Gerhard Gemke

Die hohle Schlange, das Labyrinth und die schrecklichen Mönche von Bresel


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Kerl ausgesucht!“, stach Aarne zu.

      Aber Tusnelda war von anderem Kaliber als ihr Schwager. Ihre Augen verengten sich. „Das Problem ist längst gelöst“, flüsterte sie.

      Aarnes Gesicht gefror zu Eis. „Ihr habt diesem Schnüffler hoffentlich nichts für seine … Forschungen gezahlt?“

      „Der Herr Sievers wird nie wieder etwas erforschen!“

      „Ach, wieso denn nicht?“, fuhr Adelgunde dazwischen.

      Für den Bruchteil einer Sekunde flackerte es in Tusneldas Augen, dann hatte sich die Baronin wieder im Griff. Und sagte statt einer Antwort: „Es gibt noch einen anderen Weg.“

      „Ach ja?“ Aarnes Spott war nicht zu überhören. Die Baronin verzog keine Miene. „Ich war bei Bruder Bramsch. Einem von diesen Florian-Mönchen.“

      „Wirst du religiös?“

      „Ich musste noch etwas bezahlen.“ Adelgunde holte schon wieder Luft, Tusnelda kam ihr zuvor. „Die haben da ein Schwimmbad.“

      „Ich wusste gar nicht, dass du schwimmen kannst.“ Schwestern können so herzlich sein. Tusnelda sah eisern an ihr vorbei. Regungslos spielte sie ihre Trümpfe aus.

      „Dieser Bramsch nahm mich mit in den Klosterkeller, in das Schwimmbad. Und wisst ihr, wer das gebaut hat?“

      „Sie werden es uns gleich verraten.“ Aarne beugte sich langsam über den Tisch. Diese Frau, die nie über seine Witze lachte, wurde ihm allmählich unheimlich.

      „Heinrich II. von Kalkstein und Breselberg“, sagte Tusnelda so beiläufig, als hätte sie Aarnes Neugier gar nicht bemerkt. Und ohne ihre Schwester anzuschauen: „Unser Urur-Großvater.“

      Adelgunde grunzte. Wahrscheinlich erstaunt.

      „Von diesem Schwimmbad führt ein Stollen zum Breselberg. Und der …“

      Drei Augenpaare hingen an ihren Lippen. Tusnelda hatte Zeit.

      „Nun sag schon!“ Adelgunde knickte immer zuerst ein.

      „… der endet im Labyrinth!“

      „Ein Gang vom Kloster zum Labyrinth?“ Aarne war kurz davor, zu begreifen. Tusnelda nickte kaum merklich.

      „Sie haben es erfasst. Aimos Rutschenstollen zum Rathaus. Den unteren Teil gibt's tatsächlich. Mit einer Abzweigung zum Kloster.“

      „Na und?“ Adelgunde begriff gar nichts.

      „Breit und flach und gut begehbar.“

      Aarne suchte ihre Augen. „Sie meinen …“

      „Wir sollten zumindest darüber nachdenken.“

      „Und die Mönche?“

      Tusnelda spielte ihren letzten Trumph: „Brauchen dringend Geld.“

      Für dreißig Sekunden war nur Adelgundes Schnaufen zu hören. Humbert fingerte nervös an seinem Punschglas, Aarne starrte regungslos wie eine Schlange auf die Baronin. Deren Blick wanderte über das Ölbild. Sie dachte an das riesige Portrait im Nebenzimmer der Knittelsteiner Bibliothek. Darauf ein Herr in mittelalterlicher Tracht, in der einen Hand eine Pergamentrolle, in der anderen Hammer und Zirkel. Chlodwig von Bremen. Der in Aimos Auftrag das Labyrinth im Breselberg gebaut hatte. Endlich war es von Nutzen.

      Aarne hatte sich erhoben. Ganz dicht trat er an Tusnelda heran. „Fragen Sie“, sagte er leise. „Fragen Sie die Mönche.“

      Und plötzlich zogen sich seine Mundwinkel ohne jede Vorwarnung wieder in die Breite. Er packte die Punschkelle, füllte die vier Gläser mit solchem Schwung, dass Adelgunde schon die Reinigungskosten für die Tischdecke überschlug, und schob jedem eines zu.

      „Prost!“ Der Finne hob sein Glas, „Auf Sankt Florian!“, und leerte es in einem Zug. Dann ließ er sich zurück in den Sessel fallen und klopfte grölend auf seine Wampe. „Noch ist genug Platz in meiner Lagerhalle. Prost!“

      Sein Gelächter quoll aus seinem breiten Fischmaul wie eine ölige Seifenblase und waberte hinaus in diese schreckliche Nacht.

      31 Kilometer südwestlich saß Oskar Sievers allein auf einer Bank an den Breselner Fischteichen. Es war Neumond und längst nach Mitternacht. Ein böiger Wind jagte Wolkenfetzen über den Himmel. Nur selten blinkte Sternenlicht hindurch. Oskar lehnte sich erschöpft zurück und schloss die Augen. Es war sein siebzigster Geburtstag. Er hatte den Abend mit Elfriede verbracht. Sie waren zum Chinesen am Breselbergring gegangen, und nachher hatte sich Oskar wie jedes Jahr auf seine Bank verzogen. Mit ein paar Flaschen Breselbräu. Ihm war merkwürdig schwindelig. Und die zwei Stiche in seiner rechten Handfläche juckten.

      Sankt Urban schlug Mitternacht. Mit einem Plopp öffnete Oskar eine neue Flasche und prostete dem Turm von Burg Knittelstein zu.

      Sechs Stunden später fielen einem LKW-Fahrer bei dichtem Nebel die Augen zu. Sein Fahrzeug krachte in die Leitplanken der Breselner Südumgehung und überschlug sich. Innerhalb kürzester Zeit rasten siebzehn weitere Autos in die Unfallstelle.

      Etwa zur selben Zeit hatte Martina Dall die übliche Morgenrunde mit ihrem Rauhaardackel beendet und entdeckte Oskar auf der Bank an den Fischteichen. Oskar hatte alle Viere von sich gestreckt. Sein Mund war weit geöffnet, die Zunge hing halb heraus, als ringe er noch nach Atem. Sie war tiefblau verfärbt. Beherzt setzte die resolute Frau Oskar aufrecht hin, schloss seinen Mund und schlug ihm ein paar mal kräftig auf die Wangen. Ohne Erfolg. Dann rief sie die Polizei.

      Tusnelda hatte recht. Oskar würde nie wieder etwas erforschen.

      Oskar Sievers war tot.

      Heiner

      An diesem Dienstag, dem 1. Juli, wurde bei der Firma KyanTox in Schrobendorf der klapprige Gabelstaplerfahrer Heiner beauftragt, vierunddreißig Fässer in eine ungenutzte Lagerhalle zu schaffen, die sich abseits auf dem Gelände befand.

      Die Fässer waren nummeriert und hatten alle einen roten Punkt auf dem Deckel, der besagte, dass sie Abfälle enthielten. Abfälle aus der Lackproduktion. Eine eklige giftige Brühe, die besser da drinnen blieb. Denn kam das Zeug an die Luft, verdampfte es augenblicklich. Und war hochexplosiv. Das hatte der Herr Kyankalismäki dem alten Heiner eingeschärft. Deshalb durfte in ihrer Umgebung auch kein offenes Feuer gemacht werden. Heiner drückte sorgfältig seine Zigarre aus. Er klopfte einem der Kübel auf's Blech und nickte ihm freundlich zu. Irgendwann, soviel wusste Heiner, landete der ganze Mist bei einer Entsorgungsfirma. Was teuer war. Mächtig teuer! Aber unumgänglich.

      Warum die vierunddreißig Tönnchen jetzt umgepackt werden sollten, hatte ihm allerdings niemand verraten. Heiner hatte auch nicht danach gefragt. Wenn es irgendetwas gab, was ihm egal war, dann das. Der klapprige Heiner schmiss seinen Gabelstapler an und machte sich ans Werk.

      Noch drei Wochen, dachte er, dann werde ich pensioniert. Dann sehe ich diesen Kyankalismäki nicht mehr, dann sehe ich diesen Rummelpott nicht wieder, und vor allem seine Gören können mich mal. Und zwar kreuzweise!

      Und dann solln se sehn, wie se ohne mich klarkommn.

      Das erste Fass schaffte er heile hinüber. Das zweite Fass auch. Bis Fass Nummer sechzehn ging alles glatt.

      Bei Fass Nummer 17 kitzelte Heiner die Sonne so arg in der rotgeäderten Nase, dass er heftig nieste, und sich, um nicht vom Gabelstapler zu fallen, am falschen Hebel festhielt. Die Stapelgabel ruckte, Fass Nummer 17 kippte und krachte auf die Betonkante der Laderampe. Nun zierte ein scharfer Knick die ansonsten makellose Rundung von Fass Nummer 17.

      Heiner zog ein sorgfältig gefaltetes Taschentuch aus der Hosentasche und putzte sich umständlich die Nase. Dann sah er sich das geknickte Fass an. Dann dachte er nach. Also: Noch drei Wochen.

      Dann solln se selber sehn.

      Heiner faltete das Taschentuch sorgfältig wieder zusammen und steckte es zurück in die Hosentasche. Dann rollte er Fass