Wilma Burk

Kinder erzieht man nicht so nebenbei


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darüber manchmal aneinandergerieten.

      „Lass dir nicht einfallen, Susanne den Knicks und Klaus später den Diener vor anderen Leuten zur Begrüßung beizubringen“, forderte Traudel misstrauisch von Mama.

      Die fühlte sich sofort zurechtgewiesen und verletzt. „Na, so altmodisch bin ich nun auch nicht!“, wehrte sie beleidigt ab. „Aber die Worte: Bitte und Danke kommen doch wohl noch in eurer neumodischen Erziehung vor, oder nicht?“

      Prompt beklagte sich Mama darüber bei mir. Dabei erfuhr ich, dass sie mitunter so weit ging, Traudel anzudrohen, sie werde nach Berlin zurückgehen, dahin, wo ihr geliebter Mann ruhe. „Schließlich habe ich nur alles aufgegeben, um Traudel zu helfen“, stellte sie beleidigt fest. „Und wenn sie nicht fähig oder willens ist, ihre Aufgabe als Mutter voll zu erfüllen, dann soll sie mir auch gefälligst nicht dreinreden.“

      Mir sträubten sich ein wenig die Haare. Als dann auch noch Traudel sich empört an mich wandte, dachte ich, das geht schief mit den beiden, die sich so sehr ähnelten in ihrem energischen Temperament. Als ich Mama aber darauf aufmerksam machen wollte, lehnte sie den Vergleich empört ab. „Schließlich bin ich nie auf die Idee gekommen, meine Kinder wegen einer so genannten Berufstätigkeit andern zu überlassen.“

      In den wenigen Tagen, die wir bei ihnen verbrachten, bekam ich mit, wie gut der ruhige, ausgeglichene Karl-Heinz für die beiden war. Wie er sie stets zu versöhnen wusste. Er kannte seinen „kleinen roten Teufel“, wie er Traudel noch immer nannte. Und er schaffte es, dass sie Mama bald wieder bettelnd umschnurrte.

      Dabei erkannte ich sogar, wie stolz Mama eigentlich auf ihre geschäftstüchtige Tochter war. Auch wenn sie sich zehnmal darüber mokierte, über die so genannte Emanzipation und erklärte: „Nun sag mir mal, worin die Frauen den Männern gleich geworden sind? Kinder kriegen Frauen wie eh und je. Haben die Männer etwa etwas von ihren Vorrechten aufgegeben, damit die Frauen etwas gewinnen konnten? Nein! Neben all ihren bisherigen Aufgaben im Leben haben die Frauen bloß noch zusätzliche berufliche Leistungen übernommen. Und das soll erstrebenswert sein?“

      So dachte Mama, und davon ließ sie sich nicht abbringen. Es würde immer wieder Reibereien zwischen ihr und Traudel geben. Trotzdem fuhr ich nicht zu beunruhigt nach West-Berlin zurück. Wichtig war, Mama hatte eine neue Aufgabe gefunden.

      „Mit Hilfe von Karl-Heinz werden die beiden es bestimmt schaffen, miteinander auszukommen. Es wäre ja das erste Mal, wenn Mutter und Tochter stets übereinstimmten. Oder warst du immer Mamas Meinung?“, fragte mich Konrad und schmunzelte richtig hinterhältig dabei.

      Natürlich konnte ich mich gut daran erinnern, wie oft auch ich mich gegen Mama aufgelehnt hatte.

      7. Kapitel - 1961

      Gleich Anfang des Jahres forderte die Sowjetunion erneut, eine völkerrechtliche Umwandlung West-Berlins in eine „Freie Stadt“ ohne Bindungen an die Bundesrepublik. Das wurde scharf zurückgewiesen.

      Das Hin und Her um Berlin ging weiter. Ich befürchtete, die Westmächte könnten des dauernden Streites darum einmal müde werden. Hofften das die Machthaber im Osten auch, oder war alles nur die Vorbereitung für einen entscheidenden Schritt?

      Wenn ich manchmal am Telefon mit Mama oder Traudel sprach und dabei von meiner Furcht berichten wollte, die mich bei jeder provozierenden Maßnahme des Ostens befiel, dann sagte Mama nur: „Mach dir nicht so viele Gedanken! Der Westen wird West-Berlin nie aufgeben.“ Damit war es für sie abgetan. Ja, Berlin war eben inzwischen auch für sie weit entfernt.

      Doch sofort bekam ich zu hören, was sie beschäftigte. „Weißt du übrigens das Neueste? Traudel hat jetzt ihr eigenes Auto bekommen, ein wirklich flottes kleines Automobil.“ Und sie berichtete davon voller spürbarem Stolz, obwohl sie doch nichts von Autos verstand und eigentlich gegen die Arbeit Traudels im Betrieb war. „Du solltest mal sehen, wie sie damit jetzt durch die Gegend flitzt“, betonte sie fröhlich.

      „Wann willst du eigentlich endlich deinen Führerschein machen“, drängte mich Konrad daraufhin zum wiederholten Male. Wenn wir auf Reisen waren, sagte er oft: „Es wäre schön, wenn du mich jetzt ablösen könntest.“ Doch noch zögerte ich. Noch saß ich lieber daneben und spielte den Co-Piloten - wie er mich nannte -, mit der Landkarte auf dem Schoß.

      Bald fuhren wir nicht mehr nur am Anfang oder Ende unserer Reisen in Hannover vorbei, sondern mitunter extra über Feiertage hin, zu Ostern oder zu Pfingsten. Nach West-Deutschland fuhren dann zwar viele West-Berliner zur gleichen Zeit und an den Grenzübergängen bildeten sich lange Autoschlangen, so dass man lange warten musste, aber ich freute mich, auf diese Weise Mama öfter sehen zu können. Das gab mir das Gefühl, dass sie doch nicht so weit entfernt war.

      So sehr Mama auch mit den Kindern und all der Arbeit ausgefüllt war, die Sehnsucht nach ihrem Jungen, meinem Bruder Bruno, verließ sie nicht. „Warum er nur nicht kommen kann?“, fragte sie manchmal ratlos. „Sieben Jahre ist er nun fort. Ich weiß gar nicht mehr, wie er aussieht. Andere kommen doch nach Deutschland auf Besuch aus Amerika, aus England. Warum er nicht? Hätte ich nur so viel Geld, um es ihm für ein Flugticket schicken zu können.“

      Bald jedoch erfuhr sie den Grund, warum Bruno noch nicht kam.

      Als wir Pfingsten in Hannover waren, holte sie aufgeregt einen Brief von ihm hervor. Bilder fielen heraus, Hochzeitsbilder von Bruno mit einer jungen Braut. „Kannst du verstehen, warum er davon vorher nichts geschrieben hat?“, fragte sie. „Schau dir an, wie jung seine Frau ist.“

      Ich nahm die Bilder in die Hand. Wirklich, neben Bruno, inzwischen breit geworden, wirkte die Braut besonders zerbrechlich und jung. „Wie alt mag sie sein?“, fragte ich.

      „Er schreibt, sie ist zweiundzwanzig Jahre alt und heißt Mary, eine Australierin.“

      „Dann ist sie nicht zu jung. Bruno ist dreißig.“

      „Das mag sein. Doch warum hat er nie davon geschrieben, dass er heiraten will? Ich verstehe das nicht.“ Es klang fast gekränkt.

      Ich lachte und stieß sie an. „Mama, vielleicht wollte er keine guten Ratschläge haben. Die hättest du ihm doch sicher gegeben. Oder?“

      „Na ja, aber trotzdem ...“

      „Erinnere dich mal an damals, als Konrad vor unserer Verlobung von Papa eingehend nach seinem Leben befragt wurde, da hatte Bruno gesagt, das würde er nie mitmachen, wenn ein Mädchen einmal ja sage, dann sei doch alles in Ordnung. Nun, Mary hat ja gesagt. Hat er denn Mary in seinen Briefen nie erwähnt?“

      „Doch schon, aber wer denkt denn, dass er sie gleich heiraten will.“ Mama war enttäuscht, dass Bruno sie nicht gefragt hatte, obgleich er so weit weg war.

      „Nun könnte er aber mal kommen und uns seine junge Frau vorstellen“, überlegte sie fast bockig wie ein Kind.

      „Mama, jetzt müssen sie sich erst ein Zuhause einrichten. So viel wird Bruno auch nicht verdienen. Sei froh, dass es ihm gut geht, dass er nicht mehr allein ist und eine junge Frau gefunden hat. Irgendwann wird ihn auch die Sehnsucht hierher zu dir treiben“, redete ich auf sie ein.

      „Hoffentlich erlebe ich das noch. Sehnsucht scheint er nicht zu kennen.“ Mama war pikiert, fühlte sich übergangen. Doch nun wusste sie wenigstens, warum Bruno nicht kam.

      Bald sah ich das Hochzeitsbild auf ihrem Nachttisch stehen, sah, wie sie es immer wieder nachdenklich in die Hand nahm. Mich würde nicht wundern, wenn sie dabei überlegte, ob sie nicht selbst hinfahren sollte. Aber da waren ja die Kinder von Traudel. Wer sollte auf sie aufpassen? Und dass Mama sie ungern aus den Händen gab, nicht einmal Traudel gern überließ, war längst klar.

      *

      Pfingsten war vorüber, wir wieder in Berlin. Die Hochzeit von Helmut und Margot stand bevor. Margots Vater hatte nichts gegen die Heirat der beiden einzuwenden gehabt. Er schätzte Helmut als tüchtigen Mitarbeiter sehr und hatte ihn im Betrieb bereits näher zu sich herangeholt. Es war eine Zeit, in der die Firma dank des Baubooms schneller wuchs, als man es fassen konnte.