elmer weyer

Böser Verdacht


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wie Typhus, Gelbfieber und anderen schweren Krankheiten, für die es hier keine Heilung gab. Mein Vater erholte sich nicht mehr von seiner Krankheit, und verstarb im Februar 1941. Monatlich starben damals bis zu sechstausend Menschen an Unterernährung, unbehandelten Krankheiten oder durch Gewalt der SS. Diese verbreitete Angst und Schrecken. Wer ihnen begegnete, war seines Lebens nicht mehr sicher. Die SS Männer kamen vom Töten besessen daher und konnten ihren Gewaltphantasien an diesem Ort, später auch an anderen Orten, freien Lauf lassen.“

      Snyder kann erkennen, dass die Hände des Mannes plötzlich zittern. Aber er beruhigt sich wieder und redet weiter: „Und dann veränderte sich etwas. Aus den Bewegungen des Linkszionismus und den nicht religiösen jüdischen Sozialisten, entstand eine neue Jugendbewegung, die auf den Widerstand gegen die Nazis setzten. Ich wurde eines ihrer jüngsten Mitglieder. Aber zunächst konnten wir nur hilflos mit ansehen, wie die jüdische Gemeinschaft in ein Chaos des Schreckens versank. Bevor die Tore des Warschauer Ghettos abgeriegelt wurden, hat Hitler unzählige repressive Maßnahmen gegen die Juden erlassen. Juden durften nicht mehr als 2.000 Zloty besitzen und nicht mehr als 500 Zloty im Monat verdienen. Hitler ordnete die Einsetzung eines Judenrates an, um Anordnungen besser verbreiten zu können. Zum Beispiel, dass es Juden strengstens verboten war Brot zu backen. Im März 1940 kamen die Nazis auf die Idee tausenden, armen und ebenfalls verfolgten und hungernden polnischen jugendlichen 4 Zloty pro Tag zu zahlen, wenn sie dafür so viel Juden wie möglich verprügeln würden.“

      Kowalski tupft seine Mundwinkel erneut ab, als hätte er einen Fausthieb bekommen: „Diese Aktionen riefen den ersten Widerstand unserer Gruppe auf den Plan und wir hatten mit denen große Straßenschlachten im Ghetto. Die Bedingungen dort waren mit dem Wort miserabel schöngeredet. Wir riskierten jeden Tag und jede Nacht unser Leben, um Essbares ins Ghetto zu schaffen. Suppenküchen wurden installiert, um die ein wenig zu sättigen, die sich nicht selber helfen konnten. Schulen und Theatergruppen wurden gegründet, um die Kultur nicht gänzlich aussterben zu lassen. Nur eine Minderheit dachte zu diesem Zeitpunkt an Widerstand. Die meisten wollten das hier nur überleben. Im Verlaufe des Jahres 1941 drang durch, dass 40.000 Juden aus Lodz, eben so viel aus Pommern vergast worden seien. Später gab es Gerüchte, das Ghetto in Lublin sei komplett liquidiert worden. Der Widerstand fand aber immer noch keinen größeren Anklang. Wobei man ganz deutlich erkennen konnte, dass es hier nichts zu überleben gab.“

      Kowalski macht eine kurze Atempause, und berichtet weiter: „Im Juli 1942 erhielt der Judenrat von den Nazis den Befehl, alle nicht arbeitsfähigen Juden sollen sich in den nächsten zwei Tagen auf dem Umschlagplatz einfinden. Gerüchte hatten längst die Runde gemacht, dass dort ein Zug nach Treblinka stehen würde. Das hieß sterben zu müssen. Das wusste auch ein Zwölfjähriger. Ich erinnere mich nur, dass ich an diesen zwei Tagen, das tat, was ich immer tat. Ich war noch ein Kind, und fand nicht die Aufmerksamkeit der Erwachsenen, die zu sehr mit sich selbst beschäftigt waren. Sie müssen wissen, ich kannte das Ghetto und die Logistik der Versorgung sehr gut. Dann sprach sich herum, dass ukrainische Hilfstruppen der SS, im Rahmen ungeheuerlicher Gewaltexzesse, die kranken und hungernden Menschen in die Viehwaggons prügeln würden. Kein Vieh der Welt, wurde mit so aggressiver Gewalt behandelt, wie wir Juden auf den Umschlagplätzen der Ghettos. Später erfuhr ich, dass über 60.000 Juden in diesen zwei Tagen zur Vernichtung nach Treblinka geknüppelt wurden. So ging es dann mit den Deportationen weiter, bis im September 1942 nur noch 55.000 Juden im Ghetto zurückblieben. Da war ich froh, dass mein Vater an einer Krankheit verstorben war, und nicht ermordet wurde. Und meine Mutter? Ich weiß es nicht. Aber, ich war am Leben. Ich war zwar immer hungrig, aber nicht krankt, sogar ziemlich agil.“

      Kowalski unterstreicht seine Worte mit dem Ballen der rechten Faust, aus der nun das weiße Tuch hervorquillt. In der linken hält er das Hydrocortison, er kann sie nicht ballen: „Dann im Oktober 1942 wurde die Kampforganisation Zydowska Organizacja Bojowa mit ihrem Kommandanten Mordechaj Anielewicz und seinem Stellvertreter Marek Edelman gegründet. Es gab noch andere Jugendliche wie mich in dieser Gruppe. Und es ging nicht um Schnitzeljagd, sondern um Leben oder Tod. Oder eher darum, wie dem Tod zu begegnen sei. Die Chance zu überleben, schätzten wir kleiner als klein ein. Zunächst hatten wir außer einem Gewehr keine Schusswaffen. Der Versuch Waffen beim polnischen Untergrund zu beschaffen, schlug fehl. Doch im Dezember 1942 erhielten wir doch 10 Pistolen vom polnischen Widerstand. Nun konnten wir die erste große Aktion für den 22. Januar 1943 vorbereiten. Allerdings kam uns eine weitere Welle der Liquidierung durch SS Truppen, schon am 12. Januar zuvor. Nur dieses Mal war das für die Nazis anders. Unsere Gruppe grub Bunker an der Kreuzung Milastraße/Zamenhofstraße und schoss aus vielen Rohren auf die SS Truppen. Wir verloren dabei einen Teil der Kämpfer, doch Mordechaj Anielewicz überlebte. Wir mussten unsere Strategie ändern. Man entschied sich für die Partisanentechnik, um erfolgreich gegen die SS kämpfen zu können. Nun war das Ghetto begeistert von diesen Widerstandshandlungen. Die Zahl der Widerstandswilligen explodierte geradezu. Die Gruppe kommandierte bald das ganze Ghetto, übernahm die Finanzen des Judenrates und kaufte mit diesem Geld weitere Waffen. Auch der polnische Untergrund erfuhr von diesen Aktionen und übermittelten sehr schnell 50 großkalibrige Pistolen und eben so viel Handgranaten. Wir führten ab jetzt Sabotageaktionen durch, verjagten jüdische Nazikollaborateure und sorgten somit für einen neuen Lebensmut im Ghetto. Die Nazis merkten sehr schnell, dass sie mehr Gewaltpotenzial gegen die verbliebenen Juden auffahren mussten.“

      „Mit ihrer Aktion im April 1943, wollte die SS dem Führer zum Geburtstag, ein judenfreies Warschauer Ghetto schenken. Die Bewaffnung der wenigen hundert Widerstandskämpfer bestand vornämlich aus Pistolen, Handgranaten, Molotowcocktails, einem Maschinengewehr, Äxten, Messern, Knüppeln und Fäusten. Die Nazis umstellten das Ghetto mit zahlreichen Maschinengewehren. Dann brachen sie mit einem Bataillon Panzergrenadiere, einer Kavallerieabteilung der Waffen SS, zwei Artillerieabteilungen, einer Pionierabteilung der Wehrmacht, einer Gruppe Sicherheitspolizei, einem Bataillon der SS Schule Trawniki, und einer ukrainischen und lettischen Hilfstruppe in das Ghetto ein. Aber sie hatten die Widerstandskämpfer unterschätzt. Am Ende des Kampfes hatten über 200 SS Soldaten ihr Leben verloren und die anderen zogen sich gegen Mittag des nächsten Tages aus dem Ghetto zurück. Unser Jubel war in der ganzen Stadt zu hören.“

      Zunächst kam ein Lächeln über sein Gesicht, doch dann wurde er sofort wieder ernst, und er blickt Snyder jetzt genau an: „Die Nazis entschieden sich dazu das ganze Ghetto in Brand zu setzen. Hunderte verloren in dem Feuer ihr Leben, aber wir kämpften weiter. Wir brauchten, so hat man uns zu verstehen gegeben, keine Gedanken ans Überleben zu verschwenden, so wie die Nazis es machten mussten. Unser Todesurteil war längst gesprochen. Und egal ob wir kämpfen würden oder nicht, man würde uns trotzdem alle töten. Wir wollten der Welt mitteilen, dass sich niemand wehrlos zu einer Schlachtbank führen lassen darf. Ein Gedanke, der uns die Angst zwar nicht nahm, sie aber veränderte.“

       „Doch im Mai 1943, kam das Ende des Widerstandes. Deutsche und ukrainische Einheiten umzingelten unser Hauptquartier in der Milastrasse 18. Es waren kaum mehr als 120 Widerstandskämpfer anwesend. Das Ghetto um sie herum war fast komplett niedergebrannt. Über zwei Stunden schossen die Nazis auf unsere Stellung ohne Erfolg. Dann setzten sie Gasbomben eine. Aber keiner konnte sich den Nazis ergeben. Das war nicht mehr möglich. Marek Edelman und eine Handvoll Kämpfer schafften es durch die Kanalisation aus dem Ghetto zu entkommen. Und von da an, mit dreizehn Jahren, begann ich mein Leben selbst in die Hände zu nehmen. Und nun Mister Snyder, muss ich mich leider von Ihnen verabschieden.“

      Plötzlich kommen aus dem Nichts zwei stattliche Männer in dunklen Anzügen, grüßen freundlich mit tiefen Stimmen, und helfen Viktor aufzustehen. Zwei schwarze Limousinen kommen auf dem Parkweg, verbotenerweise vor die Bank gefahren, und stoppen. Victor dreht sich noch einmal um und nickt ihm zu. Dann steigt er ein und sie fahren fast geräuschlos davon. Mit den gerade gehörten Sachen im Kopf geht Snyder nun Richtung seines Hotels und betritt die Lobby. Er fährt mit dem Lift in den vierten Stock, öffnet mit der Schlüsselkarte sein Zimmer und schließt die Tür hinter sich wieder ab.

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