waren, einen bösen Blick zu und sagte zu ihnen: "Ja, sich lieber für eine bessere Aussicht auf einen Stuhl stellen, anstatt zu helfen, ganz toll!"

      "Wir haben die Cops bereits gerufen, Werteste! Mischen Sie sich da nicht ein, sonst sind Sie nämlich die Nächste!"

      Doch da hörte Lara schon nicht mehr hin, bahnte sich ihren Weg durch die Herumstehenden und hielt den ersten Jungen, den sie greifen konnte, an seinem T-Shirt fest: "Hey, was soll das denn?", rief sie laut, "Fühlst du dich jetzt stark? Fünf gegen einen? Sieht so Stärke aus?"

      Der Junge starrte sie an und grinste, doch das Grinsen blieb ihm augenblicklich im Halse stecken. Lara konnte in seinen Augen erkennen, dass er wusste, dass das was er gerade tat, unrecht war. Einen Moment hielt er inne, seine gehässigen Gesichtszüge hatten sofort wieder etwas Mildes, doch dann riss er sich von Lara los und giftete sie an: "Hey, machst du mich an? Du stehst wohl auf mich, was?"

      Daraufhin brachen seine Kumpels in schallendes Gelächter aus und der Junge fühlte sich bestätigt und warf ihr einen Luftkuss zu.

      "Hey, Jimmy, siehst du, wie sie dich anschaut, die steht wirklich auf dich, wooohoooo..." Nun begann einer aus der Gruppe, ein großer Hagerer, an Laras Haaren herumzuspielen. "Na, Süße, wer gefällt dir besser, ich oder der Mexi-Boy da drüben?" Er zeigte auf den Jungen mit der blutenden Nase, der gerade von einem anderen aus der Gang in den Schwitzkasten genommen wurde.

      Doch plötzlich, noch bevor im Hintergrund das kurze Aufjaulen einer Polizeisirene über die Promenade drang, trieben die Jungs plötzlich auseinander. "Verpisst Euch, Jungs, sonst gibt’s richtigen Ärger!", schrie jemand und riss den blutenden Jungen augenblicklich von dem anderen weg.

      "Ey, Alter, ich hau dir gleich eine rein", bellte der Halbstarke daraufhin. Der Schock stand ihm ins Gesicht geschrieben. "Misch dich hier nicht ein, sonst ..."

      "Sonst was?", fragte der junge Mann, der sich sehr wohl einmischte und den Lara erst richtig sehen konnte, nachdem der hagere Typ von ihr abgelassen hatte und sie ruppig auf ihn zustieß.

      Lara fiel direkt vor seine Füße. Sofort beugte er sich zu ihr nach unten und half ihr auf.

      "Alles okay? Haben Sie sich wehgetan?", fragte er und schaute prüfend auf Laras Knie.

      "Ja, danke, alles gut, mir ist nichts passiert, aber … aber, der Junge", sagte Lara und drehte sich suchend nach dem kleinen Latino-Jungen um, der just in dem Moment von den beiden Kellnern, die eben noch auf den Stühlen gestanden hatten, umsorgt wurde.

      Einer der beiden reichte ihm eine Serviette, sodass er sich zumindest erst einmal das Blut von der Nase wischen konnte, der andere beugte sich zu ihm herunter und reichte ihm zusätzlich sein Geschirrtuch. Indes rückten zwei Beamte an.

      Es dauerte nur wenige Momente und die Traube aus pöbelnden Halbstarken und glotzenden Menschen hatte sich aufgelöst. Der Mann legte beschützend seinen Arm um Lara und ging ein paar Schritte mit ihr zur Seite. "Sind Sie wirklich sicher, dass Sie sich nichts getan haben?"

      "Ja, nein, doch, ähm, nein, nein ...", stotterte Lara nun und sah abwechselnd prüfend an sich herunter und dann wieder in das Gesicht des Mannes, von dem sie auf der Stelle fasziniert war.

      Er hatte kurzes, dunkles, sehr dichtes Haar, das vorn etwas länger war, einige Strähnen fielen in sein sonnengebräuntes Gesicht, das mit dem Dreitagebart, den er trug, smart und zugleich verwegen aussah. Vor allem seine Augen fielen ihr auf, sie hatten etwas Magisches, einerseits wirkten sie freundlich, gleichzeitig hatte dieser Typ aber auch etwas Abgeklärtes in seinem Blick, fast so, als habe er zu viel gesehen, als dass ihn noch irgendetwas oder irgendjemand leicht aus der Fassung bringen konnte. Er hatte noch immer seinen Arm um sie gelegt und Lara merkte, wie ihr heiß und gleichzeitig kalt wurde.

      "Möchten Sie ein Stück gehen, soll ich Sie irgendwohin bringen?", fragte er und lächelte.

      Es war ein sehr charmantes Lächeln, gleichzeitig spürte Lara aber sofort, dass er um die Wirkung seines Lächelns bei Frauen ganz genau Bescheid wusste.

      "Nein, nein, vielen Dank, es geht schon", sagte sie und strich sich das Haar mit einer so ausladenden Bewegung zurück, dass die Hand ihres Retters von ihren Schultern glitt. "Dort vorn ist meine Decke", sagte sie.

      "Ich bin übrigens Nick, Nick O’Mara!" Er hielt ihr seine Hand hin.

      "Lara Miller", sagte Lara.

      "Freut mich!", sagte Nick und begleitete sie zu ihrem Strandplatz.

      "Na, dann ...", sagte Lara, als sie vor ihrer Decke standen. "Vielen Dank, dass Sie mir und dem Jungen geholfen haben."

      "Keine Ursache, das ist doch selbstverständlich." Man merkte, dass er noch etwas sagen wollte, aber irgendwie, so machte es den Anschein, wollte er sie auch nicht länger behelligen.

      Fast schien es, als warte er darauf, dass Lara den Anfang machte. Aber die war gerade so perplex, dass sie keinen geraden Satz zustande brachte. Sie schaute an Nick - der ein weißes Unterhemd und eine bis über die Knöchel hochgekrempelte Jeans trug - herunter, wie ein unbeholfenes Schulmädchen, das gerade bei einem Streich ertappt worden war.

      "Na dann ...", sagte sie schließlich noch einmal und hätte sich augenblicklich selbst für ihr Herumdrucksen ohrfeigen können.

      Nick sah sie liebevoll an, und obwohl er die Enttäuschung in seinem Blick nicht verbergen konnte, blieb er tough und wiederholte ihre Worte: "Na dann ... war schön, Sie kennengelernt zu haben."

      Als er ging, drehte er sich noch zweimal nach ihr um, aber Lara machte keine Anstalten und starrte aufs Meer hinaus. Sag mal, spinnst du, beschimpfte sie sich in Gedanken und äffte sich selbst nach. Na dann, na dann, na dann. Fällt dir wirklich nichts Besseres als so was selten Blödes wie: Na dann ein? Einige Minuten blieb sie auf ihrer Decke sitzen, doch je mehr Zeit verstrich, desto mehr Unruhe stieg in ihr auf. Ihr Blick ging nach links und rechts, doch sie konnte Nick nirgends mehr entdecken. Mist, so ein verdammter Mist, fluchte sie leise in sich hinein und sprang dann wie von der Tarantel gestochen auf. Sie musste sich beherrschen, nicht wie eine aufgebrachte Hysterikerin den Strand abzusuchen und lief noch einmal zurück zur Promenade, von wo aus sie einen besseren Blick hatte. Aber nichts – Nick O’Mara war so plötzlich verschwunden, wie er aufgetaucht war.

      Enttäuscht lief Lara wieder zum Wasser hinunter. Die Gedanken wirbelten wild durch ihren Kopf: warum, warum, warum – musste ich nur so blöd sein? Während das kühle Nass ihre Knöchel umspielte, schaute sie auf die endlose Weite des Pazifiks. Dann schloss sie die Augen und ließ das eben Erlebte nochmal Revue passieren, besonders den Moment, als sie Nick O’Mara vor die Füße fiel und er sie zu sich nach oben zog. Sie spürte, wie sich dieses Bild, in ihr Gedächtnis einzubrennen begann. Noch als alte Frau würde sie von diesem Moment träumen und ihn sich herbeisehnen, genauso wie diesen wundervollen Mann, den sie fast wortlos gehen ließ. Plötzlich ein sanftes Tippen auf ihrer rechten Schulter. Und da stand er - Nick O’Mara und schaute Lara Miller mit einem Blick an, der sich bis auf den Grund ihres Herzens bohrte.

      1. Kapitel

       Fünf Jahre später

      Lara Miller war schlecht drauf. Ihr Freund, Nick O’Mara,