Wilma Burk

Kinder erzieht man nicht so nebenbei


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wieder aufgerichtet, als sie Helmut bemerkte. Sie fing sich aber schnell und fragte ihn kühl, was er denn wolle. Jetzt war es an ihm gewesen, verlegen zu stottern, zu seiner eigenen Überraschung.

      Von diesem Tag an konnte er nicht genug in der Buchhaltung zu tun haben. Bald bemerkte er, auch sie folgte ihm mit ihren Blicken, wenn sie am Fenster stand und er über den Bauhof ging. Zuerst lachte er sie einfach an, so dass sie sich ertappt wegdrehte. Bald aber drängte es ihn, ihr näher zu kommen. Und so fragte er sie, ob sie wohl mit ihm ins Kino gehen würde.

      „Und stellt euch vor, sie hat ja gesagt“, erzählte er mit strahlenden Augen.

      Hier erst fiel ihm auf, dass sie wesentlich jünger war als er, fünfzehn Jahre. Doch sie wirkte so wunderbar ausgeglichen, dass er den Altersunterschied nicht empfand, ließ er uns wissen. Auch, dass jetzt sein erster Blick dem Fenster der Buchhaltung galt, sobald er den Bauhof betrat, verriet er uns, und wie enttäuscht er war, wenn sie dort nicht stand und ihm zuwinkte. Er war verliebt, bis über beide Ohren. Das gestand er uns irgendwann ein.

      Wie es wohl aussah, dieses Mädchen, von dem Helmut so schwärmte? Ich wurde neugierig darauf. Ob er sie so liebte, wie er mich damals geliebt hatte? Zu meiner eigenen Überraschung überkam mich dabei so etwas wie Eifersucht.

      „Und was ist mit ihr? Erwidert sie deine Zuneigung?“, wollte Konrad wissen.

      „Ich hoffe es“, antwortete Helmut unsicher.

      „Was denn, du hast sie noch nicht gefragt?“, wunderte sich Konrad.

      „Aber, Helmut, das spürt man doch. So, wie sie dich beachtet, kann eigentlich kein Zweifel daran bestehen“, redete ich ihm zu. Sollte er zögern, weil er befürchtete, auch diese Liebe könne hoffnungslos sein wie bei mir damals? Hielt ihn das zurück?

      Doch es gab noch einen anderen Grund. Sie war die Tochter des Firmeninhabers der Baufirma „Zumbold“ und zusammen mit ihrem Bruder würde sie einmal wohlhabende Erbin dieses Geschäftes sein. Er dagegen war nur ein Angestellter, der ihr nichts weiter bieten konnte als seine Liebe.

      Doch diese Liebe sollte trotzdem nicht hoffnungslos bleiben. Es dauerte nicht lange, bis er wusste, dass sie ihm die gleichen Gefühle entgegenbrachte, die er für sie empfand. Sie, Margot Zumbold, 23 Jahre alt, scheute sich nicht, den ersten Schritt auf ihn zuzugehen. Sie wusste, was sie wollte.

      „Wer hier wem den Heiratsantrag gemacht hat, weiß ich eigentlich nicht so genau“, berichtete uns Helmut lachend.

      Dann kam der Tag, an dem er sie zu uns mitbringen wollte und ich sie kennenlernen sollte.

      „Auf diesen Tag hat Mama gewartet“, erinnerte Konrad. „Und nun ist sie nicht einmal dabei.“

      Ich hatte Mama längst mitgeteilt, dass Helmut auf Freiersfüßen ging. Ich hörte es sogar durchs Telefon, wie sie aufatmete. „Das wurde ja langsam Zeit!“, sagte sie. Hatte sie etwa immer noch befürchtet, dass er mir gefährlich werden könnte?

      *

      Es war ein schöner Spätsommertag, als Helmut mit Margot Zumbold zu uns in den Schrebergarten kam.

      Mit besonderer Sorgfalt hatte ich den Kaffeetisch unter dem Kirschbaum gedeckt. Nach allem, was Helmut von ihr erzählte, bewegte sie sich in anspruchsvollen Kreisen, wo Geld keine große Rolle spielte. Würde ihr überhaupt gefallen, was wir ihr hier bieten konnten? Ein wenig kritisch musterte ich das Geschirr, das ich in der Laube hatte, es war wirklich nicht das Beste. „Vielleicht hätten wir sie das erste Mal lieber zu uns nach Hause einladen sollen“, überlegte ich.

      „Es war Helmuts Wunsch, mit ihr hierher zu kommen“, antwortete Konrad. „Er meinte, hier würde sie am besten die Atmosphäre spüren, in der er sich wohl fühlt, und das müsse sie wissen.“

      „Hier, unseren klitzekleinen Schrebergarten meint er? Das ist doch sicher für sie ein zu großer Unterschied zu dem, was sie gewöhnt ist.“ Ich wollte es nicht glauben.

      „Helmut wird sich bestimmt dabei etwas gedacht haben. Schließlich will er sein Leben mit ihr teilen. Eine hochnäsige Person, die nur auf alles herabsieht, was ihm bisher etwas bedeutet hat, wäre sicher nicht die Richtige.“

      „Meinst du wirklich, Helmut denkt so?“

      „Warum nicht? Doch nach allem, was er bisher von ihr erzählt hat, glaube ich nicht, dass sie hochnäsig ist, trotz ihres reichen Vaters, trotz der Villa im Grunewald in einem Garten, der so groß wie ein Park sein soll.“

      „Mut gehört wohl bei beiden dazu, miteinander eine Verbindung einzugehen, so unterschiedlich wie sie bisher gelebt haben. Sie verwöhnt und wohlhabend, er dagegen ein Angestellter ihres Vaters, der noch immer in bescheidenen Verhältnissen bei seinen Eltern wohnt.“

      „Und der große Altersunterschied. Fünfzehn Jahre kann bereits viel sein“, meinte Konrad.

      Voller Spannung warteten wir auf unsere erste Begegnung mit Margot Zumbold.

      Jung und ungezwungen trat sie mit Helmut durch unser quietschendes Gartentor ein. Lächelnd kam sie auf mich zu, als hätten wir gestern erst miteinander gesprochen. Aus dunklen Augen sah sie mich warmherzig an, das gewellte schwarze Haar fiel ihr leicht ins Gesicht und sie umfasste meine Hand mit herzlichem Druck. „Ich kenne Sie beide fast besser, als Sie sich selbst“, sagte sie. „So viel hat mir Helmut von Ihnen bereits erzählt.“

      „Ich hoffe, nur Gutes!“, lachte Konrad und ging auf sie zu.

      Ich errötete und wusste nicht warum. Hilfe suchend blickte ich zu Helmut, wie früher, wenn ich mich von Konrad allein gelassen fühlte. Diesmal jedoch erkannte ich, wie hilflos Helmut selbst war. Hing für ihn so viel davon ab, wie Margot das alles hier aufnahm?

      Nein, darum brauchte er sich keine Sorgen zu machen. Das erkannte ich bald. Was Margot auch dachte, sie strahlte Verbindlichkeit und Selbstbewusstsein aus. Dabei war sie nicht überheblich, sondern wir spürten, sie fühlte sich einfach wohl bei uns. Sie verstand es, sich dezent zu kleiden. Ich mochte nicht daran denken, wie teuer das gewesen sein musste, was sie anhatte. Sie trug eine helle, noch keineswegs übliche lange Hose. Und doch wirkte sie darin, als trüge sie ein vornehmes Kostüm.

      Verstohlen abschätzend betrachtete ich sie. Plötzlich dachte ich an unser Plumpsklo hinter der Laube. Der Gedanke, was sie dazu sagen würde, begann mich zu plagen. Verlegen wies ich ihr den Weg, als sie mich danach fragte. Doch auch das konnte sie nicht schrecken. Sie lachte nur vergnügt, als sie zurückkam. „Dass es so etwas noch gibt!“

      Sie fand unsere kleine alte Laube idyllisch. Sie sagte, unter dem Kirschbaum sei ein besonders schöner Platz und sammelte, wie selbstverständlich, die herabfallenden Blätter von ihrem Teller.

      Langsam fiel die Spannung von mir ab, auch spürbar bei Helmut. Immer ungezwungener gingen wir miteinander um. Es war, als wollte Margot keine Fremdheit aufkommen lassen. Befreit, versuchten wir uns regelrecht mit Scherzen gegenseitig zu überbieten.

      Wie damals, als Helmut mich seine Liebe spüren ließ und sich Hoffnungen gemacht hatte, nannte er mich dabei für einen Moment vielleicht zu vertraut „Kati“. Plötzlich fing ich von Margot einen nachdenklichen Blick auf. Wie viel hatte er ihr von uns erzählt? Abschätzend schien sie mich zu mustern. Sofort glaubte ich, eine gewisse Zurückhaltung bei ihr zu spüren. Irritierte sie die besondere Vertraulichkeit, die zwischen Helmut und mir herrschte? Konrad machte es nichts mehr aus, er wusste es einzuschätzen, aber Margot mochte es überrascht haben. Vielleicht überkam auch sie so etwas wie Eifersucht?

      Bald jedoch war auch das überwunden. Wir schienen beide zu begreifen, dass wir uns gegenseitig nichts wegnahmen. So wurde dieser Nachmittag in unserem Garten zum Beginn einer wundervollen Freundschaft zu viert.

      Lachen schallte von uns aus wieder zu unseren Nachbarn hinüber, wie früher. Ich sah, wie sie neugierig ihre Hälse reckten. Was war es nur, was mich sofort für Margot einnahm, was mir nicht einmal bewusst machte, dass sie zehn Jahre jünger war als ich? War es ihre Herzlichkeit? War es ihre Sicherheit, die man bei jedem Wort, das sie sagte, spürte? Oder war es einfach die Warmherzigkeit, die sie ausstrahlte? Es wirkte, wie eine besondere