Wilma Burk

Kinder erzieht man nicht so nebenbei


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wenn er ihre Schultern umfasste.

      Hat er mich auch einmal so angesehen? Doch nur kurz fragte ich mich das, dann lächelte ich. Nach dem Gestern mit all seinen Verwirrungen sehnte ich mich nicht zurück. Verstohlen, ein wenig glücklich lehnte ich mich an Konrad.

      *

      Wieder verbrachten wir in diesem Jahr unseren Urlaub in den Bergen, diesmal aber im Land Tirol. Längst hatten wir Österreich als preiswertes Reiseland für uns entdeckt. Auf der Rückfahrt machten wir erneut einen Umweg über Hannover, um Mama und Traudel zu besuchen. Das gehörte jetzt fast zu jeder Reise, wenn wir unsere Insel West-Berlin verließen.

      Ich war aufgeregt vor Freude, als wir unser Ziel erreicht hatten und von der Straße her auf den Werkstatthof fuhren. Überrascht stellten wir fest, dass hier wohl an Arbeit kein Mangel herrschte. Da stand auf dem großen Hof Auto neben Auto. Wir hatten Mühe, einen Platz für unseren VW-Hannibal zu finden. Lebhaft ging es hier vor der Werkstatt zu. Einige Kunden liefen durch Autoreihen, die zum Kauf angebotenen wurden, andere verhandelten mit einem Gesellen. Auch Karl-Heinz war an einem Auto beschäftigt. Traudel war nicht zu sehen. Etwas ratlos sahen wir uns um. Wurden wir erwartet?

      Konrad hupte. Sofort drehte sich Karl-Heinz um, lachte und winkte uns zu.

      Onkel Oskar steckte seinen Kopf aus dem Büro „Hallo! Schön dass ihr da seid!“, rief er und verschwand wieder.

      Doch dann sah ich Mama. Sie kam mit fliegender Schürze aus dem Haus gelaufen. „Katrina, endlich! Kind, bin ich froh, dass ihr hergekommen seid!“, rief sie, reckte sich auf, umarmte mich und drückte mich fest an sich.

      Es tat mir gut, wenigstens ein bisschen zu spüren, dass sie mich vermisste. Doch schon zupfte jemand an meinem Rock. Susi streckte mir ihre Ärmchen entgegen, sie forderte mit ihren vier Jahren noch energischer als sonst Aufmerksamkeit. Doch hinter ihr näherte sich noch jemand, ein bisschen unsicher auf den strammen Beinchen, vorsichtig auf Abstand zu mir bedacht, aber möglichst in der Nähe von Mama, wackelte Klaus heran. Zwei Jahre war er jetzt alt.

      Ich staunte, wie sie wieder gewachsen waren. „Das geht viel zu schnell, Mama.“

      „Das stimmt! Leider hat Traudel kaum etwas davon. Hoffentlich tut ihr das eines Tages nicht leid.“

      „Wo ist sie überhaupt?“ Ich sah mich suchend um.

      „Sie wird mit einem Kunden verhandeln. So langsam sitzt Onkel Oskar nur noch daneben. Ich verstehe das nicht! Sie ist vierundzwanzig Jahre alt, da kann sie doch noch nicht so wie er den richtigen Überblick haben.“ Mama ließ sofort ihren Unmut heraus.

      Konrad war inzwischen zu Karl-Heinz gegangen. Autos, natürlich, Autos interessierten auch ihn.

      Mama und ich nahmen die Kinder und gingen mit ihnen ins Haus. Sie zeigte mir als Erstes ihre kleine Wohnung oben unterm Dach, die fast fertig war. Bis dahin war sie bei Traudel und Karl-Heinz untergekommen, eine Etage tiefer. Die Treppe zu der Dachwohnung lief sie behände vor mir her, dabei hatte sie sogar noch Klaus auf dem Arm.

      „Ich hatte befürchtet, die Treppe hier hochzukommen, könnte dir schwerfallen“, bemerkte ich und folgte ihr mit Susi an der Hand vorsichtig Stufe um Stufe.

      „Das sagst du nicht im Ernst!“, erwiderte Mama. „Mit siebenundfünfzig sollte das noch kein Problem sein.“

      Richtig stolz war sie, als sie die Tür öffnete und mir alles zeigen konnte. Zwei hübsche Zimmer waren es, sonnig und hell, eins davon mit einem Balkon an der von der Straße abgewandten Giebelseite. Dazu gab es noch eine Küche und ein kleines Duschbad. Vom Balkon aus hatte man einen herrlichen Blick weit über Wiesen bis zu einem Wald.

      „Mama, hier ist es wirklich schön“, sagte ich und dachte an die elterliche Wohnung in Berlin in einer engen Straße. Ich hatte sie stets als hell und freundlich empfunden. Doch gegen diese hier, war sie alt, mit ihrer gusseisernen Badewanne und dem Öl-Paneel an den Wänden in Küche und Bad.

      „Onkel Oskar spart an nichts“, versicherte mir Mama. „Was ich mir auch aussuche, wie teuer die Kacheln für Küche und Bad sind oder die Auslegware für die Böden der Zimmer, nie fragt er nach dem Preis.“

      „Traudel wird ihm das wohl wert sein“, scherzte ich.

      Sofort winkte Mama ab und ihr strahlendes Lächeln machte Sorgenfalten Platz. „Mir wäre lieber, die Kacheln hätten weniger gekostet und sie würden Traudel dafür nicht so mit Arbeit im Betrieb belasten.“

      „Ob das aber im Sinne von Traudel wäre?“, bezweifelte ich.

      Mama wollte darauf noch etwas antworten, doch von unten ertönte Traudels Stimme: „Wo seid ihr eigentlich?“

      Dann knirschte die Treppe unter ihren schnellen Schritten. Überrascht sah ich ihr entgegen. Zur Tür herein kam eine mir wohl bisher unbekannte sehr selbstbewusste junge Frau. Die roten Haare hatte sie am Hinterkopf hochgesteckt und nur ein paar Löckchen über der Stirn milderten die Strenge der Frisur. In ein nicht zu modisches Kostüm gekleidet, machte sie bereits den Eindruck einer erfolgreichen Geschäftsfrau.

      Mit den Worten: „Schwesterherz, lass dich umarmen!“, kam sie auf mich zu. Zugleich aber entdeckte sie Susi und Klaus in einer Ecke, die sich voller Behagen mit klebrigen Tapetenresten beschäftigten. „Mama, siehst du nicht, was die beiden da tun?“, fragte sie leicht gereizt und ließ mich los.

      „Sie spielen“, antwortete Mama.

      „Und sie machen sich dreckig!“, erwiderte Traudel kurz, noch darum bemüht, verbindlich zu klingen.

      „Du musst sie ja nicht sauber machen!“, konterte Mama unbeeindruckt.

      Mit zwei energischen Schritten war Traudel bei den Kindern, packte die Tapeten und wollte sie ihnen wegnehmen. Sofort begann ein Sirenengeheul. Sie wehrten sich, bockten und hielten die Tapetenresten fest. Sie gehorchten Traudel nicht.

      Erst als Mama ihnen gut zuredete, gaben sie freiwillig ihre herrliche Beute her. Klaus auf Mamas Arm klammerte sich an ihren Hals und Susi versteckte sich hinter ihrem Rock. Noch mit Tränen in den Augen sahen sie vorwurfsvoll zu ihrer Mutter auf.

      „Nun sieh dir das an!“, lachte Traudel etwas zu betont. „Mama untergräbt mir jede Autorität.“

      Nicht nur bei diesem kleinen Zwischenfall, sondern auch später sollte ich den Eindruck bekommen, als wären Susanne und Klaus vielmehr zu Mamas Kindern geworden als zu Traudels.

      Als wir alle um den Kaffeetisch saßen, war diese kleine Unstimmigkeit vergessen. Jetzt wollten sie als Erstes wissen, wie unsere Reise gewesen war – und sie hörten uns sogar geduldig zu. Voller Begeisterung erzählten wir und zeigten Bilder, die wir fotografiert hatten: Mal war ich mit Rucksack auf einem schmalen Bergpfad zu sehen, mal Konrad mit Rucksack auf einem steilen Weg, dann standen wir an einem Gipfelkreuz oder saßen im Restaurant vor einer Riesenportion Salzburger Nockerln. Als wir die Bilder wieder einpackten, fiel mir auf, wie still Traudel geworden war. Mit zusammengekniffenen Lippen saß sie da. „Ihr habt es gut, ihr könnt verreisen, wann ihr wollt“, bemerkte sie.

      Warum sagte sie das?

      Mama wechselte offensichtlich schnell das Thema und fragte nach den Ereignissen in Berlin.

      Während Konrad begann, davon zu berichten, blickte ich zu Mama. Wie zufrieden sie sich in diesem Kreis umsah, der jetzt ihre Welt war. Auf ihrem Schoß hielt sie Klaus, der krümelnd einen Keks aß, und immer wieder ging ihr Blick zu Susi, die ausdauernd von einem zum andern lief und versuchte, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

      Sie schien sich hier, am Rand von Hannover, wirklich gut eingelebt zu haben. Dabei musste sich Traudel nicht mehr um ihre Kinder sorgen, sondern sie konnte sich völlig dem Betrieb widmen. Das tat sie offenbar auch mit Begeisterung. Für sie schien es kaum noch ein anderes Gesprächsthema zu geben als Autos und Geschäft. Karl-Heinz saß daneben, hörte ihr zu, pflichtete ihr bei und war sichtlich stolz auf sie. Onkel Oskar betonte Traudel zublinzelnd, dass es wohl nicht nur an dem zunehmenden Wohlstand der Menschen liege, wenn der Betrieb jetzt so gut ginge.

      Trotzdem sollte ich bald Gelegenheit